Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig erinnert – dem (furchtbaren) Namen gemäß – an eine Schlacht im Oktober 1813, während der russische, preußische, österreichische und schwedische Soldaten auf die napoleonischen Truppen Frankreichs trafen. Über eine halbe Million von ihnen kämpften damals in Leipzig und trugen auf diese Weise die bis dato größte militärische Auseinandersetzung vor den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts aus. Zum 100. Jahrestag des Krieges errichtete man 1913 in Leipzig das fast 100 Meter hohe Völkerschlachtdenkmal. Dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg 1871 gedachte man in Leipzig von 1888 an mittels des Siegesdenkmals auf der Höhe des Alten Rathauses. Im Zweiten Weltkrieg überraschenderweise unbeschädigt, wurde es 1946 auf Anraten und Beschluss der SPD – wegen seiner »Versinnbildlichung des Militarismus« – abgebaut und schließlich eingeschmolzen.
Exakt fünf Wochen vor der Einweihung des Siegesdenkmals zu Leipzig, bei der der sächsische König Albert sowie Generalfeldmarschall von Moltke aufgrund ihrer Abbildung in Bronze auf dem Siegesdenkmal-Sockel höchstselbst anwesend waren, wurde hier in Leipzig, am 11. Juli 1888, Johanna Magdalena Beyer geboren. Über ihren Lebensweg, so MuGi-Autorin Constanze Holze in ihrem Johanna-Beyer-Artikel, sei bisher wenig bekannt. Zunächst studierte sie Musiktheorie und Klavier in Leipzig und siedelte von dort in die USA über. Weiter schreibt Holze, über Beyers ersten Amerika-Aufenthalt ließe sich momentan nur spekulieren: »Möglicherweise war er (der Forschungs- und Studienaufenthalt in den USA) durch eine journalistische Tätigkeit bedingt, denn sie selbst bezeichnete sich in einem Meldeformular als ›Korrespondentin, Erzieherin, Musikstudentin‹. 1914 kehrte sie wieder nach Leipzig zu ihrer Familie zurück und studierte an einer privaten Musikerziehungseinrichtung Klavier, Musiktheorie, Gesang und Tanz. Nach ihrer Abschlussprüfung 1923 verließ sie Deutschland und kehrte in die USA zurück. Danach brach sie alle Kontakte zu ihrem Heimatland ab. Sie nahm privaten Kompositionsunterricht bei Dane Rudhyar, Ruth Crawford, Charles Seeger sowie Henry Cowell und schloss ein weiteres Musikstudium 1927 und 1928 an der New Yorker Mannes School of Music an. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, unterrichtete sie Klavier, wofür sie pädagogische Stücke schrieb, die in dem ›Piano Book‹ zusammengefasst sind.«
Andernorts heißt es, Beyer habe möglicherweise eine schwierige Liebesbeziehung mit besagtem Henry Cowell (1897–1965) unterhalten und freiwillig als seine Assistentin gearbeitet (Melissa de Graaf: Never Call Us Lady Composers: Gendered Receptions at the New York Composers’ Forum, 1935–1940, Champaign 2008). Trotz angeblichen dauerhaften Misserfolgs seien ihre Werke regelmäßig zu hören gewesen, so ihre Three Songs für Sopran, Klavier und Schlagzeug aus dem Jahr 1933. John Cage habe sich zudem regelmäßig für die Aufführung von Werken Beyers eingesetzt – und auch in Sachen Bühnenwerke wurde man immer wieder auf Johanna Beyer aufmerksam.
Am Ende ihres Lebens litt Beyer an der Muskelkrankheit ALS. Sie starb am 9. Januar 1944 im Alter von nur 55 Jahren in New York City.
Johanna Beyer (1888–1944)
Music of the Spheres für Elektronik (1938)
Johanna Beyer hinterließ ein eindrückliches Oeuvre. Quantitativ verteilen sich ihre Werke fast ausgeglichen auf die Bereiche Kammer-, Solo- und Orchestermusik. 1938 entstand ihr Stück Music of the Spheres für Ensemble, das als erstes elektroakustische Werk einer Frau überhaupt gilt. Ein elektronisches Löwenknurren steht als Ouvertüre vor dem »eigentlichen« Werk. Witzig und verstörend zugleich. Dann übernimmt ein dumpfer, mittelhoher Puls, dazu erklingen höhere Sinusklänge, wie sich verändernde Tinnitus-Sounds, die allerdings fast so etwas wie eine melancholisch-filmmusikalische Melodie exponieren. Der Puls wird schneller; man wähnt sich in einem spacigen David-Lynch-Film voller Geheimnisse, unguter wie ironischer Vorzeichen. Eine absolut erstaunliche Musik. Irre. Avantgardistisch. Irritierend. ¶