Dass die Arbeitsbedingungen in den deutschen Theater- und Opernhäusern nur wenig mit dem schillernden Glanz ihrer Bühnenutopien zu tun haben, ist schon lange bekannt – ob durch die Wellen, die vor knapp zwei Jahren Thomas Schmidts Studie zu Machtstrukturen und Arbeitsrealität auslöste (für VAN fasste er die Ergebnisse zusammen) oder die Binse, wenn man ins Theater gehe, könne man davon ausgehen, dass die Menschen an der Kasse besser bezahlt werden als die auf der Bühne. Übliche Standards wie Arbeitszeiterfassung, Kündigungsschutz bei Krankheit oder Schwangerschaft und die üblichen Regelungen zur sachgrundlosen Befristung gelten für die meisten Theaterberufe nach wie vor nicht, dafür aber Verpflichtungen zur ständigen Erreichbarkeit (auch an Urlaubstagen) und die kurzfristige Bekanntgabe von Arbeitszeiten durch Anschlag am Vortag.

Geregelt wird die Arbeit am Theater seit 2003 durch den sogenannten Normalvertrag Bühne (hervorgegangen als Zusammenfassung aus verschiedenen theaterspezifischen Verträgen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen). Dieser Vertrag gliedert sich heute in Solo, Tanz, Chor und Bühnentechnik. »Solo« meint hier nicht herausragende Solist:innengagen, sondern alles von Musiktheaterpädagogik über Dramaturgie bis Sopranistin. Der 108-seitige NV Bühne dient weniger dazu, Arbeitnehmer:innenrechte zu stärken, sondern einen rechtlichen Rahmen für die Freiheit und Flexibilität zu schaffen, der – im Idealfall – gute Theaterarbeit ermöglicht: durch Spielzeitbetrieb an Wochenenden und Feiertagen, Einspringer, agile Probezeiten und der Möglichkeit, Künstler:innen nur produktionsbasiert für eine Spielzeit ohne Kündigungsrecht zu verpflichten und aus rein subjektiven »künstlerischen Gründen« nicht zu verlängern. Das hat zur Folge, dass sich heute an den Häusern wohl ausschließlich Angestellte mit befristeten Verträgen finden, die mit Glück jährlich verlängert werden (bis dann zum nächsten Intendanzwechsel wie üblich die Belegschaft massenhaft ausgetauscht wird). Auch herrscht eine Diskrepanz zwischen den Orchestermusiker:innen mit anderem Tarifvertrag, der von den meisten der genannten Probleme nicht betroffen ist, und den anderen Angestellten.

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Seit einigen Monaten kämpft die Seite der Künstler:innen für eine Reform des »schlechtesten Tarifvertrags aller Zeiten«. Die Gewerkschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) befindet gemeinsam mit der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) in Verhandlungen mit dem Deutschen Bühnenverein, der die Arbeitgeber von öffentlichen und privaten Häusern vereint. Seit diesem Jahr sitzt erstmals auch der 2006 gegründete Bundesverband Schauspiel (BFFS) mit am Verhandlungstisch, der als Interessenvertreter der Schauspieler:innen und Sprecher:innen für Film, Fernsehen und eben auch Bühne jedoch bisher lediglich einen Beobachterstatus innehat, bis der Bühnenverein einer offiziellen Beteiligung formal zustimmt. Doch auch bevor es Ergebnisse zu vermelden gibt, ist dieses neue Dreigespann der Gewerkschaften bereits ein Meilenstein und das Resultat eines langen Abbaus von Differenzen. 

Nachdem bei den letzten Gesprächen am 1. Juni keine Einigung erzielt werden konnte, trafen sich die Parteien am vergangenen Dienstag, 21. Juni, zu einer erneuten Aufnahme der Verhandlungen. Die Gewerkschaften fordern eine Erhöhung der Mindestgagen, der der Bühnenverein bisher nur mit einem unzureichenden Angebot von 2.550€ monatlich, also knapp über dem neuen Mindestlohnniveau, entgegenkam. Tobias Könemann, Geschäftsführer der VdO, zeigte sich gegenüber VAN im Vorfeld der Verhandlungen optimistisch: »Die Verhandlung wird – bezüglich des Themas ›Anhebung der Mindestgage‹ – aller Voraussicht nach entscheidend sein.« Auch Heinrich Schafmeister, Filmschauspieler und Vorstandsmitglied beim BFFS, äußerte sich gegenüber VAN, er habe »zuversichtlich damit gerechnet, dass der Bühnenverein den Forderungen entgegenkommt«.

