Die letzten 22 Amtsjahre von Wladimir Putin waren geprägt von militärischen Aggressionen und Menschenrechtsverletzungen, die einhergingen mit einer Kultur der Angst und des Schweigens. Proteste gegen den Präsidenten und seinen Regierungsstil wurden gewaltsam niedergeschlagen, zivilgesellschaftliche Akteure, unabhängige Parteien, Medien und NGOs systematisch unterdrückt.

Nach Putins Kriegserklärung gegen die Ukraine und dem Beginn der Invasion am Donnerstag schweigen viele Russ:innen jedoch nicht. Aus einer Reihe russischer Städte werden in den Sozialen Netzwerken Mahnwachen gegen den Krieg gezeigt, die von der Polizei teils brutal unterbunden werden. Gleichzeitig bringen viele russische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ihre Empörung und ihr Entsetzen über Putins Handeln zum Ausdruck, darunter auch zahlreiche Künstler:innen der klassischen und zeitgenössischen Musikszene. Auf Nachfrage haben uns viele Statements von Musiker:innen, Dirigenten und Komponist:innen erreicht. Außerdem stellen wir hier Äußerungen zusammen, die auf anderen Plattformen veröffentlicht wurden. Die Sammlung wird laufend aktualisiert. 


Kirill Gerstein, Pianist

© Marco Borggreve

Dieser Krieg und vor allem die barbarische militärische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung sind völlig inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen. Ich verabscheue das gewaltsame Vorgehen der russischen Regierung und fühle und trauere mit ihren Opfern in der Ukraine und anderswo.


Polina Korobkova, Komponistin

Im Licht der aktuellen Ereignisse ist mir klar geworden, dass es meine oberste Pflicht ist, diese E-Mail zu schreiben und meinen Standpunkt deutlich zu machen, denn das ist das Einzige, was ich tun kann, um zu helfen. Mit diesem Schreiben möchte ich Dir und allen, die Dir nahestehen, zeigen, dass es viele Menschen mit russischem Pass gibt, die, wie ich, im Moment Schuld und Scham fühlen. Die [russischen] Massenmedien zeichnen ein anderes Bild, welches aber nicht stimmt. 

Wir wissen nicht, wie wir mit dem Grauen leben sollen, das Russland und insbesondere Putin über die Ukraine und die ganze Welt gebracht haben. All unsere Gedanken sind beim ukrainischen Volk, ihnen gilt unsere volle Solidarität. Ich, meine Eltern und Großeltern und meine russischen Freund:innen und Kolleg:innen sind absolut gegen diesen Krieg. Ich persönlich bin zutiefst beschämt, schockiert, am Boden zerstört und wütend über die Schritte, die das Land, in dem ich leider geboren bin, unternommen hat. 

Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich durch meinen Geburtsort unfreiwillig ein Teil davon bin, auch wenn ich diesen Präsidenten nie gewählt habe. Als ich geboren wurde, war er schon da. Wir haben ihn nie gewählt, wir haben ihn, sein Vorgehen und seine Entscheidungen nie unterstützt, genauso wenig wie das System, das er aufgebaut hat. Wir haben diesen Krieg nie gewählt – es ist sein Krieg, nicht unserer. 

Ich habe das Glück, in Deutschland zu leben und zu studieren – ich gehe demonstrieren und weiß mich in Sicherheit, wenn ich Haltung zeige, während meine Freund:innen und Kolleg:innen in Russland ins Gefängnis geworfen werden, wenn sie ihre Stimmen gegen diesen Wahnsinn erheben. Im Moment werden ungefähr 6.500 Menschen brutal festgehalten, weil sie demonstriert haben. Manche haben ihre Jobs verloren oder freiwillig gekündigt, als Zeichen des Protests.  

Mir fehlen die Worte, um das auszudrücken, was ich im Moment fühle. Ich möchte nur sagen, wie unendlich leid mir das alles tut. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass so etwas passieren könnte. 

Also: Stop Putin, stop Russia – stand with Ukraine!


