Den vielen asiatischen Musiker:innen, die an deutschen Hochschulen studieren, begegnet man nach dem Studium in der E-Musik-Öffentlichkeit nur ausschnitthaft wieder; beispielsweise in Symphonieorchestern, vielmehr noch aber – vor allem auf Männerseite – in deutschen Opernchören. Dabei spielt wohl auch der in der Klassikwelt nach wie vor fest verankerte anti-asiatische Rassismus eine Rolle.

Auch asiatische Komponistinnen sind von dieser späteren Nicht-Sichtbarkeit ihres künstlerischen Tuns zum Teil betroffen. Man kennt Younghi Pagh-Paan (* 1945) und Un-suk Chin (* 1961), die am 4. April 1953 im chinesischen Guangzhou geborene Chen Yi schon weniger. Sie war eine Art Pionierin in ihrem Heimatland, denn sie gilt als erste Frau, die sich am Zentralkonservatorium für Musik in Peking ihren Studienabschluss (Master of Arts) im Fach Komposition erarbeitete. Mit 33 Jahren (1986) verließ Yi ihre Heimat und studierte nun an der Columbia University in New York bei Chou Wen-chung (1923–2019) und Mario Davidovsky (1934–2019). 1993 beendete sie an der Columbia die Arbeit an ihrer Dissertation. Von 1996 unterrichtete Chen Yi selbst Komposition an der Johns Hopkins University in Baltimore. Zwei Jahre später berief man sie auf eine Kompositionsprofessur an der University of Missouri-Kansas City.

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1999 heiratete Chen Yi den Komponisten Zhou Long (* 1953), der an besagter Universität in Kansas City auch eine Professur für Komposition erhalten hatte (und 2011 den Pulitzer Prize of Music zugesprochen bekam; seine Frau wählte man 2006 in das Finale des besagten Wettbewerbs). Chen Yi – inzwischen 69 Jahre alt – ist bis heute eine in den USA sehr gefragte Komponistin. Seit 2019 ist sie Mitglied in der American Academy of Arts and Letters.


Chen Yi (* 1953)
Spring Festival für Blasorchester und Schlagzeug (1999)

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Chen Yi hat eine Vielzahl von kompositorischen Arbeiten vorgelegt, die sich quantitativ fast jeweils gleichwertig auf die Bereiche Musik für Solo-Instrumente, Kammermusik, Vokalmusik sowie Werke für Orchester mit und ohne Solo-Instrument verteilen. Nur ein Bühnenwerk entstand offensichtlich bisher noch nicht.

1999 komponierte Chen Yi ihr Spring Festival für das University of Minnesota Symphonic Wind Ensemble. Von Anfang offenbar wird die musikalische Verwurzelung der Komponistin, was die Andockung an ihre eigenen (chinesischen) Traditionen angeht. So sind die ersten Takte des Stückes rein rhythmusbasiert: Nur Congas, Tom-toms sowie Peking-Opern-Gongs und chinesische Mini-Becken machen den Anfang. Das klingt für mit westeuropäischer Klassik sozialisierte  Ohren wie die Einleitung zu einem rituellen Zeremoniell oder wie der Eintritt in ein traditionelles Stück asiatischen Musiktheaters. Nach wenigen Momenten jedoch kommen die Bläser zu ihrem Recht und bringen eher (auch in ihren temporären Reibungen) »typische amerikanische« Fanfaren-Klängen (mit Gershwin, Bernstein und Copland im Gepäck). Lustig resultiert ein Mix von scheinbar »asiatischen« Einkreisungen im Zusammenwirken mit rhythmuszentrierten US-Brass-Momenten. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.