Als das vorletzte von vier Kindern wurde Grażyna Bacewicz am 5. Februar 1909 im polnischen Lodz geboren. Grażynas Mutter Maria entstammte einer polnischen Adelsfamilie und hatte einen litauischen Musiklehrer geheiratet. Im Hause Bacewicz wurde folglich eifrig und regelmäßig musiziert, alle Kinder genossen Unterweisungen im Klavier- und Geigespiel – und wurden zudem auf Geheiß des Vaters in Musiktheorie unterrichtet. Zwei von Grażynas Brüdern wurden Komponisten, der andere Pianist. Vater Vincas – sein ursprünglich litauischer Familienname lautete Bacevičius – arbeitete zwar als klavierspielender Musikpädagoge, Dirigent und Komponist, gelangte aber nie über eine regionale Bekanntheit hinaus. Seine Tochter Grażyna zeigte anlässlich der väterlichen Vermittlungsstudien früh großes Interesse und Talent bei dem Verfertigen eigener Kompositionen, was zu entsprechenden Unterrichtsstunden bei Kazimierz Sikorski (1895–1986) führte. Sikorski lehrte seit 1926 als Kompositionsprofessor am Konservatorium in Poznań (Posen), trat jedoch als Künstler mit seiner postwagnerschen Spätromantik nicht weiter prominent in Erscheinung.
Von 1928 bis 1932 studierte Grażyna Violine, Komposition und Klavier – bei ebenfalls heute wenig bekannten Professoren. Hinzu kamen Studien in Philosophie, wie berichtet wird. Zunächst trat Bacewicz vor allem als Violin-Solistin auf; 1936 heiratete sie den Medizin-Professor Andrzej Biernacki, der 1963 starb. Aus der Ehe ging die 1942 geborene Tochter Alina hervor, die als Malerin gewisse Bekanntheit erlangte und sich später vor allem um den musikalischen Nachlass ihrer Mutter kümmerte. In Warschau, wohin man zwischenzeitlich übergesiedelt war, klang der Name Grażyna Bacewicz bald in aller Munde; die nationalsozialistische Besatzung und der Warschauer Aufstand 1944 bedingten jedoch, dass Bacewicz – nun auch Konzertmeisterin des Orchesters des polnischen Rundfunks – und ihre junge Familie die Stadt verlassen mussten.
Bacewicz war angehalten, sich in zahlreichen Gremien und Verbänden zu engagieren, um als Komponistin im sozialistischen Nachkriegs-Polen entsprechende Anerkennung zu erfahren. Ein schwerer Autounfall im Jahre 1954 führte zur Beendigung ihrer Laufbahn als Geigerin, sodass sie sich nun ausschließlich auf das Komponieren fokussierte. Als Aushängeschild des polnischen Komponistenverbandes war es ihr (aufreibender) Job, Lobbyarbeit für die in diktatorischen Regimen freilich nie wohlgelittenen »Neu-Töner:innen« zu machen. Bacewicz schaffte es hierbei, durch genehmigte Reisetätigkeiten in die westlichen Länder Europas die dortige Avantgarde-Ästhetik zu rezipieren. (Bereits als Konzertmeisterin konnte sie auf Tourneen durch ganz Europa das Privileg mehr oder weniger uneingeschränkten Reisens genießen.)
Fast zehn Jahre lang – ab 1960 – arbeitete Bacewicz als Vize-Präsidentin des polnischen Komponistenverbands und wurde 1967 zur Professorin für Komposition am Konservatorium von Lodz berufen. Bacewicz starb am 17. Januar 1969 im Alter von 60 Jahren in Warschau.
Grażyna Bacewicz (1909–1969)Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier Nr. 1 (1952)
Bacewiczs durchaus umfangreicher Werkkatalog umfasst neben zahlreichen Kammermusikwerken – darunter sieben Streichquartette – Stücke für Orchester, Instrumentalkonzerte, eine Kantate, diverse Lieder sowie die Radio-Oper Przygoda Króla Artura (Die Abenteuer des König Arthur) aus dem Jahr 1959.
