250 Komponistinnen. Folge 48: Understatement, mit schon fast romantischer Ironie.
Juliane Reichardt wurde am 14. Mai 1752 in Potsdam als jüngstes von acht Kindern geboren. Ihre Mutter Franziska Louise Eleonore Benda (geb. Stephanie, 1718–1758) hatte den berühmten aus Böhmen stammenden Komponisten, Geiger und Konzertmeister der preußischen Hofkapelle Franz Benda (1709–1786) zu Zeiten des musikalischen Preußenkönigs Friedrich II. geheiratet. Familie Benda lebte in einem Vorort von Potsdam, naturnah und in großer familiärer Harmonie. Benda war zusätzlich ein begabter Pädagoge, auch in Sachen Gesang; und so kam unter anderem Tochter Juliane in den Genuss höchstkompetenter Gesangsunterweisungen. Außerdem waren, wie berichtet wird, regelmäßig hochangesehene und bedeutende Persönlichkeiten des deutschen Musiklebens im Hause Benda zu Gast, so der Musik-Chronist Charles Burney (1726–1814), der mit seinen mehrbändigen musikalischen Reiseberichten (Carl Burney’s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen) einen bis heute nicht wegzudenkenden Beitrag zur Ausdifferenzierung der mitteleuropäischen Musikgeschichtsschreibung lieferte.
Auch der aus Königsberg stammende Komponist, Rezensent und Musikautor Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) war ein beliebter Gast der Familie Benda. Seinen Eindruck zur Person und zu den musikalischen Begabungen der jungen Juliane kleidete Reichardt in folgende Worte: »Die jüngste Tochter, Juliane, sang mit schöner, reiner Stimme und ächt italienischer, ausdrucksvoller Manier. Die Eindrücke, die ich aus diesem Hause schon damals mitnahm, haben hernach auf mein ganzes Leben entscheidenden Einfluß geübt.«
Für die Kompositionskünste von Juliane Benda fand Johann Friedrich Reichardt ebenfalls sehr lobende Worte – und verband dieses Lob mit einem amourösen Eingeständnis, wie an besagter Stelle zitiert wird: »Einige Liedercompositionen Julianen’s waren mir sehr lieb geworden und überaus gern hörte ich sie von ihr singen. Auch hatte ich sie in Berlin in vielen guten Häusern und besonders zuletzt in Potsdam auf Spaziergängen in der angenehmen Umgebung dieser Stadt als ein liebes, reines, zärtliches, doch munteres Mädchen herzlich lieb gewonnen und nahm endlich nicht ohne Rührung Abschied von ihr, als ich am 10. Mai 1774 meine weitere Reise antrat. Auch sie war sehr gerührt.«
Die Fähigkeiten Bendas am Cembalo sowie ihr kompositorisches Talent beeindruckten Reichardt nachhaltig. Bald widmete er ihr sein Cembalokonzert in g-Moll. Doch Reichardt hatte sich nicht nur in einige der Liedkompositionen von Juliane verliebt… Vater Benda begegnete den Aufwartungen seines geschätzten Kollegen zunächst mit leichter Skepsis, da Reichardt zu diesem Zeitpunkt noch kein Gutverdiener im Sinne einer festen Anstellung war. Doch Benda setzte sich nachhaltig für Reichardt ein – und verschaffte diesem die Stelle eines Hofkapellmeisters am Hofe des Preußenkönigs.
Auch Juliane Benda verliebte sich in Reichardt und so konnte man am 23. November 1776 in Berlin die Hochzeitsfeierlichkeiten begehen. Friedrich II. ließ das Ehepaar Reichardt in einem der königlichen Unterkünfte für Bedienstete wohnen, in denen Juliane wohl weiterhin – trotz ihrer »Pflichten« als Ehefrau – künstlerisch, sprich: als Sängerin bei Salonkonzerten, tätig sein konnte. Ungeklärt ist jedoch, ob sie auch ihr kompositorisches Schaffen weiterentwickeln konnte.
Juliane Reichardt litt – wie Vater Franz – an Gicht; trotzdem unternahm das musikalische Ehepaar Reichardt immer wieder Reisen; eine glückliche Ehe, die auf gemeinsamen musikalischen Interessen und beidseitiger (auch menschlicher) Wertschätzung beruhte.
Juliane Reichardt starb bereits im Alter von nur 30 Jahren am 11. Mai 1783 in Berlin an den Folgen eines Kindbettfiebers.
Juliane Reichardt (1752–1783)Sonate für Klavier (Allegro) G-Dur
Reichardt fokussierte sich – vor allem als Sängerin tätig – auf das Verfertigen von Liedern, von denen mehr als 30 überliefert sind. In ihrem dementsprechend übersichtlichen Werkkatalog – Reichardt starb jung und nicht durchgehend war es ihr möglich, sich auf das Komponieren zu konzentrieren – tauchen auch zwei Klaviersonaten auf.
Die Sonate G-Dur marschiert fröhlich und verspielt los. Papa Haydn sendet augenzwinkernde Grüße. Exquisite Ornamente und empfindsame Zwischentöne sind von Anfang an präsent. Typisch klassische (aber mehr als nur »benutzte«) Skalen, sensible Kadenzen und – überraschend – witzige Vorschlagstonwitze bringen gute Abwechslung. Reichardt komponiert mit Understatement, mit schon fast romantischer Ironie, die Abstand von der Ernsthaftigkeit in Sachen Melodie und formaler Anlage nimmt. Man sieht den gebildeten Salon mit entsprechendem Personen-Interieur quasi vor sich sitzen – alle schwelgen ob der unterhaltenden Schönheit der Musik. Da ist fast frühe Romantik am Werke; ein bisschen Sturm-und-Drang-Versunkenheit, kurze Abrisse – und bald gediegen-pointierte Fortsetzungen.
Man merkt Reichardts Musik an, dass die Komponistin nicht auf reine Gefälligkeit aus war. Hier spricht eine frühe, reife, intelligente und mit keckem Humor glänzen könnende Künstlerin ihrer Zeit. Wären Reichardt mehr Lebensjahre vergönnt gewesen, so hätte sie sicher mit Musikgeschichte geschrieben – wohlmöglich gerade in den Gattungsbereichen Lied und Klaviersonate. ¶