Der FC Arsenal wurde im Jahr 1886 gegründet; von Arbeitern einer Rüstungsfabrik im Südosten Londons. Am 11. Dezember 1886 kam es zum ersten offiziellen Match, das man gegen die »Eastern Wanderers« mit 6:0 gewann. (Witzigerweise ist über die »Eastern Wanderers« nicht mehr bekannt als das Auftauchen als erster Arsenal-Gegner; bisweilen zweifelt man sogar an ihrer Existenz.) Im selben Jahr jedenfalls – exakter: am 27. August 1886 – wurde Rebecca Clarke in Harrow bei London geboren. Rebeccas Mutter war die aus Göttingen stammende Agnes Helferich (1861–1935), die einem Teil ihrer vier Kinder (zwei Söhne hießen Hans und Erich) in Erinnerung an ihre Herkunft deutsche Namen gab. Mutter Agnes war, wie Katharina Talkner berichtet, eine ambitionierte Amateur-Pianistin und -Geigerin und musizierte mit ihrer gesamten Familie demzufolge gerne daheim. Unter den familiären Musik-Mitstreiter:innen befand sich auch ihr Gatte, Joseph Thacher Clarke: Hobby-Cellist, 1856 in Boston geboren (und 1920 in Paris verstorben).
Mit acht Jahren erhielt Rebecca Clarke ihren ersten Geigenunterricht. Ihr großes Talent führte 1903 zur Aufnahme eines Violin-Studiums bei dem Österreicher Hans Wessely (1862–1926) an der Royal Academy of Music in London. Clarkes Musiktheorielehrer war der 1878 geborene Komponist, Musiktheoretiker und Geiger Percy Hilder Miles (1878–1922), der einst als »Wunderkind« gehandelt worden war, mit acht Jahren erste Kompositionen verfertigt und im Alter von 13 Jahren mit Beethovens Konzert für Violine und Orchester als Solist prominent vor einem Orchester gestanden hatte. Miles verliebte sich in seine Schülerin und machte ihr 1905 nach einer Geigenstunde einen Heiratsantrag. Miles war in den Jahren zuvor ein guter Freund der Familie Clarke gewesen – und hatte Rebecca hinsichtlich ihres Studiums beraten. Nun aber brach vor allem der Vater von Rebecca Clarke mit Percy Hilder Miles, verhinderte offenbar eine aufkeimende Beziehung – und zwang seine Tochter zum Abbruch des Studiums.
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Rebecca Clarke unterließ das Komponieren jedoch nicht. Aufgrund der hohen Qualität ihrer Arbeiten wurde sie von dem irischen Komponisten Charles Villiers Stanford (1852–1924) am Londoner Royal College of Music aufgenommen. Stanford galt als traditioneller, strenger, ja: cholerischer Lehrer, dessen Irish Symphony (1887) sogar von Gustav Mahler als Dirigenten persönlich aufgeführt wurde. (Percy Hilder Miles’ Liebe für Rebecca währte über den väterlicherseits initiierten Kontaktabbruch hinaus. Bereits 1912, also sieben Jahre nach der Trennung, setzte Miles seine einstige Schülerin notariell als Erbin seiner Stradivari-Geige ein. Dieses wertvolle Instrument verkaufte Rebecca Clarke 1936, zehn Jahre nach Miles’ Tod, offenbar war sie in finanzielle Nöte geraten.)
Bald wechselte Rebecca Clarke von der Violine zur Viola und verdiente – nach Abbruch des Kompositionsstudiums – ihr Geld als Bratschistin. Als eine der ersten Frauen, so ist bei Talkner zu lesen, wurde sie in das Orchester der »Proms«-Gründungs-Immobilie (der Queen’s Hall in der Innenstadt von London) eingeladen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erfolgten viele Kammermusikreisen. Immer wieder setzte Clarke eigene Werke für ihr Instrument auf die Programme ihrer Konzerte.
Rebecca Clarke wurde zu einer bedeutenden Bratschistin ihrer Zeit, wiewohl man auch ihre Kompositionen, beispielsweise durch Wettbewerbsauszeichnungen, würdigte. Bald geriet das Komponieren jedoch – für sie selbst aus fast unerfindlichen Gründen – zunächst ins Hintertreffen. Erst nach der (sicherlich auch kriegsbedingten) Übersiedlung in die USA 1939 nahm Clarke ihre Kompositionstätigkeit wieder verstärkt auf. Die bereits erwähnten wirtschaftlichen Sorgen jedoch führten dazu, dass Clarke teilweise als Kindermädchen arbeiten musste.
1944 heiratete Clarke den gleichaltrigen Pianisten und Komponisten James Friskin (1886–1967), mit dem sie in den folgenden Jahren häufig als Bratsche-Klavier-Duo auftrat. Aufgrund einer Arthritis musste Clarke in den 1940er Jahren von ihren beiden musikalischen Leidenschaften Abschied nehmen. Dafür arbeitete sie als Konzert-Dramaturgin, die Werkeinführungen anbot und Kammermusik-Vorträge hielt.
Rebecca Clarke wurde 93 Jahre alt. Sie starb am 13. Oktober 1979 in New York City.
Rebecca Clarke (1886–1979)
Sonate für Viola und Klavier (1919)
Rebecca Clarke schrieb Chormusik, viele Lieder – und fast ebenso viel Kammermusik. Immer wieder spielt die Viola innerhalb ihres Kammermusik-Oeuvres eine Hauptrolle, und so lässt sich sagen: Rebecca Clarke ist unter Bratschistinnen und Bratschisten die mit Abstand bekannteste Komponistin.
Eines der Zeugnisse ihrer regen Viola-Klavier-Beschäftigungen ist die Sonate für Viola und Klavier aus dem Jahr 1919. Der erste Satz (Impetuoso) hebt mit bedeutsamen Quint-Sprüngen der Viola an. Das Klavier unterstützt mit einem Akkord, der so lange liegen bleibt, dass er bald eh verklungen ist. Währenddessen geschieht schlichtweg Interessantes: denn das quasi zum »Schweigen« verdonnerte Klavier wird »ersetzt« durch die Bratsche, die mit sich selbst zugleich doppelgriffig einen Mini-Kanon spielt. Eine freundliche Übernahme, eine äußerst gelungene Idee, die Aufmerksamkeit garantiert und zugleich kompositorisch sehr originell ausgearbeitet ist.
Von dem seitens der Bratsche am häufigsten intonierten und mehrfach umkreisten Ton e2 geht es klug in den nächsten Formteil hinein, indem die Bratsche schlicht – aber mit großer Wirkungsgeste – ins es2 hineinfällt. Spannung erzeugt durch halbtöniges Hinabsinken. Das Klavier begleitet nun äußerst differenziert und kontrapunktisch durchwirkt. Doch das »Traditionelle« an der zunächst irgendwo zwischen Brahms und Richard Strauss angesiedelten Harmonik ist nur ein Teil der ganzen Wahrheit!
Nach gut einer Minute erweist sich Rebecca Clarke als tiefgründige, abwechslungsreich wankelmütige Impressionismus-Rezipientin, indem sie verwegen von Des-Dur in die am weitesten entfernte Tonart G-Dur und wieder zurück wechselt – und das anlässlich eines Stimmungsgipfels innerhalb der Sonaten-Erzählung, kurz vor einem nächsten Doppelstrich. Das ist herrlich erfüllte, mal grüblerische, mal ausbrechende, toll fassbare, ja: großartige Musik! ¶