Sieben Jahre zuvor – im Jahr 1952 – entstand das Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier. Fahl und silbrig beginnen (fast) alle Instrumente den ersten Satz (Moderato molto espressivo) auf dem gleichen Ton. Pianissimo, zerbrechlich, doch gleichsam distanziert. Hier gibt sich jemand nicht vorschnell etwaigen Emotionen anheim. Skepsis dominiert. In schweren Vierteln zieht das Klavier fort, dann und wann kontrapunktiert von wenigen Achteln. Keine Auflockerung – nur ein anderer Gedankenaspekt… Kurze Momente später beginnen erneut die Streicher unisono, diesmal einen Halbton höher angesetzt; doch an die eiskalte und doch expressive Atmosphäre des Beginns wird durch einen – ganz und gar nicht tradiert »lustigen« – Vorschlag erinnert. Ein wenig an Schostakowitschs lastend-eherne Akkordfortschreitungen gemahnend steigern sich die Streicher im Rahmen einer rhythmisch einfachen Verdichtung in eine Anschwellung hinein. Eine Art Pseudo-Tonalität im Stile des späteren Schnittke ist dabei stets präsent; man wähnt sich in einigermaßen tonalen Gefilden, doch Harmonien kommen nie wirklich an ihr Ziel, werden von chromatischen Gängen unterlaufen oder durch entsprechend engschrittige Strebungen ins Innere oder Äußere der inhärenten Stimmführungsmöglichkeiten abgelenkt. Dissonant beginnen die Instrumente immer mehr den Reigen der Unzufriedenheit zu singen. Kurz vor Beginn des schnellen Satzteils sinken alle streichenden Beteiligten dissonant hernieder auf den tiefstmöglichen Morast ihrer Akkord-Innereien. Fast folkloristisch – irgendwie Bartók mitdenkend – geht es flugs in den Allegro-Part über, der weniger tänzerische als vielmehr motorische, absolut-musikalische Räume eröffnet. Doch seltsam fröhlich; als wäre die haarsträubende Trauer der Introduktion verblasst beziehungsweise zum Anlass bloßen Spiels degeneriert; werden hier sich aufgestaut habende Anmutungen zugunsten »sozialistisch frohgemuter« Musik-Lügenmärchen abgeschüttelt?
Das darauffolgende Presto knirscht dagegen wieder dissonant los. Doch die spielzeugartige 3/8-Motivik im Klavier lässt den Homo ludens erneut davongaloppieren. Bacewicz orientiert sich an eingeführten Streichquartett-Satztechniken, bringt homophone Einbrüche neben maximal dicht enggeführten Motiv-Imitationen. Ein irritierend blass klagendes Duett von Bratsche und Klavier unterbricht den »osteuropäisch-neoklassizistischen« Reigen – und trägt uns gleichsam zur vorigen Kammermusik-Toccata zurück. Spielfreude: ja. Lebensfreude: nein!
Im zweiten Satz (Grave) dominieren zunächst tonale – doch erneut nie selbstgefällig kadenzierende – tief gesetzte Klavierakkorde, fast die herrlichen Schauergelüste so mancher Mussorgsky-Momente auf den Plan rufend. »Schilder einer Trabantenstadt-Baustelle«.
Con Passione ist das Finale überschrieben. Wie absichtlich völlig »unzusammen« reden Klavier und Streicher aneinander vorbei. Gescheiterte Kommunikation, again! Schostakowitsch grüßt in Form leicht zirkusartiger Klaviermomente im Diskant. Plötzlich befriedet das Klavier mittels eines überraschend tonalen, fast pastoral wiegenden Intermezzos. Die anderen Instrumente stimmen der Reihe nach ein, das Klavier begleitet, leicht in Kritik umschwingend. Anschließend trappeln die Streicher in der Machart eines Perpetuum mobile voran; nun ist es erneut die Rolle des Klaviers, einerseits Zwischen-Einsprengsel-Watschen zu verteilen – und doch gleichsam – sehr seltsam! – »Widerspruch« zu üben; Musik, die man vielleicht einfach mal radikaler gespielt hören müsste, um ihren Mix (?) von sich politisch enthaltender (?) Absolut-Musikalität und gemäßigten Dissonanz-Ballungsräumen im Sinne möglicherweise ausgedrückten Missfallens (?) besser spüren zu können. ¶