Ein Gespräch mit Hyuneum Kim über anti-asiatischen Rassismus im Alltag und im Klassikbusiness.
In der Nacht zum 25. April sitzen die Südkoreanerin Hyuneum Kim und ihr Ehemann Sejin Lee in der Berliner U-Bahn auf dem Weg nach Hause, als sich in der U7 drei Männer und zwei Frauen in ihrer Nähe niederlassen. Nach Angaben von Kim und Lee, die beide als einzige einen Mundschutz tragen, soll einer der Männer mehrmals laut »Happy Corona«, »Corona Party« oder »Corona Day« gerufen haben und dabei auf die 25-Jährige und ihren 31-jährigen Begleiter gezeigt haben. Kim und Lee »führten dies auf ihr asiatisches Erscheinungsbild zurück«, wie es in der Amtlichen Polizeimeldung heißt. Die beiden Frauen hätten daneben gesessen und gelacht. Als Kim die Gruppe mit ihrem Handy zu filmen beginnt, eskaliert die Situation, es kommt zu Rangeleien und weiteren anzüglichen Gesten der drei Männer. Als die U-Bahn den Bahnhof Fehrbelliner Platz erreicht, versuchen Lee und Kim die mutmaßlichen Täter an der Flucht zu hindern, bis die Polizei eintrifft. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, von denen laut Kim die Prellungen und blauen Flecken stammen, die die Ärzte später bei ihr feststellen. Trotzdem gelingt den mutmaßlichen Tätern die Flucht. Als die Polizei eintrifft, so erinnert sich Kim, habe einer der Polizisten als erstes gesagt, ein Corona-Witz sei doch kein Rassismus. Noch in derselben Nacht rufen Kim und Lee beim Notruf der koreanischen Botschaft an, außerdem teilen sie Fotos und Videos des Übergriffs auf Facebook. Der Fall schlägt hohe Wellen, in Südkorea wird in den Hauptnachrichten berichtet, in Deutschland unter anderem in der Süddeutsche Zeitung und der Berliner Morgenpost, er ist auch Thema eines Telefonats zwischen Kim Jung-sook, Frau des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, und Elke Büdenbender, Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In Berlin nimmt sich die koreanische Botschaft der Sache an. Der Vizekonsul begleitet Kim und Lee zum Dezernat 533 für politisch motivierte Straftaten beim Landeskriminalamt, wo die Aussagen der beiden sieben Stunden lang aufgenommen werden. Hyuneum Kim und Sejin Lee leben seit fünf Jahren in Deutschland, sie studiert Sopran an der Universität der Künste, ihr Mann Architektur an der Technischen Universität. »Ich ziehe mich gerade viel zurück und singe zu Hause, das ist für mich überlebensnotwendig und der Kanal für die Trauer und den Schock«, sagt Hyuneum Kim beim Gespräch Anfang Juni im Wohnzimmer ihrer Wilmersdorfer Wohnung.

VAN: Wie geht es Ihnen?
Kim: Es geht mir mal besser, mal schlechter als zu Beginn. Am Anfang dachte ich, ich wäre nicht traumatisiert, aber mit der Zeit ist es schlimmer geworden, vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn es irgendwie geht, versuchen wir mit Freund:innen im Auto zu fahren oder mit dem Taxi.

Was waren die Gründe dafür, dass Sie sich entschieden haben, Ihren Fall in Sozialen Netzwerken zu teilen?
Es gab zwei: Zunächst einmal wusste ich nicht genau, wie ich mit der Situation umgehen sollte und war mir sicher, dass irgendjemand in der Facebook-Gruppe einen guten Rat hätte. Parallel hatten wir uns ja auch an die koreanische Botschaft gewandt. Der zweite Grund war, dass ich dachte, dass ich dieses Mal nicht schweigen dürfte, weil neben mir sehr viele andere hier lebende Asiat:innen davon betroffen sind. Ich habe in den letzten Jahren zu viele ähnliche Erfahrungen von sexueller Belästigung, Rassismus und Catcalling gemacht. Jetzt musste es raus.
Wie oft machen Sie solche Erfahrungen?
Bestimmt 500 Mal, seit ich vor 5 Jahren in Berlin ankam. Manchmal mehrmals am Tag. Einmal war ich am Berliner Hauptbahnhof und der Besitzer eines Restaurants machte zu mir diese Geste [boxt sich mit der Faust in die eigene Hand], keine Ahnung was das bedeuten sollte, irgendeine asiatische Kampfsportgeste. Danach saß ich in der U-Bahn und ein Typ machte sowas [klopft sich mit den Händen auf die Oberschenkeln], als ›Einladung‹, mich auf seinen Schoß zu setzen. Das passiert oft. Wenn ich durch die Straße gehe, rufen Leute ›Konnichiwa‹ oder ›Ching Chang Chong‹ oder machen vulgäre Gesten. Es sind vor allem Männer.

