Bis heute kommen hervorragende Holz- und Blechbläser:innen aus Böhmen und Mähren – und füllen Solo-Stellen in bedeutenden hiesigen Orchestern aus. Und die Tradition der profunden musikalischen Ausbildung wird bis heute in Tschechien gepflegt, wenn auch die am 8. März 1941 im mährischen Chlumec nad Cidlinou geborene Ivana Loudová zunächst das Spiel auf der Geige erlernte. Ihre ersten ernsthaften Kompositionen entstanden in der späten Adoleszenz. Loudovás Talent führt zur Aufnahme eines Studiums am Prager Konservatorium, wo sie unter anderem von Miloslav Kabeláč (1908–1979) in Komposition unterrichtet wurde. Kabeláč, auch Kompositionslehrer von Erwin Schulhoff, schuf Werke moderner Machart, die sich jedoch eher nach dem breiten symphonischen Sound des 19. Jahrhunderts sehnen.
An der 1945 gegründeten Akademie der musischen Künste in Prag setzte Loudová ihr Studium fort. Dort wurde Emil Hlobil (1901–1987) ihr Lehrer. Hlobil war ein Schüler Josef Suks – und im Vergleich zu Kabeláč der weitaus interessantere, kauzigere Komponist. Bald zog es Loudová jedoch nach Paris, wo sie am Konservatorium bei Olivier Messiaen, André Jolivet und Pierre Schaeffer (experimentelles) Komponieren studierte. Anfang der 1970er Jahre entschied sich Loudová für ein Leben als freischaffende Komponistin, unterrichtete zeitweise an der Akademie der Künste in Prag und nahm ebenda 2006 eine Kompositions-Professur an. Ihre Werke finden sich hierzulande äußerst selten auf den Spielplänen. Offensichtliche Gründe dafür sind nicht auszumachen.
Loudová starb am 25. Juli 2017 in Prag im Alter von 76 Jahren.
Ivana Loudová (1941–2017)Spleen – Hommage a Charles Baudelaire (1971) für Orchester
Loudovás nicht allzu umfangreicher Werkkatalog (bei Komponist:innen des 20. Jahrhunderts meist ein gutes Zeichen) führt Werke aus ganzen fünf Dekaden auf, angefangen von zwei Symphonien der 60er Jahre. Bald interessierte sich Loudová besonders für Schlaginstrumente und ihre Möglichkeiten; in vielen Werken für Kammermusikbesetzungen oder kleine Ensembles spielen diverse Perkussionsinstrumente eine wesentliche Rolle. Statt Opern schuf Loudová ein paar wenige Kantaten, teils für Kinderchorbesetzungen. Mehrere Stücke aus Loudovás Feder sind bei Schott erschienen.
Mit genau dreißig Jahren – im Jahr 1971 – komponierte Loudová ihre orchestrale Hommage a Charles Baudelaire mit dem Titel Spleen. Das Werk beginnt mit näherkommenden, bedrohlichen Momenten der Pauke ganz allein. Tumult, Gewalt – und die Frage: Was geschieht hier konkret? Wird etwa die poetische »Abgründigkeit« Baudelaires musikalisiert? Eher nicht. Loudovás Musiksprache dürfte von den Schrecken des 20. Jahrhunderts nicht unberührt geblieben sein.
Irre, wie die Pauke des Anfangs zunächst nicht loszulassen scheint. Kein bloßer Prolog des Eindruckschindens. Kein »Vorhang auf« – mit anschließender Befriedung im Sinne rettend einsetzender Orchesterinstrumente. Nein. Die Pauke bleibt zunächst – und paukt sich ihren Wolf (herbei). Jedenfalls hinterlässt das Maschinengewehr des Orchesters Schutt und Asche und irgendetwas braut sich dräuend in den Untiefen des ganzen Klangapparates zusammen. Suppend brodelnd entsteht etwas. Irgendetwas. Dort unten. Das Rheingold-Vorspiel – nur neu in der Moldau verortet?
Tatsächlich kringeln sich Holzbläser nach etwa zweieinhalb Minuten »oberhalb der Wasseroberfläche«. Man weiß nicht, wohin die Reise geht. Fesselnd! In die schnellen Ton-Einkreisungen fallen andere Instrumente mit ein; teils die Bewegung nachvollziehend, teils längere, schneidige Einzeltöne darüberlegend. Nach dreieinhalb Minuten ein erneuter perkussiver Exzess, dieses Mal ohne Pauken – aber mit allerlei scharfzüngigem Schlagwerk. Spannungsvolle Musik, die weit weniger vorhersehbar ist als viele Werke, die gleichzeitig für Donaueschingen entstanden! ¶