Videospiele sind voller Musik. Sie untermalt genauso, wie sie den Spieler:innen wichtige Hinweise gibt. Eine Komponistin und ein Komponist erzählen von den Herausforderungen ihrer Arbeit.

Die große Truhe öffnet sich und neben dem blendenden Lichtschein erklingt eine Tonfolge. Da-da-da-daa macht es und die Spieler:innen wissen: Der Gegenstand in dieser Truhe ist wichtig. Sie haben eine bedeutende Etappe des Dungeons gemeistert – sie haben richtig gespielt. Eine Melodie, die Marker und Belohnung zugleich ist. Eine Melodie, die sich einprägt.

Musik ist in Videospielen viel mehr als nur Untermalung. Oft hat sie eine Funktion, gibt den Spieler:innen Hinweise. Sie zu kreieren kann Komponist:innen daher vor besondere Herausforderungen stellen.

»Sowas wie eine Melodie für das Öffnen einer Truhe zu komponieren – das liegt mir echt am wenigsten«, sagt Almut Schwacke, studierte Tonmeisterin, die seit einigen Jahren auch Musik für Videospiele komponiert. Die benannte Truhe stammt aus der The Legend of Zelda-Spielreihe und gehört wohl zu den bekanntesten Videospiel-Melodien.

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Die Schwierigkeit der Funktion

»Solche funktionalen Musikstücke zu komponieren ist das größte Trial and Error für mich«, so die Berlinerin. Denn diese Arbeit sei nicht nur mitunter sehr abstrakt, es handele sich dabei auch um Musik, die in jede Umgebung passen müsse. »Öffne ich die Truhe gerade in einer traurigen Sequenz? Während eines Kampfes? Nach einem Sieg? Zu jeder dieser Stimmungen muss so eine Melodie dann passen.«

In Videospielen macht es einen großen Unterschied, ob Musik während einer Zwischensequenz, eines statischen Moments oder zum aktiven Spiel läuft. Zwischensequenzen sind wie kleine Filme, die oft die Geschichte vorantreiben. Musik für diese zu komponieren, gleicht daher dem Komponieren für Filme. Hier gilt es, markante Melodien zu kreieren, die oft leitmotivisch zu einem Charakter, einer Situation oder einem Gegenstand passen. Es sind meist diese Musikstücke, die selbst nach Beenden des Spiels in den Ohren der Spieler:innen bleiben. Die Stücke, die im Anschluss auf Soundtracks nachgehört werden. Bekannt dafür ist etwa die Final Fantasy-Reihe, deren Musik regelmäßig von Symphonieorchestern auf der ganzen Welt aufgeführt wird.

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Anders verhält es sich bei der Musik, die während des Spielflusses läuft. Diese muss sich an den Input der Spieler:innen anpassen. Es braucht fließende Wechsel: Gerade konnte sich eine Spielerin noch auf einem weiten Feld befinden, im nächsten Moment kommt es zu einem Kampf, um dann ein Dorf zu betreten. Jede Szenerie hat eine andere Musik, die Übergänge dürfen nicht abgehackt wirken.

Die Spieler:innen führen

»Der interessanteste Aspekt der Videospiel-Musik ist für mich die Interaktivität«, sagt Almut Schwacke. Im Film habe man den fertigen Schnitt, der einem genau vorgeben, wie lang ein Musikstück zu sein hat und welche Stimmung es zu transportieren habe. »Beim Komponieren für Games müssen hingegen immer die Spieler:innen mitgedacht werden. Jemand, der sehr zielgerichtet spielt, durchläuft musikalische Zustände etwa sehr viel schneller als jemand, der sich Zeit lässt.« Dann gelte es etwa, zu verhindern, dass letztere Person für eine Stunde die gleiche Musik hört.

