Am 29. Januar 1730 stirbt Kaiser Peter II. von Russland an den Pocken. Am 3. Februar erscheint in London die damals wichtigste englische Tageszeitung – The Daily Advertiser (bis 1798) – zum allerersten Mal. Ebenfalls in London erlebt Georg Friedrich Händels Oper Partenope am 24. Februar 1730 am King’s Theatre am Haymarket ihre Uraufführung. Und nach fast vier Monaten »Verhandlung« wird am 12. Juli des Jahres der fast blinde Lorenzo Corsini zum Papst-Nachfolger des am 21. Februar verstorbenen Benedikts XIII. gewählt und nimmt den Namen Clemens XII. an.
Elisabetta de Gambarini wird wenige Wochen später – am 7. September 1730 – in Marylebone geboren. Marylebon war damals ein Teil der Grafschaft Middlesex und ist heute ein Stadtteil von London. Gambarinis aus Dalmatien stammende Mutter Giovanni Paula Stradiotti, die bis 1774 lebte, hatte noch drei weitere Kinder, die jedoch alle im Kindesalter verstarben. Der aus der Musikstadt Lucca stammende Vater Charles Gambarini (gestorben 1754) war als Bibliothekar und Antiquitätenverwalter beraterisch für den Landgraf von Hessen-Kassel tätig. Andere Quellen besagen, dass Charles Gambarini möglicherweise (auch) als Musiker arbeitete, was angesichts seiner erwähnten Herkunft nicht unmöglich erscheint.
Elisabetta de Gambarinis Talent muss früh erkannt worden sein. Unter anderem wird sie immer wieder als mögliche Schülerin des äußerst einflussreichen und stetig gerühmten Violinvirtuosen und Komponisten Francesco Geminiani (1687–1762) gehandelt. Das scheint nicht undenkbar, stammte Geminiani doch – wie Elisabetta de Gambarinis Vater – aus Lucca und hielt sich seit 1714 fast ausschließlich in England und Irland auf.
In London wurde Elisabetta de Gambarini schnell zur bekannten Sängerin. Als 17-Jährige sang sie 1747 die Rolle der Israelitin in der Uraufführung von Händels Oratorium Judas Maccabaeus. Ebenfalls 1747 übernahm sie einen Part in der Uraufführung von Händels – heute weit weniger bekanntem – Oratorium Joseph and his Brethren.
Neben ihren sängerischen Erfolgen tat sich Gambarini als äußerst versierte Organistin und Cembalistin hervor – und wurde von Geminiani und Händel öffentlich gelobt, auch und gerade für ihre eigenen Werke, die Dank der Qualität der Arbeiten und der Popularität der Interpretin Gambarini bald im Druck erschienen. Gambarini widmete dem damaligen Prince of Wales Georg III. (von 1760 bis 1801 König von Großbritannien und Irland sowie ab 1814 König von Hannover) ihre Cembalo-Sonaten op. 1 (1748), trat noch weitere Jahre erfolgreich an den wichtigsten Spielstätten Londons als Sängerin, Cembalistin, Organistin und Komponistin auf und starb am 9. Februar 1765 im Alter von nur 34 Jahren in Westminster, London.
1764 hatte sie den weiter nicht bekannten Etienne Chazal in der berühmten Kathedrale St Martin-in-the-Fields geheiratet. Es wird spekuliert, ob Elisabetta Gambarini möglicherweise bei der Geburt eines Kindes starb. Andere Quellen geben schlichtweg als Todesursache »unbekannt« an, doch starb Gambarini auf dem Höhepunkt ihrer Bekanntheit…
Elisabetta de Gambarini (1730–1765)
Sonate für Cembalo C-Dur op. 1 No. 5 (1748)
Die erste der Widmungs-Sonaten für den Prince of Wales in C-Dur ist für eine 18-Jährige ein erstaunlich reifes Stück. Die an keiner einzigen Stelle durchbrochene Zweistimmigkeit verweist noch auf barocke Vorbilder, der spielerische Charakter auf die Musik der kommenden, spielerischen Vertreterinnen und Vertreter der klassischen Epoche.
Überhaupt ist Gambarinis Sonate ein hervorragendes Beispiel für das »Dazwischen« von Barock und Klassik. Hier sind nicht nur »Spuren« des Galanten Stils präsent, sondern fast alle »Kriterien« für diese hochbarocke-frühklassische Mischung erfüllt – und erfühlt: Leichtigkeit, erfrischender Ausdruck, Fokus auf die obere Stimme als »Melodiestimme«, plastische Satzstruktur, spielerischer Charakter.
Typische klavieristische Techniken, wie das komplementäre, sich wechselseitig ergänzende motivisch-rhythmische »Ineinander-Fallen« von Tongruppen zwischen rechter und linker Hand finden sich hier und erinnern beispielsweise ein wenig an analoge Stellen der sieben Jahre zuvor entstandenen Bachschen Goldberg-Variationen.
Das schöne Nebeneinander von klassizistischer Leichtigkeit – erkennbar an den aufspringenden gebrochenen Dur-Dreiklängen – und »barocker Schwere« wird auch da hörbar, wo Gambarini schon im fünften Takt kühn von einfachen Kadenzierungen zu einem schweren, engschrittigen Gang nach unten (Passus duriusculus) wechselt. Wäre sie doch nur viel viel älter geworden… ¶