Operntod-Rankings gibt es wie Sand am Meer: die denkwürdigsten (La Bohème, La Traviata), die epischsten (Dialogues des Carmélites, Götterdämmerung), die, die am schwierigsten zu inszenieren sind (La Wally, La Juive)… Alles schön und gut, aber nichts geht über einen Operntod, der eine Katharsis ist für die Wut, die sich in zwei bis fünf Stunden in mir aufgestaut hat. Ich will den moralisch einwandfreien Mord. Tode, die so nur richtig miese Gestalten ereilen können. Ich will, dass Fieslinge einmal – nur einmal – kapieren, wie es sich anfühlt, wenn man sie für ihre Taten zur Rechenschaft zieht. 

Darum habe ich die folgende Liste zusammengestellt, auf Basis dreier Fragen:

1. Was hat die jeweilige Figur getan, dass sie den Tod verdient?
2. Wie gut ist der Tod im Libretto und in der Partitur umgesetzt?
3. Wie befriedigend ist es, zu sehen, wie die betreffende Figur ihr Schicksal ereilt?

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Opera Twitter und allen, die dort ihre Ansichten zu den angemessensten Operntoden geteilt haben (manche habe ich im Folgenden zitiert). 


32. Die Knusperhexe (Hänsel und Gretel, Engelbert Humperdinck, 1893)

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Einerseits ist Kannibalismus nie eine gute Idee (es sei denn man ist Mads Mikkelsen). Andererseits können Kinder ganz schön nerven, darum kann ich die Hexe auch ein klitzekleines bisschen verstehen. 


31. Dido (Dido and Aeneas, Henry Purcell, 1689)

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Oh, ich soll eigentlich Mitleid haben mit Dido? Oh …


30. Der Baron (Der geizige Ritter, Sergei Rachmaninow, 1906)

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In Rachmaninows selten gehörtem, teilweise antisemitischem Einakter will ein wohlhabender Baron (der titelgebende Geizhals) nicht länger für den verschwenderischen Lifestyle seines Sohnes aufkommen. Sein Versuch, den Geldhahn zuzudrehen, führt schließlich dazu, dass er besagten Sohn zum Duell fordert, was wiederum der Herzog mitbekommt, der einschreitet, entsetzt, dass ein Adliger so geizig sein kann. Der Baron kriegt, als er diesen Vorwurf hört, einen Herzinfarkt. Mit seinem letzten Atemzug wendet der adelige Geizkragen sich nicht an seinen Sohn, sondern bittet um die Schlüssel, mit denen er seine sechs Goldtruhen öffnen kann. Eat the rich


29. Claudius (Hamlet, Ambroise Thomas, 1868)

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Shakespeares Hamlet dreht sich um den Tod des Claudius als Vergeltung für dessen Königsmord an seinem Bruder und die Heirat mit Hamlets Mutter. Dabei gibt es, je nach Adaption, mal mehr und mal weniger Tote (siehe dazu Brett Deans Hamlet, Nummer 16 dieser Liste). Ambroise Thomas hält das ganze Morden nicht für nötig und belässt es bei einem toten Polonius, einer toten Ophelia und einem toten Claudius; alle anderen Figuren bleiben am Leben. Claudius verdient, was ihm hier widerfährt, aber die französische Grand opéra konnte schon mal mehr Raserei und Spaß an der Vergeltung. 


28. Henry Kissinger (Nixon in China, John Adams, 1987)

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Kissinger stirbt in der Oper natürlich nicht. Muss ja auch im echten Leben erst noch passieren.


27. Die Macbeths (Macbeth, Giuseppe Verdi, 1847)

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Nur Macbeth stirbt auf der Bühne, während Lady Macbeth nach einer Belcanto-haften Wahnsinnsszene für das Publikum unsichtbar das Zeitliche segnet. Dennoch ist der Tod keiner der beiden Rollen für sich genommen besonders bemerkenswert. Sie ersinnt Mord- und Herrschaftspläne, er führt sie aus (und jammert hinterher deswegen). Erst gemeinsam bilden sie quasi zwei Seiten ein und derselben Figur. 