Alexander Spemann, Tenor am Staatstheater Mainz und Vorsitzender der Berufsgruppe Solo bei der GDBA, blickte da etwas anders auf die Verhandlungsrunde: »Meiner Einschätzung nach ist die Front des Bühnenvereins, heißt: die Bereitschaft der Politik, die in unserem Fall ja den Träger der Kulturinstitutionen darstellt, vollkommen verhärtet und uneinsichtig. Das bedeutet für mich, dass mein Optimismus die nächste Verhandlung betreffend gleich null ist.«

Weitergehend schreibt er zu den Forderungen:

Ich frage mich, warum der Staat Deutschland Kirchensteuer eintreibt, aber die Kultur als Luxus und somit freiwillige Leistung sieht. Wenn es einen Staatsvertrag mit Kirchen gibt, warum dann nicht auch eine gesetzlich festgelegte Kulturförderung? Die Kosten wären gegenüber allen anderen Ausgaben minimal und der Effekt wäre kolossal.

Dass seit Jahrzehnten in den Theatern in Deutschland, einem der reichsten Länder, die Theater-Künstler*innen mit einem umgerechneten ›Mindeslohn‹ ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, obwohl sie eigentlich nach ihrem Studium als ›Akademiker‹ angesehen werden sollten, ist skandalös. Wir wollen eine Mindestgage, die diesen Namen verdient, die dazu führt, dass auf ein und derselben Bühne eine für alle Beschäftigten geltende Grundgage existiert und dass Künstler*innen von ihren Gagen auch am untersten Gagenrand würdig leben können.

Die Gespräche am Dienstag kamen zu keinem Ergebnis und die Verhandlungen müssen weiter fortgeführt werden. Die Parteien haben Stillschweigen zu inhaltlichen Details vereinbart, Tobias Könemann von der VdO resümiert allerdings, es »hat sich einiges bewegt«. Für weitere Presseverlautbarungen ist dann ab kommenden Dienstag zu rechnen. Auch Schafmeister bezeugte seinen »gesunden Optimismus« und führt im Telefonat mit VAN sein Zwischenfazit aus:

Wir sind die Gewerkschaft mit den meisten Schauspieler:innen in Deutschland. Die sind immer mehr oder weniger kurzbefristet beschäftigt, aber nicht festangestellt. Festangestellt sind – böse gesprochen – nur diejenigen, bei denen man nach 14 Jahren im Ensemble vergessen hat, sie nicht mehr zu verlängern. Es gibt ca. 2.200 Spielzeitverpflichtete Schauspieler:innen, über die reden wir beim NV-Bühne. Für die übrigens Dreizehntausend in Deutschland, die Gastverträge bekommen, orientiert sich das Gehalt auch an dem NV Bühne. Auch wenn der Tarifvertrag nur für die öffentlichen Häuser gilt, wirkt er sich auf die Gagen an den tariflich ungebundenen privaten Häusern und auch Fördergelder für freie Theatergruppen aus. Alles, was Bühne ist, guckt letztendlich auf den NV.

Was wir drei Gewerkschaften erreichen wollen, ist eine neue Ära. Ich spiele seit 1980 Theater, und die Solokünstler saßen über Jahre immer am Katzentisch und wurden vernachlässigt. Unser Ziel ist, dass das nun aufhört. Schlechte Vorraussetzungen sind, dass alles was in der Welt passiert, immer gegen unsere Interessen ausgelegt wird. Das war in den Achtzigern so und ist heute mit Corona und Ukraine dasselbe. Wenn die Zeiten wirtschaftlich gut waren, wurde mahnend auf die nächste drohende Krise verwiesen. Das hatte zur Folge, dass die Solokünstler:innen tariflich quasi auf der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns rangieren. Und bisher waren wir Künstler:innen in Deutschland leider zu zurückhaltend, daran gemeinsam etwas zu ändern.

Tarifkämpfe brauchen immer einen besonders langen Atem, doch es schwebt gerade ein Geist von Veränderung in der Luft, als könnte sich die Situation für die Theater- und Opernschaffenden tatsächlich nachhaltig verbessern. Für die Zwischenzeit im Angesicht der nächsten Krisen und frisch verkündeten Energieversorgungs-Alarmstufen resümierte das kritische Portal nv-buehne.de schon eine Lösung für so manche Tarifvertragsprobleme: »Papier verbrennt mit etwa 4 Kilokalorien pro Gramm. Ein Din A4 Blatt (80g/m²) wiegt etwa 5 Gramm. Folglich setzen 108 Din A4 Seiten bei ihrer Verbrennung 2.160 Kilokalorien Energie um.« ¶