Ivan Bushuev, Flötist und Komponist

Es gibt nichts Wertvolleres als das menschliche Leben. Es gibt nichts Schlimmeres als Krieg. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Lüge. 

Für alles, was wir jetzt sehen, ist der Kreml unter der Führung eines Wahnsinnigen verantwortlich, der Unschuldige tötet, die Ehrlichen einsperrt und alles zerstört, was sich ihm in den Weg stellt. Ich habe ihn nie gewählt, niemand, den ich kenne, hat ihn gewählt. Ich fühle mich schwach und hilflos. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es gibt keine Erklärung für das, was in der Regierung des Landes, dessen Bürger ich bin, vor sich geht. Ich wurde für Jahre beschämt und verletzt. Ich möchte die Bürger:innen der Ukraine, denen wir Schmerz und Unglück bringen, um Verzeihung bitten, denn heute ist es unmöglich, nicht an die Verantwortung von uns allen für das, was geschieht, zu denken. Wie können sie es wagen, normale Bürger:innen anzugreifen? Wenn diese wenigen Menschen auf die Straße gehen und friedlich »Nein zum Krieg!« fordern, werden sie entweder in einen Polizeiwagen gezerrt oder ihnen wird eine Geldstrafe verhängt, weil sie von ihrem Recht der freien Rede, das jeder Bürgerin und jedem Bürger zusteht, Gebrauch machen! Wie können Menschen gezwungen werden, die Wahrheit zu ignorieren? Was für ein Haufen von Lügen, Dreck und Ungerechtigkeit!

Ich sage NEIN zum Krieg! NEIN zum Terror! NEIN zu Lügen und NEIN ZU PUTIN!

Слава Україні!!! Живе світ!

Natalia Pschenitschnikova, Komponistin, Interpretin, Performerin

© German Vinogradov

Erst jetzt, am fünften Tag des Krieges, finde ich Worte: Die ganze Zeit über hatte ich nur unzählige Offene Briefe unterschrieben und war zu Demonstrationen gegangen. Ich hatte das Gefühl, dass ich das in erster Linie für mich selbst tat. Um den Schmerz in mir zu lindern. Was ist mit dem Gebot »Du sollst nicht töten«? Es fühlt sich an, als würde ich Kinder töten, als würde ich Häuser in die Luft jagen, als würde Blut an meinen Händen kleben, weil es in meinem Namen geschieht. Jede Kugel, die in der Ukraine abgefeuert wird, jede Granate, die dort explodiert, trifft auch mich. Die mutige Ukraine, die sich gegen die wahnsinnigen Verbrecher, die sich Russland nennen, verteidigt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch mich, eine Russin, die all das zugelassen hat. Außerdem verteidigen sie die gesamte Welt, die zu lange versucht hat, Putin zu »verstehen«, entweder aus Selbstgefälligkeit oder aus dem Wunsch heraus, in einer Komfortzone zu bleiben, Geschäfte mit einem »lupenreinen Demokraten« zu machen. Ich möchte im Namen der ukrainischen Mütter schreien, deren Kinder durch den Beschuss getötet wurden, im Namen der russischen Mütter, deren Kinder zu Invasoren und Mördern gemacht wurden. Aber ich rufe in meinem eigenen Namen: Russland, stopp diesen Krieg! Ich will diesen schändlichen und verräterischen Krieg nicht! Es gibt immer noch zu viele Menschen in Russland, die manipuliert werden und denen die Möglichkeit, zu verstehen, was vor sich geht, genommen wird. Doch immer wieder gehen Andersdenkende auf die Straße und protestieren unter Einsatz ihres Lebens. Vielleicht wird uns um ihretwillen eines Tages verziehen. Ehre der Ukraine! Ehre den Held:innen! Russisches Kriegsschiff, verpiss dich!


Alena Baeva, Geigerin

© Jean-Baptiste Millot

Ich versuche, Worte zu finden für die Gefühle, die diese Situation in mir auslöst, aber ich glaube, sie wurden von anderen schon besser und ausführlicher beschrieben, zum Beispiel von Semyon Bychkov.