Almut Schwacke ist nicht nur Tonmeisterin und Komponistin, sondern auch Geräuschemacherin (auf englisch: Foley-Artist). Zu ihrem Bild schreibt sie: »Es soll wohl weniger Foley-Artists auf der Welt geben als Astronaut:innen.« · Foto © Almut Schwacke
Almut Schwacke ist nicht nur Tonmeisterin und Komponistin, sondern auch Geräuschemacherin (auf englisch: Foley-Artist). Zu ihrem Bild schreibt sie: »Es soll wohl weniger Foley-Artists auf der Welt geben als Astronaut:innen.« · Foto © Almut Schwacke

Eines der letzten Spiele, für das Almut Schwacke Musik komponiert hat ist Through the Darkest of Times, das die Spieler:innen zum Teil des Widerstandes gegen das sogenannte Dritte Reich kurz nach der Machtübernahme macht. »Ich habe zunächst überlegt, welche Musik zu der Zeit präsent war: Swing und Jazz. Doch das ist oft sehr beschwingte Musik und das passt nicht immer zu diesem Spiel«, sagt Schwacke. »Through the Darkest of Times« gibt den Spieler:innen zwar Handlungsmöglichkeiten. Sie können neue Mitglieder für den Widerstand gewinnen, können Demos organisieren oder Geld eintreiben. Die Stärke des Spiels ist aber die Reibung zwischen diesen Möglichkeiten und dem Wissen darum, dass diese Mühen sich doch nicht wirklich auszahlen werden: Die Geschichte des nationalsozialistischen Deutschlands ist bekannt, die Spieler:innen werden das Unheil nicht verhindern können.

»Eine Beschränkung der Videospiel-Musik ist die Datenmenge. Das muss bei jedem Schritt bedacht werden«, sagt Schwacke. Wer ein Spiel kauft, möchte nicht zig Gigabyte herunterladen oder auf eine Festplatte ziehen. »Auch darum, und weil es zu teuer geworden wäre, eine Swingband oder ein Orchester Stücke einspielen zu lassen, bin ich schlussendlich dazu gekommen, den Soundtrack auf dem Klavier einzuspielen.« Klavier spielt Schwacke schon seit ihrer Kindheit, es ist das Instrument, das ihr am nächsten ist. »Es gibt eine Szene im Spiel, am Alexanderplatz in Berlin, in dem die Spieler:innen entscheiden müssen, ob sie einem Juden helfen, der von der Gestapo bedrängt wird. Da habe ich entschieden, dass auch ein präpariertes Piano Teil der Musik sein muss«, sagt sie. Auch hier ist es wieder der Input der Spieler, der Moment der eigenen Überwindung – oder nicht – der den Soundtrack beeinflusst habe.

Zunächst ist im Spiel nichts

»Ein Filmkomponist denkt in zeitlichen Dimensionen, wir denken im Spiel in Aktionen«, sagt Helge Borgarts, der sowohl Film- als auch Videospiel-Musik komponiert. Er versuche, über Musik und Klang im Videospiel eine Funktionalitätsebene hinzuzufügen. »Wichtig zu beachten ist, dass so ein Spiel komplett ohne jeden Ton beginnt. Wo im Film bereits Klänge und Stimmen sind, ist im Spiel: nichts«, sagt er. Der erste Schritt sei daher, ein Klangumfeld zu kreieren, das Authentizität vermittelt. Wie klingt es, wenn die Protagonistin läuft? Welche Geräusche macht der Wind? Wie viele unterschiedliche Sounds gibt es etwa, für einen Schlag auf einen Stein mit einem Schwert? »Im besten Fall laufen diese Fäden alle beim Komponisten zusammen, der so einen Gesamtklang erzeugt.« Und dann sei die Frage, welche dieser Spiel-Elemente noch durch Musik erweitert werden könnten.