26. Turiddu (Cavalleria rusticana, Pietro Mascagni, 1890)

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Es gibt eine beeindruckende Anzahl von Fuckboys auf der Opernbühne (genug für ein eigenes Ranking, stay tuned). Turiddus Umtriebe sind der eigentlichen Handlung der Cavalleria mehr oder weniger vorangestellt, weswegen man ihn glatt für einen typischen romantischen Helden halten könnte, wenn man nicht so genau ins Libretto schaut. Und das will der prototypische Fuckboy. Lass Dich nicht übers Ohr hauen! 


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25. Pollione (Norma, Vincenzo Bellini, 1831)

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Zwar bringt Medea Jason nicht um, aber immerhin ist es doch schön zu wissen, dass Pollione mit Norma in den Tod geht. Das Finale dreht sich eigentlich nur um die Heldin – zu Recht –, in manchen Inszenierungen ist Polliones Tod nicht mehr als ein kleines zusätzliches Detail. Aber es ist schön zu sehen, dass auch ein Fuckboy mal die Konsequenzen trägt für das, was er angerichtet hat.


24. Klytämnestra (Elektra, Richard Strauss, 1909)

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Der Librettist Hugo von Hofmannsthal nimmt sich für Elektra einige Freiheiten gegenüber der Sophokles’schen Vorlage, unter anderem streicht er die guten Gründe Klytämnestras, ihren Gatten zu ermorden. (Frauen neigen nicht dazu, es einfach mir nichts dir nichts zu vergessen, wenn man die gemeinsame Tochter opfert und dann gegen die Trojaner in den Krieg zieht.) Damit sind wir Team Elektra und warten mit ihr auf den Tod ihrer abscheulichen Mutter. Zugegeben, wir sehen nicht, wie Orest seine Mutter erschlägt, aber es gibt doch ein gutes Gefühl, wenn man sieht, wie Elektra – die eine Figur, mit der wir während des ganzen Schlamassels mitgefiebert haben – endlich zu ihrer Rache bekommt.


23. Wotan (Götterdämmerung, Richard Wagner, 1876)

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In Wagners Ring wird reichlich gestorben, aber meistens ist das recht unbefriedigend. Nehmen wir zum Beispiel Mime, dessen Mordversuch an Siegfried objektiv falsch ist, bei dessen Tod durch Siegfrieds Hand einem beim Zuschauen aber mulmig wird, wenn man bedenkt, dass da ein »arischer« Posterboy eine Figur tötet, die Wagner auf Borat-Niveau mit antisemitischen Klischees ausgestattet hat.

Nicht so bei Wotan, dessen Handlungen wohl den meisten Todesfälle der vier Opern zugrunde liegen, und dessen eigene Opferung im Finale der Götterdämmerung, obwohl sie außerhalb der Bühne stattfindet, zeigt, dass absolute Macht absolut korrumpiert. Zwar wird uns das Vergnügen verwehrt, sein Ende zu sehen, wenn Walhalla in Rauch aufgeht, aber nach rund fünfeinhalb Stunden lohnt sich dieses Finale trotzdem.


22. Faust (Mefistofele, Arrigo Boito, 1868)

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Sowohl in der Opern- als auch der Literaturgeschichte ist Faust womöglich der ultimative Fuckboy. Faust wurde vielfach musikalisch adaptiert, und in zwei von drei großen romantischen Opern-Versionen des Stoffes kriegt der Protagonist, was er verdient. Boitos Faust ist mit Abstand der nervigste von allen, das Finale ist darum umso befriedigender. Schade, dass sein endgültiges Verhängnis in letzter Minute durch die Rettung seiner Seele vereitelt wird.


21. Faust (La damnation de Faust, Hector Berlioz, 1846)

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Berlioz’ Faust hat psychologisch mehr Tiefe, das macht die Figur sympathischer. Andererseits wusste dieser Faust genau, was er tat, als er sich auf Mephistopheles einließ. Sein höllisches Ende mit der Aufzählung der verschiedenen Namen des Satans im Chor ist ein Volltreffer.