Selbst in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir Russlands Einmarsch in die Ukraine nicht ausmalen können. Es ist nicht hinnehmbar, internationale Rechte zu brechen und den Befehl zu so einem Disaster zu geben. Es ist nicht hinnehmbar, die Menschen, die in Russland leben, anzulügen, alle Medien zu kontrollieren und die strikteste Zensur durchzuführen, Journalist:innen und Politiker:innen zu ermorden und die Menschen zu manipulieren, damit sie glaube, dass alle um sie herum Feinde seien, die Russland zerstören wollen, und dass das russische Volk so kämpfen müsse, um buchstäblich zu existieren.

Mein Herz und meine Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine, die ungeheuer leiden und ihre Leben, ihre Lieben, ihr Zuhause, ihre Grundrechte, das, was sie zum Überleben brauchen, verlieren, weil das derzeitige politische Regime in Russland in beispielloser Weise gegen sie vorgeht. Ich wünsche mir so sehr, dass dieser unvorstellbare Krieg morgen zu Ende ist und dass es immer Wege geben wird, die Konflikte friedlich zu lösen.


Elena Revich, Geigerin

Ich hätte nie gedacht, dass ich Zeuge des Krieges sein würde. Ein sinnloser Krieg mit dem benachbarten Bruderland. Ich will aufwachen, aber das ist leider kein Traum, sondern eine erschreckende Realität. Unsere Situation im Land ist schwer wie nie zuvor, die Gesellschaft ist sehr gespalten, viele glauben noch an die mächtigste Staatspropaganda, die seit vielen Jahren aggressiv betrieben wird. Sie »inspiriert« Menschen mit den schrecklichsten Dingen. Ich denke, dass es fast nirgendwo auf der Welt Analoga zu unseren politischen Propaganda-Talkshows gibt. In dieser Hinsicht haben solche Talkshows und TV-Propaganda ihre finstere Rolle gespielt, indem sie diesen ganzen Krieg möglich gemacht haben und die Menschen bereit waren, alles zu akzeptieren. 

Der Rest der Menschen hat versucht und versucht immer noch, etwas zu ändern, aber die Stärke des Regimes und der Druck nehmen stündlich zu. Für alle, die anderer Meinung sind, kommen dunkle Tage. Ich denke, dass wir immer noch nicht all die schrecklichen Folgen dieses Krieges für uns abschätzen können.


Boris Filanovsky, Komponist

Ich habe noch nie eine solche Trauer, Taubheit und Panik (körperlich) erlebt – selbst als meine Eltern im Sterben lagen, selbst wenn ich einen Bruch mit den engsten Menschen erlebte. Eigentlich sollte ich gerade eine große Premiere in Russland haben, aber ich habe sie am Tag der russischen Invasion abgesagt und bin nach Berlin zurückgekehrt, weil es mir jetzt unmöglich ist, in Russland Musik zu machen, weder physisch noch ethisch. Und ich weiß nicht, was passieren muss, damit sich das ändert.

Obwohl nein, ich weiß es: Putin und seine Nazi-Junta sollten vernichtet oder als Kriegsverbrecher und internationale Terroristen vor ein internationales Tribunal gebracht werden. Aber selbst wenn dies geschieht, werden Russland als Land und die Russen als Nation diese Schande in absehbarer historischer Perspektive nicht abwaschen. Wir sind jetzt die neuen Deutschen, und wir brauchen eine Entnazifizierung.

Wir brauchen sie seit mindestens zehn Jahren, aber die russische Gesellschaft ist nicht immun gegen den Nazismus, die Russen glauben, dass die Gewinner nicht verurteilt werden. Deshalb pflanzen die russischen Behörden einen hässlichen Kult eines großen Sieges über Deutschland. Dazu gibt es ein russisches Sprichwort: Bei einem Dieb brennt sogar ein Hut.