Foto © Helge Borgarts
Foto © Helge Borgarts

Ein großer Unterschied zum Komponieren von Filmmusik ist für Helge Borgarts darum, bei einem Spiel im besten Fall schon von Anfang an mit dabei zu sein. »Ich erfülle als Komponist die Vision der Game Designer«, sagt er. Doch diese verändere sich im Laufe jeder Videospiel-Produktion. Welche Gameplay-Elemente wirklich wichtig seien, schäle sich erst im Laufe von Wochen und Monaten heraus. »Im besten Fall ist dann ein Komponist dabei, der mit Musik unterstützen kann, denn im Audiobereich sind viele Dinge einfacher zu lösen als durch Schrift oder Grafik.« Selbst ein Pausen-Menü in einem Spiel sollte eine eingängige Musik haben, um die Spieler:innen nicht zu stören, falls sie es längere Zeit offen haben.

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Pausenmusik aus dem Spiel The Surge 2, für das Helge Borgarts die Musik komponiert hat.

In Games gibt es sehr viele Hinweise. Diese unterscheiden sich freilich stark, abhängig vom Genre, aber auch von der Art des Spiels. Ist es ein Spiel mit offener Spielwelt, in dem die Spieler:innen selbst wählen können, welchen Weg sie einschlagen? Ist es ein lineares Spiel mit viel größerer dramaturgischer Führung? Oder vielleicht ein Strategiespiel, in dem es gilt, lange Zeit den gleichen Bildschirmausschnitt zu betrachten? So oder so, Spieler:innen müssen, wenn sie ein Game beginnen, Mechaniken lernen, die Spielwelt verstehen, wissen, wie sie mit dieser interagieren können. »Ein Hinweistext kann durch einen Klang ersetzt werden«, so Bogarts. »Oder Gegner im Spiel werden durch Musik angekündigt, damit die Spieler:innen sich vorbereiten können, die Möglichkeiten sind vielfältig.« Musik könne vieles im Spiel simpler und zugänglicher machen – wenn diese klangliche Dimension von Anfang an mitgedacht würde.

Die besondere Kunst des Komponierens für Videospiele in @vanmusik.

Von Vorbildern und Hindernissen

Trotz der vielen, sehr modernen Elemente eines Videospiels haben freilich auch Komponist:innen Vorbilder aus der Klassik. So wie alle Menschen wurden auch sie sozialisiert mit Musik, die sie auch heute noch prägt. »Bei mir sind das Tschaikovsky oder auch Wagner«, sagt Helge Borgarts. Doch seine größten Vorbilder seien jene, die es geschafft hätten, in einem Spiel das Gameplay, also das Spielgeschehen, am besten mit der Musik zu verzahnen. Olivier Deriviere sei seiner Meinung nach ein Meister darin, besonders im Spiel Remember Me.

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Almut Schwacke ist hingegen mit Brahms und Bach aufgewachsen, letzteren habe sie schon früh auf dem Klavier gespielt. »Bei Klangbildern find ich aber eher bei Debussy Inspiration«, sagt sie. So gibt es im Spiel All Walls Must Fall, für das sie den Soundtrack erstellt hat, Klavierstücke, für die sie bewusst versucht hätte, an etwas Ähnliches wie das heranzukommen, was Debussy mit seinen Werken geschaffen hat, speziell seine Versunkene Kathedrale.

Ihr Vater, über 80 Jahre alt, habe kürzlich versucht, eines ihrer Spiele zu spielen, um ihre Musik zu hören. »Dabei kam ihm aber viel in den Weg: Die Hardware war zu alt. Und selbst wenn die passen würde, müsste er das Spiel kaufen, runterladen, installieren, sich mit Einstellungen und Bedienung rumschlagen«, sagt sie. Es sei einer der Gründe, wieso Videospiel-Musik oft noch kaum beachtet würde: Die Hürden können groß sein. Und anders als der Soundtrack eines Films, sei Game-Musik eben am besten im Spiel selbst zu erleben, nicht beim bloßen Hören.  Du bewegst den Stick – und die Musik reagiert. ¶