Adriana Hölszky ist eine der bekanntesten – und völlig zu Recht erfolgreichsten – Komponistinnen unserer Zeit. Geboren wurden sie als Rumäniendeutsche am 30. Juni 1953 in Bukarest. Sie kam nicht ganz allein auf die Welt, sondern (fast) gleichzeitig mit ihrer eineiigen Zwillingsschwester Monika (heute: Monika Hölszky-Wiedemann), die Geigerin wurde. Bis heute wohnen beide Schwestern nebeneinander – und ähneln sich tatsächlich optisch extrem (wie man in der Fotogalerie zur Verleihung des Louis-Spohr-Musikpreises 2019 an Adriana Hölszky sehen kann). Adriana Hölszky: ein Mensch mit viel Herz, viel Humor; eine große Katzenliebhaberin- und Besitzerin sowie, in unserem Falle heute hier am wichtigsten, eine fantastische Komponistin. Zeit und Anlass, ihr die 150. Folge – eine Jubiläumsfolge also – zu widmen!

Die ersten musikalischen Erfahrungen im Leben von Adriana Hölszky betrafen wohl das heimatstubenpräsente Klavierinstrument. Mit fünf Jahren erfolgten erste Unterrichtsstunden. Von 1959 bis 1969 besuchte Hölszky nun ganze zehn Jahre lang das Musikgymnasium von Bukarest. Wie in so vielen Biographien später hauptberuflicher Komponistinnen und Komponisten blieb es nicht beim Erlernen und Abspielen einschlägiger Klavierliteratur. Hölszky erkomponierte sich ihre eigene Phantasiewelt, schrieb Ideen, Motive, Stücke auf – und wurde dabei offenbar von ihrem familiären Umfeld ermutigt; jedenfalls förderte man ab 1965 Hölszky derart, dass auch private Harmonie- und Kontrapunktunterrichtsstunden für die 12-Jährige organisiert wurden. Sieben Jahre später – 1972 – begann Hölszky schließlich ihr reguläres Kompositionsstudium am Bukarester Konservatorium bei Ştefan Niculescu (1927–2008), einem Vertreter der rumänischen Moderne, der absolut nicht epigonal, rückwärtsgewandt oder gar hinter dem Eisernen Vorhang »hinterwäldlerisch« komponierte, sondern modern und »am Zahn der Zeit«, wie seiner ätherischen, faszinierend raumtiefeverrauchten und herrlich genußdissonanzumflorten Orchesterphantasie Ison II (1975) abzulauschen ist.

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Wiederum vier Jahre später (1976) zog Familie Hölszky nach Deutschland. Adriana Hölszky setzte ihr Studium an der Musikhochschule Stuttgart bei dem – im Vergleich zu Niculescu traditionelleren – Kroaten Milko Kelemen (1924–2018) fort. Die enge Bindung zu Schwester Monika führte zu zahlreichen kammermusikalischen Betätigungen. Adriana spielte Klavier, Monika Violine – und zusammen mit der Cellistin Hertha Rosa-Herseni bildete man das Lipatti-Trio; benannt nach dem großen, im Alter von 33 Jahren früh an Leukämie verstorbenen rumänischen Pianisten Dinu Lipatti (1917–1950). 1978 erhielt das Trio einen Kammermusikpreis in Rom, wie Torsten Möller in seinem MUGI-Artikel berichtet. 1979 gewann Hölszky ihren ersten Kompositionspreis. Heute tritt sie nicht mehr als Pianistin auf, schaut aber wohlwollend auf eine Doppelkarriere als Komponistin und Kammermusikinterpretin zurück – und komponiert hoffentlich noch viele weitere aufregende Werke.