Vor etwa fünf Jahren war ich auf einem Empfang bei Präsident Steinmeier und habe dort mit einigen deutschen Kollegen gesprochen und versucht, sie davon zu überzeugen, dass es unmöglich sei, mit Putins Russland zu verhandeln, dass der Staat in Russland von der FSB-Mafia wie Krebs aufgefressen wurde. Ich sah respektable Putinversteher vor mir, die nicht glauben konnten, dass so etwas möglich war. Ich hoffe, sie – und nicht nur sie – verstehen jetzt, was heutige russische Macht ist.


Elena Rykova, Komponistin

© Miri Davidovitz

Ich verurteile die russische Invasion in der Ukraine. Einen Krieg würde ich niemals unterstützen, egal welchen. Dieser Krieg richtet sich nicht nur gegen die Menschen in der Ukraine. Er richtet sich auch gegen die freien russischen Menschen, die in Russland oder im Ausland leben und seit Jahren gegen das totalitäre Regime kämpfen und darunter leiden. Jeder Schritt Putins in der Ukraine kostet Menschenleben auf beiden Seiten und zieht unvorstellbare Konsequenzen nach sich, sowohl kurz- als auch langfristig, psychologisch wie politisch. Putin hat sich entschlossen, uns die Zukunft zu rauben, die wir leidenschaftlich durch unsere Leben im Aufbauen begriffen waren.

Putin ist zu einer Gefahr für die Menschheit geworden. Aber seine Politik der Angst wird sich nicht länger durchsetzen. Wir werden unsere Stimmen erheben und handeln, um die Illusion der öffentlichen Unterstützung zu zerstören, die er mit seiner politischen Propaganda über die offiziellen russischen Medien zu erzeugen versucht. Von allen Russ:innen, die ich im In- und Ausland persönlich kenne, unterstützt ihn niemand. Sie alle sind entsetzt, voller Angst und Wut und tief verletzt durch die aktuellen politischen Ereignisse.

Jede russische Person, die ihre politische Meinung offen kundtut, riskiert, verfolgt und eingesperrt zu werden. Aber in diesem Kampf heißt es: jetzt oder nie. Wir haben den ›point of no return‹ überschritten. 

Meine Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine. Ich unterstütze sie, ich unterstütze die Redefreiheit, ich unterstütze den Frieden, und ich glaube immer noch an eine bessere Zukunft – eine Zukunft ohne Krieg, eine Zukunft ohne Angst und Korruption, eine Zukunft ohne Putin.


Philipp Chizhevsky, Dirigent

Krieg ist das Schlimmste, was es gibt! Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einem Aggressorland leben! Wir fordern die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen!


Elizaveta Miller, Pianistin

Was ich heute fühle ist Taubheit, Schrecken, Abscheu und Hass. Dieser Krieg richtet sich gegen jede Zelle in mir. Diese Regierung ist illegitim und kriminell. Was die Menschen in der Ukraine erleben, ist unvorstellbar und so, so ungerecht!

Was wir in Russland durchmachen, ist das Ende der Hoffnung. Wir haben uns nie Illusionen gemacht, ich habe dieses Regime nie gewählt, aber bis Donnerstag konnten wir noch in Unschuld leben und versuchen, friedlich zu protestieren und für den Frieden zu musizieren. Jetzt trauere ich mit jeder Note, die ich spielen kann, um die Toten, die verlorenen Hoffnungen und die verlorene Zukunft meines Landes. Ich stehe an der Seite des ukrainischen Volkes und glaube aufrichtig, dass seine Zukunft besser sein wird als die unsere, denn wir werden von einem Verrückten mit Bomben als Geisel gehalten und müssen mit dieser Schuld fertig werden.

Die Scham- und Schuldgefühle vieler von uns sind echt. Wir haben das Gefühl, dass wir in all den Jahren mehr hätten tun müssen im Kampf gegen das Regime. Ich wünschte nur, es gäbe etwas, was wir jetzt tun könnten und was darüber hinausgeht, auf die Straße zu gehen und wieder verhaftet zu werden.