Wie gehen Sie damit um?
Ich habe mich nicht dran gewöhnt, aber habe meine Haltung geändert. Ich habe festgestellt, dass es umso öfter passiert, wenn ich mein normales Gesicht zeige. Also mache ich jetzt immer ein ernstes, verkniffenes Gesicht, wenn ich durch die Stadt gehe, weil ich dann weniger angesprochen werde. Diese Erkenntnis war so etwas wie ein Schlüsselmoment. Meine Gesichtsmuskeln haben sich schon verfestigt und nach unten gezogen, weil ich jetzt immer mit einem ernsten Gesicht durch die Straßen laufe. Das ist übrigens gar nicht gut für das Singen.
Macht Ihr Mann dieselben Erfahrungen?
Ich glaube weniger, auch wenn ich mit ihm zusammen unterwegs bin, kommt es seltener vor. Manchmal ignorieren wir es, manchmal nicht.

Was machen Sie, wenn Sie es nicht ignorieren?
Ich schreie laut. Einmal liefen wir zusammen über den Hermannplatz, und ein Junge stellte sich vor uns und machte wieder so eine Kampfsportgeste. Ich war so wütend, dass ich hinter ihm her lief. Er ist dann schnell in einen McDonalds rein. Wir sind hinter ihm her und ich habe ihn angeschrien, warum er das gemacht habe, was er sich dabei gedacht habe. Er fing an zu zittern und flehte, dass ich aufhören solle. Manchmal denke ich, die Leute, die so etwas machen, haben selbst sehr große Ängste und wissen eigentlich, dass es falsch ist. Sie denken wir sind klein und schwach. Aber das stimmt nicht. Bei diesem Vorfall Ende April in der U-Bahn griff ich den einen Kerl, der mich belästigt hatte, so fest, dass er sich nicht losreißen und flüchten konnte. Sie sollen nicht weiter denken, dass asiatische Frauen schwach sind und immer höflich, egal was man zu ihnen sagt. Ich bin es nicht, ich habe da keine Geduld mehr. Auch wenn es als Ausländer:in keine einfach Entscheidung ist, den Mund aufzumachen, weil wir keine Probleme haben wollen mit unseren Aufenthaltsgenehmigungen.
Glauben Sie, rassistische Übergriffe gegenüber Asiat:innen sind mit der Corona-Krise schlimmer und zahlreicher geworden?
Ja, absolut. Ich glaube, all diejenigen, die immer schon rassistisch gedacht haben, trauen sich nun, es offen zu zeigen. Gleich am Tag nach der U-Bahn Attacke hatte ich die nächste Erfahrung damit. Es war ein schöner, sonniger Tag und wir fuhren nach Potsdam, um Freund:innen zu treffen. Als wir dort vor einem Modegeschäft standen, sagte eine Frau, die dort wohl arbeitete, zu mir ›Corona‹. Ich war so wütend, dass es wieder passierte. Ich wollte etwas starkes erwidern, aber hatte nicht die Energie, den ganzen Stress erneut durchzumachen. Also bin ich einfach nach Hause. Der Tag war für mich gelaufen.
Haben Sie auch an der Universität ähnliche Erfahrungen gemacht?
Nein, im Gegenteil, ich möchte mich bei unserem Präsidenten bedanken. Letzten Monat hat er sich in einer Mail an alle Studierende und Mitarbeitenden der Universität ausdrücklich antirassistisch positioniert.
Was war der Grund dafür, dass Sie sich entschieden haben, in Deutschland Gesang zu studieren?
Ich glaube der Hauptgrund war, dass ich das Gefühl hatte, dass hier meine Musik besser verstanden und ihr mit größerer Sorgfalt zugehört würde. In Südkorea ist es ein bisschen traurig. An den meisten Universitäten bewerben sich dort zum Beispiel Hunderte von Sängerinnen für die Gesangsfächer, und beim Auswahlprozess wird jeder Bewerberin nur 60 Sekunden zugehört, weil sich so viele für die Aufnahmeprüfung bewerben. Das finde ich nicht fair. An deutschen Hochschulen nimmt man sich mehr Zeit. Außerdem haben koreanische Sänger:innen oft eine sehr gute Technik, aber das Musikalische müssen sie meist noch lernen. Ich war in Südkorea auf einem Musikgymnasium – wenn ich das Studium dort mit dem an der UdK vergleiche, dann fällt auf, wie unterschiedlich die Akzente sind. Natürlich geht es hier auch um Technik, aber viel mehr um den musikalischen Ausdruck.
Wie war der Einstieg für Sie an der Universität?
Wir sind sehr gut aufgenommen worden, die UdK ist ja eine sehr internationale Uni. Ich hatte ein paar Probleme in einigen Kursen, weil ich kaum Deutsch sprach, aber die Lehrer:innen haben das Beste gegeben und oft auf Englisch erklärt. Meine erste Professorin, Julie Kaufmann, war außerdem US-Amerikanerin. Ich hatte nicht so viele Schwierigkeiten, außer in Musiktheorie … immer noch (lacht).