Wie viele studierte Komponistinnen und Komponisten unterrichtete auch Adriana Hölszky vorübergehend als Lehrbeauftragte für Musiktheorie und Gehörbildung – an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Anfang der 1980er Jahre entstand dabei mit Space für vier Orchestergruppen eines der früh erfolgreichen Orchesterwerke Hölszkys. Mit der Oper Bremer Freiheit (nach dem recht trüben, überhaupt nicht nach den Eigenheiten des Regisseurs sich anfühlenden Fassbinder-Bühnendrama) gelang Hölszky der endgültige Durchbruch in der internationalen Aufmerksamkeit ihres Schaffens (Uraufführung am 4. Juni 1988 im Münchner Gasteig). Der Stoff widmet sich der Giftmörderin Gesche Gottfried (1785–1831), die 15 Menschen tötete. Hölszky verlangt für ihr fulminantes Stück Kammermusiktheater spezielle »Zusatzinstrumente« wie Rasseln, Kuhglocken, Dachrinnen und dergleichen mehr. Die grandiose Farbenvielfalt des Orchesters (in der doch in hansestädtischem Grau gehaltenen Thematik des Ganzen!) ist im subventionierten Regelbetrieb schwer zu realisieren, denn Angestellte im Orchester haben in ihren Verträgen exakte Tätigkeiten vermerkt: Ein Bratscher spielt Bratscher, eine Trompeterin Trompete – und nicht (auch mal) Spielzeugtrompete. Deshalb wird das Werk – wenn überhaupt – meist nur von freien Ensembles aufgeführt. Immer ist das Publikum und die Kritik begeistert, was an der Art der Narration Hölszkys im Zusammenwirken mit grotesk komisch und bitter instrumentierten Szenen liegt. Gibt sich jemand einer beamtischen Tirade von durchdeklinierten Bestimmungen und Gesetzen hin, so muss dieser gleichzeitig mit einem Klangstab seinen bescheuerten Rhythmus kontrapunktieren. Grandios originell – und dabei mit großer Empathie für die (geschändete – und selbst mordende) Hauptfigur der Gesche geschrieben.

1997 erhielt Hölszky eine Kompositionsprofessur an der Musikhochschule Rostock. Ab 2000 war sie in selber Funktion am Mozarteum in Salzburg tätig. Sie lebt inzwischen 69-jährig in Stuttgart.


Adriana Hölszky (* 1953)
Weltenenden für Euphonium (1993)

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In dem Katalog des vielgestaltigen Schaffens von Adriana Hölszky findet sich auch das 1993 komponierte Stück Weltenenden. Das Stück wurde eigentlich für vier Blechbläser konzipiert, zumindest sieht die Handschrift eine Quartettbesetzung vor. In der Quartett-Partitur führt ein Pfeil entlang der Solostimme. Beispielsweise kann aber auch alles von einem Euphonium allein gespielt werden; im Studio gewissermaßen mit sich selbst im vierstimmigen Kanon (wie in der hier besprochenen Aufnahme). Dazu werden die einzeln aufgenommenen Stimmen jeweils übereinander gelegt. (Bei einer Live-Interpretation können beispielsweise drei vorproduzierte Stimmen elektronisch zugespielt und vom einzelnen Live-Interpreten auf der Bühne ergänzt werden.) Es ist nicht ganz klar, so berichtet der Interpret der hier besprochenen Aufnahme Paul Hübner, »warum dann die Euphonium-Solo-Version nicht einfach das komplette Material ohne Kanon ist«. »Wusste sie auch nicht mehr genau«, so Hübner, mit Verweis auf die höchstsympathische Hölszky. Jedenfalls fand die Uraufführung von Weltenenden in den 1990er Jahren bereits nur für Solo-Instrument statt und wurde wohl nie komplett zu viert gespielt.

Maria Kostakeva hebt bezüglich grundlegender ästhetischer Leitlinie des Komponierens von Hölszky hervor, dass die Aspekte »Konstruktion und Dekonstruktion, Formung und Umformung« in ihrer Musik eine bedeutende Rolle spielen würden – und: »Die Komponistin, die aus einer Familie von Naturwissenschaftlern stammt, zeigt schon seit ihrer Kindheit ausgesprochenes Interesse für das Visuelle und das Bildnerische« (Maria Kostakeva: Metamorphose und Explosion, Musik-Konzepte, Heft 160/161). Konstruktion und Dekonstruktion also – keine »Neuigkeiten« im Sprechen über Neue Musik. Doch die Musik von Hölszky ist meistens gar nicht so sehr vom früheren Mainstream-Klang der Neuen Musik gezeichnet, die die beiden angeblich so tiefgründigen Pole Konstruktion und Dekonstruktion als Marketing-Gag üblicher Antragsprosaprogrammtexte stetig behauptend umarmte.

Nach einem Anfangsimpuls hören wir nachlassende und anschwellende Brodelungen, zu denen sich sehr bald höhere Töne gesellen. Bestimmte Tonfolgen erfordern Mundmodulationen während des Spielens (auf den Vokalen »a« und »o«). Knarzungen werden kontrapunktiert von einzelnen, herausfallenden hohen Tönen, die wie kleine Schreie der Niedlichkeit aufpoppen. Ein apodiktisches, unterhaltsames und doch so herrlich »meditatives« Stück, das eher zu kurz als zu lang ist. Eine Stärke des Komponierens von Hölszky, die sie von vielen männlichen Kollegen unterscheidet. Zeitempfinden, das sich in der Rezeption immer sehr gut ausgeht! ¶

Arno Lücker

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.