Oleg Krokhalev, Komponist

© Mikhail Shutov

Während ich diese Zeilen schreibe, rücken Menschen aus meinem Land weiter in die Ukraine vor und bombardieren Kyiv, während sich Zivilist:innen in den U-Bahn-Stationen verstecken wie die Londoner:innen während der Angriffe der deutschen Luftwaffe 1941. In Moskau und Sankt Petersburg wimmelt es von Polizei, die jeden, selbst friedlichen Protest gegen diesen Krieg im Keim erstickt. Ich habe Freund:innen, die schon vor Gericht gezerrt wurden, weil sie Anti-Kriegs-Plakate trugen. 

An letzteres haben wir uns mittlerweile gewöhnt, obwohl dieses feige Vorgehen krank und ekelhaft ist. Aber bis zum Beginn des Krieges hat niemand geglaubt, dass dieser wirklich passieren würde. Eine Bande von Mördern hat in unserem Namen, im Namen der russischen Bürger:innen, unter falschem Vorwand Truppen in die Ukraine geschickt. Ihr Ziel ist, Kontrolle über das Land zu gewinnen und die Regierung so umzugestalten, dass sie Putin besser in den Kram passt, aber ich befürchte, damit wird es nicht enden. Putin hat sich in eine Lage gebracht, aus der er nur durch ein Tribunal wieder herauskommen kann. So lange er sich befugt fühlt, solange er sich ermächtigt fühlt, werden er und seine Bande von vom Mutterland Entfremdeten weiter eine Bedrohung für die Welt darstellen. Das kann sehr schnell zu einer weltweiten Katastrophe führen, selbst wenn das jetzt unwahrscheinlich und in der Ferne liegend erscheint. Darum muss der Krieg gestoppt werden, bevor es zu spät ist. 

Der gestrige Tag hat Herzen zerrissen und sie ins Entsetzen gestürzt. Jede Russin und jeder Russe, die und den ich kenne und mit der oder dem ich in den letzten zwei Tagen gesprochen habe, steht unter absolutem Schock.


Polina Osetinskaya, Pianistin

© Elena Galiaskarova

Was ich gerade fühle? Schmerz, Verzweiflung, Scham. Von meiner frühesten Kindheit an bis zum heutigen Tag war die Ukraine für mich ein Ort des Lichts und der Freude. Meine drei Kinder wurden von ukrainischen Nannys mit erzogen und bei meinen Konzerten dort habe ich nur Liebe erfahren. Und jetzt hat meine Regierung unserem brüderlichen Volk in meinem Namen den Krieg erklärt und ist dort einmarschiert. Ich bin während des Kalten Krieges aufgewachsen und hätte mir nie vorstellen können, dass wir uns nochmal in einer solchen Situation wiederfinden würden. Ich bete zu Gott, dass dieser Wahnsinn so schnell wie möglich ein Ende findet. Und auch wenn es unmöglich ist, diese schändliche Tat zu vergessen, bitte ich die Ukrainer:innen und die ganze Welt, im Gedächtnis zu behalten, dass viele Russ:innen diesen Bruderkrieg nicht wollten und wollen. Gott, schenke uns Frieden!


