Im Frühsommer 1821 häufen sich die Geburtstage bedeutende Frauen, die man anscheinend heute fast schon wieder vergessen hat: Amalie Dietrich zum Beispiel, geboren am 26. Mai 1821 im damaligen Königreich Sachsen, wurde zu einer einflussreichen Wissenschaftlerin, die nach Australien reiste, um die dortige Botanik und Zoologie zu erforschen. Sie entdeckte weit über 600 Pflanzenarten.

Am 12. Juni 1821 wurde Luise Büchner in Darmstadt geboren, die 1866 in den Dienst für die Großherzogin Alice von Hessen und bei Rhein eintrat. Seit 1862 war Letztgenannte zugleich, seit ihrer Hochzeit mit Ludwig IV. (Hessen-Darmstadt), Alice von Großbritannien und Irland. Die Geburt von Alice hatte damals, weil sie als Mädchen auf die Welt kam, alles andere als Jubel ausgelöst: So musste sich ihre Mutter – Königin Victoria – sogar diesbezüglich Kondolenz-Schreiben von hochrangigen Persönlichkeiten gefallen lassen. Prinzessin Alice setzte sich dafür später – und zwar zusammen mit der Schriftstellerin Luise Büchner – für die Rechte und für die Gesundheit von Frauen ein und gründete gleich mehrere Frauenvereine; unter anderem, um die bis dato nur »freiwillige« (sprich: unbezahlte) Tätigkeit einer Krankenpflegerin als einen vollwertigen (und bezahlten) Beruf anerkennen zu lassen.

Am 6. Mai 1821 wurde in Stockholm außerdem Emilie Holmberg geboren. Bereits 1836 veröffentlichte sie, eine Tochter von Nicht-Musik-Profis, ihre ersten Kompositionen. Bei dem (ebenfalls nur in Schweden bekannten) Erik Drake (1788–1870) studierte sie in Stockholm Komposition, bei dem ebenso nicht international in Erscheinung getretenen Johan Peter Cronhamn (1803–1875) Gesang.

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Die frühen 1840er Jahre waren vergleichsweise aufregend, schließlich gründete Holmberg 1841 ihr eigenes Musikinstitut und wurde anschließend Mitglied der Royal Swedish Academy. Anschließend trat sie eine Reise in die »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Walter Benjamin) an. Dort, in Paris, besuchte sie ihre Landsfrau Julia Nyberg (in Schweden durch ihre naturnahen Dichtungen bis heute in aller Munde) – und aus dieser Begegnung entstand eine gute Freundschaft.

Auch heiratete sie in den 1840er Jahren den im Messing-Geschäft tätigen Peder Hjalmar Hammarskjöld (1817–1861). Offenbar hatte Gatte Hammarskjöld aber in Schweden nicht ganz »sauber« gearbeitet. Jedenfalls verschwanden Emilie und er für ein paar Jahre nach Amerika. Immerhin konnte Emilie in den USA eine honorable Gesangskarriere entfalten – und auch ihre pianistischen Fähigkeiten führten zu lukrativen Engagements.

Emilie nahm bald eine Organistinnenstelle an der St Peter Cathedral in Charleston (South Carolina) an. Die dreifache Mutter starb am 26. März 1854 in Charleston. Sie wurde nur 32 Jahre alt. Angaben zur Ursache ihres frühen Todes finden wir nicht.


Emilie Holmberg (1821–1854)
Vårlängtan eller Ebbas första kyss (1841)

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Von Emilie Holmberg sind offenbar nur einige Kunstlieder überliefert. Vårlängtan eller Ebbas första kyss wurde im besagten Erfolgsjahr 1841 veröffentlicht. Den Text lieferte ihre Freundin Julia Nyberg, die eigentlich Christina Juliana Sverdström hieß – und eine Vielzahl ihrer Werke unter dem Pseudonym »Euphrosyne« publizieren ließ.

Das schöne Gedicht erzählt von dem Aufbruch (oder sollte man besser sagen Ausbruch?) einer jungen Frau, die »dem Lärm der Stadt einen Besuch« abstattet (also ihre ländliche Heimat verlässt). Das Aufbruchsgefühl wird dabei poetisch mit allerlei »Frühlings-Mobiliar« bestückt. Am Klavier begegnet die junge Frau einem Mann – im Zeichen von Mozarts Zauberflöte! Aber die Freude ist offenbar nur von kurzer (lieblicher) Dauer. Am Ende ist der junge Mann verschwunden – und es bleibt die Einsicht: »Die Sehnsüchte des Frühlings sind gefährlich«.

Im Walzer-Takt schwingt sich das Lied von Emilie Holmberg schnell ein. Lange Triller im Klavier bringen ein bisschen Spannung hinein. Die Gesangsstimme gibt sich ganz natürlich-kreatürlich, derweil sich die Klavierbegleitung von Strophe zu Strophe ein wenig ändert. Auch hören wir volkstümliche Parallel-Terzen im Klavier. Wäre man nicht in Schweden (beziehungsweise in Paris, wo das Lied ja eventuell »spielt« …): Man würde nur zu gerne mitjodeln!

Das Lied von Emilie Holmberg sollte man keineswegs unterschätzen. Im Kleinen geschehen hier (im Klavier) Dinge, die vor allem auch den Interpretinnen und Interpreten Spaß machen dürften. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.