Stolze 104 Jahre alt wurde die am Neujahrstag des Jahres 1913 in Neapel geborene Komponistin Matilde Capuis. Obwohl bei dem emsigen – in Kassel ansässigen – Furore-Verlag mehrere Werke von ihr erschienen (und, was manches Mal einen wesentlichen Unterschied macht, auch erhältlich sind!), ist zu ihrer Person wenig bekannt. Selbst auf der besagten Verlagsseite finden wir nur einen kurzen biographischen Abriss. (Durch eingehende Recherche konnte eine Verwandte von Matilde Capuis ermittelt werden, die jedoch anonym bleiben möchte. Auch möchte diese Verwandte nicht, dass über etwaige Persönlichkeitsmerkmale von Matilde Capuis spekuliert wird. Respektieren wir diesen Wunsch.)

Pamela Youngdahl Dees attestiert in ihrem Buch A Guide to Piano Music by Women Composers, Composers Born After 1900 beispielsweise den Sei Preludi für Klavier aus dem Jahr 1972: »Six sad preludes, well written, tonal, late Romantic style«, also dass die sieben schwermütige Präludien gut geschrieben seien in ihrem tonalen, spätromantischen Stil. Capuis zeigte schon als Kleinkind großes Interesse an musikalischen Aktivitäten – und entsprechend der souveränen kompositorischen Beherrschung von Tasteninstrumenten waren wohl das Klavier und bald die Orgel die zentralen Klangerzeuger für Matilde Capuis. Das spielerische Erlernen dieser Instrumente ging wahrscheinlich schnell einher mit frühen Kompositionsversuchen. Die umfassende Beschäftigung mit Musik führte später zu einem Studium in den Fächern Violine, Klavier und Orgel in Florenz und Venedig. Wie es heißt, habe Capuis in den Jahren 1941 und 1946 den Kompositionskursen der renommierten Accademia Chigiana in Siena teilgenommen. In diesen Jahren war Vito Frazzi (1888–1975) der hiesige Dozent für Komposition, ein Komponist (unter anderem Lehrer von Luigi Dallapiccola, 1904–1975), dessen Musik wie ein Remix aus Versatzstücken des ganz späten (»geläuterten«) Liszts im Zusammenwirken mit Einflüssen aus dem musikalischen Impressionismus tönt. (Mag sein, dass die Musik Vito Frazzi einen gewissen Eindruck auf die junge Matilde Capuis machte.)

ANZEIGE

Für ihre Kompositionen jedenfalls erhielt Capuis eine ganze Reihe von Preisen, so – unter anderem – den »Premio Quartetto Veneziano« (1948) sowie eine Auszeichnung beim »Concorso Internationale per Compositoras ›H. Rubinstein‹ Buenos Aires« (1962). Als Pianistin und Komponistin arbeitete Capuis bald eng mit dem Cellisten Ugo Scabia zusammen, dessen Name online ausschließlich im Kontext von kurzen Ausführungen zur Laufbahn von Matilde Capuis auftaucht, so auch im CD-Booklet der Cellistin Raphaela Gromes, die vor wenigen Jahren mit Hilfe des »Archivs Frau und Musik« auf die Cello-Werke von Capuis stieß.

Ab 1969 unterrichtete Capuis als Professorin für Tonsatz und Musiktheorie am Verdi-Konservatorium in Turin – bis zu ihrer Pensionierung 1983. Capuis blieb unverheiratet, sie hatte sich wohl ganz und gar der Musik verschrieben. Durch ihren berufsbedingten Umzug nach Florenz musste Capuis ihre Mutter in Florenz zurücklassen. Ansonsten lebte Matilde Capuis durchweg in Italien, abgesehen von kurzen – ebenfalls musikalisch motivierten – Auslandsaufenthalten.

Matilde Capuis starb am 31. Januar 2017 in Turin. Mit 104 Jahren.


Matilde Capuis (1913–2017)
Konzert für Oboe und Streicher (1975)

YouTube Video

Capuis legte eine (offensichtlich tonale) Symphonie vor, außerdem entstanden ein großes (geistliches) Oratorium (Il pianto della Madonna), ein Streichquartett, einige weitere Orchesterwerke, fünf Cellosonaten, ein paar wenige Lieder sowie beispielsweise 1975 das Konzert für Oboe und Streicher.

Der erste Satz (Allegro non troppo) macht sogleich den Anschein spielfreudiger Neoklassizismus-Anleihen. Früh mischt sich die Solo-Oboe ein – mit kurzen Kommentaren. Freundlich, tonal verortet, nicht im Sinne der pseudo-neobarocken (schneidend dissonanten) Experimente in Alfred Schnittkes Concerto Grosso No. 1 (1976/77). Doch dafür verlässt sich Capuis nicht auf ein ewig gleichbleibendes Klangbild, sondern zieht den Klang etwas in die Breite. Erinnerungen an englische Streichermusik schieben sich ins Bild. Lustig-melancholisch staccatiert die Oboe umher.

Der zweite Satz (Andante calmo) hebt mit »suchenden« Linien des Streichorchesters an. Durchaus eigensinnig, vor allem in der Art und Weise der nach wie vor kurzen, fast apodiktischen Solo-Oboen-Inseln. Und der dritte Satz (Allegro) schließlich bringt eben jene »Mitte« der von Capuis beschworenen – eindeutig absolut-musikalischen – Einlassungen hervor: Melancholie, Witz, freies Erzählen, Harmonie. Dabei aber nicht anbiedernd, sondern fast zeitlos, unanfassbar, sich dem Ohr höchst merkwürdig entziehend. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.

Eine Antwort auf “137/250: Matilde Capuis”

Kommentare sind geschlossen.