Anne-Marie Ørbeck wurde am 1. April 1911 als eines von vier Kindern von Inga Louise Larsen und dem Geschäftsmann Anton Ørbeck geboren. Anne-Maries Bruder Gunnar wurde – so heißt es – zu einem in Norwegen äußerst anerkannten Geigenvirtuosen. Die junge Ørbeck studierte Klavier bei der russisch-norwegisch-jüdischen Pianistin Sandra Droucker (1875–1944) in Oslo. Droucker war eine anerkannte Schülerin von Anton Rubinstein am Konservatorium von Sankt Petersburg und unternahm im Jahr 1913 als Solistin eine Skandinavien-Tournee mit den Berliner Philharmonikern, erhielt nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland jedoch ein Auftrittsverbot.
Auch Ørbeck wurde zu einer geschätzten Pianistin – und spielte mit dem Orchester der Philharmonischen Gesellschaft in Oslo 1933 das Klavierkonzert D-Dur von Joseph Haydn, zu dem sie ihre eigene Kadenz beisteuerte. Zu diesem Zeitpunkt waren wohl schon einige eigene Kompositionen entstanden. Ihr kompositorisches Talent entwickelte sie weiter, indem sie in Berlin unter anderem bei Paul Höffer (1895–1949) und Mark Lothar (1902–1985) studierte. Der 1895 in Barmen geborene Höffer wurde von Joseph Goebbels zwar als »Musik-Bolschewist« diffamiert, passte sich aber schließlich offenbar dem nationalsozialistischen Regime an, sodass er bei den Olympischen Sommerspielen 1936 die Goldmedaille für sein Chorwerk Olympischer Schwur erhielt. (Heute erinnert eine Gedenktafel am Berliner Olympiastadion an ihn.) Noch eindeutiger positionierte sich unglücklicherweise Ørbecks Kompositionslehrer Mark Lothar, der Mitglied im »Antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur war« und von Hitler auf die »Gottbegnadeten-Liste« gehievt wurde. (Ihr Osloer Kompositionslehrer Gustav Lange, 1861–1939, sollte dabei nicht mit dem gleichnamigen deutschen Komponisten Gustav Lange, 1830–1889, verwechselt werden, der im 20. Jahrhundert durch den tausendfachen Abdruck seiner Klavierschnulze Blumenlied op. 39 in diversen Klaviersammelbänden präsent blieb.)
Später, in den 1950er Jahren, unternahm Ørbeck studienbedingte Ausflüge nach Paris, um bei Nadia Boulanger und Darius Milhaud Unterricht zu nehmen. Im Alter von 28 Jahren hatte Ørbeck 1939 den Ingenieur Helge Smitt (1906–1985) geheiratet. Ihre vielversprechende Laufbahn als Komponistin wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zwar beeinträchtigt; doch für ihren Liedzyklus Vonir i blømetid erhielt sie – mitten in den Wirren des Krieges – 1942 eine Auszeichnung vom Norwegischen Komponistenverband.
Ein weiterer Lehrer Ørbecks war der österreichische Komponist Hanns Jelinek (1861–1939); ein ehemaliger Schüler von Arnold Schönberg und Alban Berg – und somit ein glühender Verfechter der Zwölftontechnik. Trotz ihrer Beschäftigung mit den avantgardistischen Kompositionsstilen ihrer Zeit blieb Ørbeck bei der Tonalität und komponierte vor allem Lieder, Klavierkammermusik sowie fünf überlieferte Orchesterwerke, mit denen sie sich den Ruf als »erste Symphonikerin Norwegens« erarbeitete. Ørbeck galt als sich frei entfaltende, selbstbewusste Komponistin – und gab dementsprechend einmal zu Protokoll: »Wenn du beim Komponieren imstande bist, deine eigene originelle Sprache zu finden, dann hat deine Musik eine gute Überlebenschance.«
Ørbeck starb mit 85 Jahren am 5. Juni 1996 in der norwegischen Hafenstadt Bergen.
Anne-Marie Ørbeck (1911–1996)Symphony (1944)
1944 entstand Ørbecks einzige Symphonie, die die Komponistin weder – mit Aussicht auf weitere Symphonien – nummerierte noch ihr einen programmatischen Untertitel beifügte.
Mit einem Unisono-Motto des vollen Orchesters hebt Ørbecks der erste Satz an (Intrada. Andante – Allegro vivace). Die zwielichtige Klanglandschaft mündet vorübergehend in einen stehenden Klang. Eine elegische Oboe erzählt von früheren Zeiten – so scheint es. Dazu gesellen sich andere Bläser im sanften kontrapunktischen Geflecht. Die Naturatmosphäre dringt jedoch nicht als liebliches Landschaftsidyll in unsere Ohren. Stattdessen tiefer Ernst – vermutlich der Entstehungszeit geschuldet.
Langsam schälen sich längere Motivphrasen heraus, drohend pizzen die Celli einen konduktartigen Rhythmus. Und da – wie angesichts einer programmatisch motivierten Lichtung in Beethovens Pastorale – blüht es plötzlich herrlich auf. Die anfangs noch zerknirschte Geste erstrahlt in fast triumphalem Schein! Sehr emotional! Als hätten Bruckner, Grieg und Mahler Schumanns Frühlingssinfonie neu erdacht. Doch freundlich oder gar harmlos sind keine adäquaten Begriffe für diese Musik. Ørbecks Symphonie wird überraschend ungemütlich, dissonant, bärbeißig! Die romantischen Geister des 19. Jahrhunderts verschwinden hinter der harten Realität drängender, insistieren Querstände! ¶