Sergej Newski, Komponist

© Harald Hoffmann

Was wichtig zu verstehen ist: Es ist kein lokaler Krieg, der nur im Fernsehen oder im Internet stattfindet. Es ist der Versuch eines größenwahnsinnigen Diktators, die globale Weltordnung zu verändern, und jede und jeder in Europa bekommt es bald zu spüren. Die Ukraine braucht jetzt unsere volle Solidarität und Unterstützung. Es braucht eine Antikriegs-Koalition, um den Aggressor zum Frieden zu zwingen. Auch wichtig: Das Bild von 73 Prozent der Russ:innen, die den Krieg unterstützen, ist nicht korrekt. Alle Russ:innen, die ich kenne, sind zutiefst geschockt und beschämt, und kein:e einzige:r in meiner Heimat, die oder den ich kenne, solidarisiert sich mit dem Aggressor, das bekam ich in den letzten zwei Tagen gut zu spüren. Keine:r von denen hat geglaubt, dass dieser Wahnsinn beginnen kann, auch meine Freund:innen in Kyiv haben nicht daran geglaubt, und nun hat es aber begonnen. Zu gleicher Zeit ist die Opposition in Russland zerschlagen, die freien Medien sind vernichtet und die Masse ist deprimiert und apathisch. Gestern sind Tausende Menschen in 50 russischen Städten gegen den Krieg auf die Straße gegangen, sie konnten nur schweigend protestieren, denn alle, die Antikriegsparolen gerufen oder ein Plakat hochgehalten haben, wurden sofort zusammengeschlagen und verhaftet. Es braucht Mut, heute in Russland auf die Straße zu gehen oder einfach die eigene Meinung offen zu sagen. Auch ich als Russe bin zutiefst beschämt, dass mein Land von einem geisteskranken Psychopathen regiert wird, der die ganze Bevölkerung als Geisel hält, und dass die russische Armee momentan ohne jeglichen Anlass das Nachbarland auf brutalste Weise angreift. Dieser Angriff muss von der ganzen Welt gestoppt werden. Ich hoffe, dass Putin und seine Mittäter für ihre Kriegsverbrechen teuer zahlen werden. Und dass dieses sinnlose und blutige Kriegsabenteuer zum Anfang vom Ende der Diktatur in Russland wird. Denn es ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, es ist auch ein Krieg gegen alle freien Menschen in meiner Heimat. Die Tragödie meines Landes besteht auch darin, dass ein eigentlich modernes und offenes Land mit sehr reicher Kultur von einer Riege durchgeknallter Stasi-Rentner regiert wird, die heute in den Kategorien des 19. Jahrhunderts denken und handeln und dadurch gerade sozusagen einen öffentlichen Selbstmord begehen, in den aber das ganze Land oder vielleicht auch die ganze Welt mit hineingezogen wird. Deswegen: Es geht nicht nur um die Ukraine. Es geht um Europa. Es geht um unsere Zukunft. Mein Herz schlägt für die Ukraine. Die Gerechtigkeit wird siegen.


Maria Ostroukhova, Mezzosopranistin

Mit freundlicher Genehmigung von Maria Ostroukhova

Gestern, am 24. Februar, brach mir das Herz. Die Menschen in der Ukraine tun mir unglaublich leid. Ich habe Verwandtschaft in Saporischschja und ich fürchte um ihre Leben. Eine Sache, die ich mit Sicherheit sagen kann: Die Menschen in Russland sind nicht der Feind, sondern Wladimir Putin. Niemand will diesen Krieg außer ihm und einer Handvoll Mitstreiter. Ich liebe Russland, aber weine jetzt um sein Schicksal. Das Los des Aggressors, so lehrt uns die Geschichte, ist ein schlechtes. 

Seid mutig und lasst den Hass nicht siegen – denn genau das ist es, was der Kreml will.  


Vladimir Rannev, Komponist

© Layla Erdmann

Alles, was heute passiert, ist eine Katastrophe für Russland und eine ernsthafte Bedrohung für Europa, das diese Bedrohung lange Zeit nicht ernst genommen hat. Meine Vermutung ist, dass das einzige pragmatische Szenario, das Putin und sein Regime durch einen Krieg verfolgen können, ist, Russland in den Iran oder Nordkorea zu verwandeln, mit der Möglichkeit für die herrschende Elite – FSB, Oligarchen und Spitzenbürokratie – für immer an der Macht zu bleiben. Dieses Ziel hat seinen Preis. Die Eliten werden Milliarden verlieren, aber mehr gewinnen: die Möglichkeit, das Land und seine Bevölkerung als ihr Eigentum zu regieren. Aber sobald die Elite in einem solchen Land neue Probleme bekommt, wird sie wieder Krieg mit den Nachbarn führen und mit Vernichtung in einem Atomkrieg die ganze Welt bedrohen. Ich glaube, Europa soll den Krieg in der Ukraine nicht als Fremdes behandeln. Das Putin-Regime hat keine endgültigen Grenzen für seine Interessen, es wird jeden schlucken, der es zulässt.


