Chaya Arbel wurde am 18. Juni 1921 in Nürnberg in eine jüdische Familie hineingeboren, allerdings unter dem Namen Gerda Schloss. Schloss’ Mutter Diana, geb. Elsass (1896–1972) war Ludwigsburgerin und arbeitete als Kindergärtnerin. Vater Ludwig Schloss (1889–1957) war gebürtiger Nürnberger – und Kaufmann. Gerda hatte zwei Geschwister: Malka Schumckler und Ruth Schloss. Ruth wurde Malerin.

Den Namen Chaya Arbel nahm Gerda Schloss später an. »Chaya« kommt aus dem Romanes und heißt eigentlich »Mädchen«. Auf Hebräisch bedeutet Chaya »Mutter des Lebens«. Als Kind liebte Schloss das Klavierspielen. Ihr Ruf als hervorragende Pianistin wird auch über die (historischen) Stadttore Nürnbergs hinaus gedrungen sein. Doch die 1930er Jahre wurden für die jüdische Familie Schloss in Nürnberg immer unangenehmer, schlimmer, unerträglicher. Hier in Nürnberg wurde bekanntlich der Reichsparteitag ausgetragen, demzufolge gaben sich viele Bewohner:innen der Stadt besonders fanatisch. Die Zeit wurde knapp, die Repressalien härter. Und man zog daraus Konsequenzen. Als Gerda Schloss 1936 gerade einmal 16 Jahre alt war, reiste die Familie Schloss geschlossen nach Palästina aus. Dort wurde man schnell Teil der Kibbuz-Bewegung und wohnte auf dem Areal des Kibbuz Ha-Ma’pil (zwischen Haifa und Tel Aviv). Das Kibbuz existiert noch heute – man kann sich diese Hüttensiedlung auf wenigen Bildern online anschauen. Heute wohnen dort etwa 900 Menschen. Zur Zeit der Gründung des Staates Israel lebten etwa acht Prozent der Israelis in einem Kibbuz. (2014 waren es nur noch etwa zwei Prozent.) Gerda wurde zu Chaya. Ihr pianistisches Handwerk legte sie zunächst ab und arbeitete von nun an 25 Jahre im landwirtschaftlichen Betrieb des Kibbuz, möglicherweise weil Künstlerinnen und Künstler eher weniger begehrt waren.

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Mit über vierzig Jahren erkämpfte sich Chaya Arbel ihre künstlerischen Spielräume zurück – heiratete, und studierte bei Mordechai Seter (1916–1994), Abel Ehrlich (1915–2003) und Leon Schidlowsky (*1931). Dabei rezipierte sie vielerlei Gattungen und Stilistiken und wurde als Chaya Arbel zu einer der ganz wenigen quasi hauptberuflichen Komponistinnen Israels überhaupt, die zwischen 1920 und 1940 geboren wurden. Eigentlich ist sie sogar die einzige etwas bekanntere Komponistin Israels aus dieser Zeit. Vielleicht taucht in diesem Kontext noch Verdina Shlonsky auf, die 1905 geboren wurde und bis 1990 lebte, aus einer chassidischen Familie kam und 1948 den Bartók-Kompositionswettbewerb in Budapest gewann. Man denkt möglicherweise auch an die aus Tel Aviv stammende Yardena Alotin (1930–1994), Studentin des wohl mit bekanntesten israelischen Komponisten des 20. Jahrhunderts: Paul Ben-Haim (1897–1984).

1943 (im Alter von 22 Jahren) hatte Chaya Arbel bereits den Bibliothekar Shlomo Marcus geheiratet. Drei Jahre später ließen sie sich scheiden. 1944 war Tochter Esther geboren worden. Mit Daniel Arbel, einem Landwirt und Bibliothekar, kam es 1952 zur zweiten Heirat. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Avital (*1953), Naomi (*1955) und Itai (*1961). Arbel gründete 1966 in Ein Shemer eine Musikschule und erhielt für diese und andere musikstrukturelle Verdienste 1990 einen Ehrenpreis. Sie komponierte offenbar etwa dreißig Stücke, meist Kammermusik, aber auch Symphonisches.

Chaya Arbel starb 2007 im Alter von 86 Jahren.

Erstmals taucht in dieser Serie keine Musik-Besprechung auf. Denn es gibt auf den Streaming-Plattformen und auf YouTube kein einziges Werk von Chaya Arbel, das wir hören können. Das muss sich ändern. Sowohl in den Archiven der Rundfunkanstalten gibt es (leider noch unveröffentlichtes) Material – und auch die Noten zu ihren Werken sind problemlos recherchierbar. Es wird Zeit für neue Einspielungen! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.