Eine Kollegin, die an der UdK in der Hochschulpolitik aktiv ist, hat mir erzählt, dass Musiker:innen, die aus asiatischen Ländern zum Studium nach Deutschland kommen, in den offiziellen hochschulpolitischen Gremien wenig eingebunden seien. Woran könnte das liegen?
Ich denke bei koreanischen Studierenden hat es zu tun mit dem Bildungssystem, in dem sie aufgewachsen sind. Wenn Lehrer:innen etwas sagen, hat man es zu befolgen und nicht in Frage zu stellen. Bei mir war das ähnlich, ich hatte anfangs an der UdK Schwierigkeiten, Fragen zu stellen, weil die Namen der Professor:innen so respekteinflößend waren. Viele koreanische Student:innen sprechen außerdem nicht Deutsch wie ihre Muttersprache. Ich würde mich zum Beispiel eigentlich gerne mehr einbringen, auch bei Wahlen, aber zögere, weil ich das Gefühl habe, die Sprache nicht gut genug zu beherrschen und nicht alles zu verstehen. Mein Mann, der in Südkorea Vorsitzender einer Studierendengewerkschaft war, hat mir erzählt, wie gering deren Einfluss dort ist im Vergleich zu Deutschland. Alle wichtigen Entscheidungen werden von der Fakultät getroffen, die Student:innen organisieren da maximal noch Kleinigkeiten wie Ausflüge oder gemeinsame Abendessen.
Glauben Sie, dass Sie als koreanische Sopranistin dieselben Chancen in der Klassikwelt haben wie – sagen wir – eine weiße deutsche oder französische Sängerin?
Nein.
Wieso nicht?
Ich habe einfach von vielen Seiten gehört, wie schwer es ist, als asiatische Sängerin zum Beispiel Einladungen für ein Vorsingen zu bekommen. Bis jetzt habe ich noch nicht viele Erfahrungen diesbezüglich gemacht, aber natürlich mache ich mir Sorgen. Mein Nachname ist Kim, mein Vorname ist schwer auszusprechen. Es gibt diese Ansicht, dass Asiat:innen zu schüchtern seien und es auch deshalb schwierig sei, mit ihnen zu arbeiten. Außerdem sehen wir ›anders‹ aus. Eine ehemalige Lehrerin hat mir gesagt: ›wenn Du auf die Bühne willst, musst doch noch schöner singen, noch talentierter und perfekter sein als die westlichen Sänger:innen, weil Du anders aussiehst.‹
Welchen Weg möchten Sie als Sopranistin einschlagen?
Gute Frage. Ich habe mich wirklich ins Lied verliebt. Im Moment studiere ich Schumanns Liederkreis, besonders das Lied Mondnacht bringt mein Herz zum Schmelzen. Die Schönheit und Geschichte der Lieder würde ich gerne auch Menschen in Korea näherbringen. Im Moment arbeite ich an der UdK auch in zwei Opernprojekten, Frühlingserwachen von Máté Bella und Georgia Bottoms von Gergely Vajda. Mit Oper tat ich mir am Anfang etwas schwer, aber mittlerweile fühle ich mich wohler, es fällt mir leichter, mich auch kulturell in die Charaktere und die Geschichten hineinzuversetzen.

Sie sind für Ihr Studium nach Deutschland gekommen und leben seit fünf Jahren in Berlin. Hat sich Ihre Perspektive auf das Land und die Gesellschaft aufgrund der Diskriminierungserfahrungen verändert?
Nein, ich weiß, dass es sehr viele gute Menschen gibt, die mich unterstützen und verstehen und Rassismus ablehnen. Viele haben mir jetzt Dinge geschickt, Briefe, CDs, Blumen, Schokolade … Das hat mich etwas beruhigt, weil ich das Gefühl hatte, nicht alleine zu sein. Aber es ist trotzdem schwer, immer noch. Ich bin ein sehr wütender Mensch geworden.
Wie waren die Reaktionen in Südkorea?
Es gab dort eine große Welle. Viele waren wütend, aber auch enttäuscht. Koreaner:innen haben ein sehr gutes Bild von Europa, und besonders von Deutschland. Wenn etwas ›Made in Germany‹ ist, vertrauen sie dem. (lacht) Dass es möglich ist, hier an einem öffentlichen Ort, in einer U-Bahn, so belästigt zu werden, bis hin zur Körperverletzung, hat sie schockiert. ¶