Olga Pashchenko, Pianistin

© Yat Ho Tsang

Es ist absolut niederschmetternd zu sehen, was gerade passiert. Wir wollen keinen Krieg, es ist eine furchtbare Schande. Wir wollen, dass alle Angriffe sofort gestoppt werden, wir sind entrüstet, entsetzt und tief betrübt, wir wollen Frieden. Jede Minute beten wir für unsere Freund:innen und Familien in der Ukraine. Wenn unsere Stimmen nur erhört werden würden!


Lev Markiz, Dirigent 

Mit freundlicher Genehmigung von Lev Markiz

Ich verurteile auf das Schärfste das Verhalten der russischen Behörden, angeführt von ihrem Präsidenten. Ich hoffe, dass alle meine Musikerkollegen, wo auch immer sie sich befinden, ihre Stimme zur Verteidigung der Ukraine und Europas gegen die Schrecken des Krieges und das Leid Millionen unschuldiger Menschen erheben werden. Schweigen Sie nicht! Das ist das Wichtigste, um zu versuchen, die Verbrecher zu stoppen!


Mikhail Mordvinov, Pianist

Mit freundlicher Genehmigung von Mikhail Mordvinov

Russland, mein Vaterland, hat leider gestern den alten, bereits vor 8 Jahren initiierten Krieg auf eine neue Ebene gebracht und eine umfangreiche invasive Militäroperation in der gesamten Ukraine angefangen. Ich bin gegen den Angriff Russlands und den Vormarsch in die Ukraine. Es ist mir wichtig, ein offenes Wort gegen diese Eskalation auszusprechen. Als russischer Staatsbürger muss ich nun auch meine eigene Verantwortung dafür tragen. 



Weitere Stellungnahmen russischer Musiker:innen an anderen Orten:

Dirigent Ivan Velikanov verkündet auf Facebook, dass ihm nach seiner kurzen Antikriegsrede und dem Dirigat von Beethovens Ode an die Freude direkt vor der Aufführung am 25. Februar in der Oper von Nizhny Novgorod nun verboten wurde, am 1. März beim Moskauer Theaterfestival »Solotaja Maska« Le nozze di Figaro zu dirigieren. Er wurde durch Fabio Mastrangelo ersetzt.


Dirigent Vasily Petrenko kritisiert auf seiner Website den Einmarsch Russlands in die Ukraine und kündigt an, bis zur Wiederherstellung des Freidens nicht mehr in Russland zu arbeiten.


Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, bezeichnet in einer Stellungnahme den »heimtückischen und völkerrechtswidrigen Angriff Putins auf die Ukraine« als »Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt«. 


Pianist Alexander Melnikov erklärte in einer Ansprache vor einem Konzert mit den Bochumer Symphonikern am 24. Februar, er fühle Scham und Schuld, weil er zu wenig getan habe, um den Krieg zu stoppen (Putin hat er nie gewählt). Seine kurze Rede endete mit den Worten: »Ich verstehe nicht, warum wir Menschen wie Putin oder Trump erlauben, unserer Zivilisation so etwas anzutun.« (Im Englischen Original nachzulesen auf SlippedDisc.)


Videobotschaft von Evgeny Kissin (Pianist und Komponist)

YouTube Video

Auf Kissins Facebook-Seite ist das Video-Statement mit englischen Untertiteln abrufbar.


Vladimir Jurowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) zeigt sich auf Facebook zutiefst entrüstet und in Trauer und gibt eine Programmänderung (zugunsten der ukrainischen Nationalhymne sowie der Sinfonischen Ouvertüre Nr. 1 des ukrainischen Komponisten Mychajlo Werbyzkyj) bekannt. 


Semyon Bychkov, Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, schaut am 24. Februar auf seiner Website zurück auf die »dunkle Vergangenheit« Russlands und seine Verantwortung für Völkermorde im 20. Jahrhundert. Er schließt mit Blick auf den Angriff auf die Ukraine mit den Worten: »Wenn wir heute schweigen, verraten wir unser Gewissen, unsere Werte und letztlich das, was uns als Menschen ausmacht.« ¶