20. Tom Rakewell (The Rake’s Progress, Igor Strawinsky, 1951)

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Auch in der an Faust angelehnten Geschichte von The Rake’s Progress hat die Hauptfigur ihren moralischen Kompass schon lange verloren. Er wird nicht von philosophischem Unbehagen, sondern vom Geld getrieben – so sehr, dass er ein den Bluttests von Theranos nicht unähnliches Produkt auf den Markt bringt, das spektakulär scheitert. Alle Fausts gehen unter, weil sie alles auf einmal wollen. Aber nur bei wenigen geht alles derart krachend den Bach runter wie bei Tom.


19. Graf Tamare (Die Gezeichneten, Franz Schreker, 1918)

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Im an Phantom der Oper erinnernden Plot dieses Schreker-Juwels erleben wir, wie der bucklige Alviano und die schöne Carlotta sich verlieben, was wiederum Graf Tamare auf den Plan ruft, der die beiden auseinanderbringen will, um Carlotta für sich zu haben. Verkleidet als Alviano entführt Tamare Carlotta in eine unterirdische Grotte (das Libretto strotzt hier vor schlüpfrigen und cringen Ausdrücken, quasi dem sprachlichen Äquivalent zum schmierigen Tamare, der seinen fiesen Schnurrbart zwirbelt). 

Als Alviano Carlotta endlich findet, ist sie bewusstlos, bei ihr ist Tamare, der dem Rivalen erklärt: Er hätte die ganze Zeit schon mit Carlotta Sex haben können, nur habe er Feigling die Möglichkeit nicht ergriffen. Das habe er jetzt übernommen, und laut Tamare sah Carlottas Reaktion so aus: »Ihre Lippen baten um Schonung […] Doch ihre Augen flehten um Lust.« Und: »Weiss nicht, was da, höher zu werten ist – ein freudlos Leben, ein langsam Siechen – oder ein Tod in Rausch und Verklärung, in brünst’ger Umarmung ein selig Sterben!« Als Tamare schließlich doch in Todesangst verfällt, ersticht Alviano ihn. Die Genugtuung währt allerdings nur kurz, denn der wahre Schocker kommt erst noch: Als Carlotta erwacht, verwirrt und dem Tode nahe, fragt sie nach Tamare. Das wiederum treib Alviano in den Wahnsinn, er stolpert, so steht es explizit im Libretto, über Tamares Leichnam und flieht.


18. Siegfried (Götterdämmerung)

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Von Siegfrieds Tod ist man nicht so richtig mitgenommen – das hat viele Gründe. Den wichtigsten, den ich hier stellvertretend für eine ganze Liste von Vergehen anführe, zitiere ich nach Musikwissenschaftler Alex Cowan: »for making us sit through Siegfried«.


17. Melot (Tristan und Isolde, Wagner, 1865)

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Snitches get stitches. 


16. Claudius (Hamlet, Brett Dean, 2017)

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Wer Allan Clayton so erbärmlich aussehen lässt, hat es wirklich nicht anders verdient. 


15. Der Hahn (Das schlaue Füchslein, Leoš Janáček, 1924)

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Der Hahn beschimpft das Füchslein, weil es nicht wie seine Hennen Eier legt: »Was taugt er als Anführer?«, fragt daraufhin das Füchslein, und versucht, die Hennen auf seine Seite zu ziehen, um sich gegen den Hahn zu erheben: »Er benutzt eure Körper, und die Menschen bezahlen ihn für sein Vergnügen!« Der Hahn isst das beste Getreide, gibt den Hennen nur die Reste und erwartet von ihnen unerschütterliche Loyalität und unermüdliche Produktion. Die friedliche Rebellion lässt der Hahn ziemlich schnell niederschlagen. Natürlich tötet das Füchslein ihn dafür.


14. Hagen (Götterdämmerung)

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Wagners Ring ist im Wesentlichen geprägt von Machtfragen: Wer übt Macht aus? Wer tut nur so, als ob? Wer trägt die Verantwortung, Hagen oder Wotan? Wollen wir nachsichtig sein mit Hagen, weil er uns zumindest den Dienst erweist, Siegfried zu töten? Ansichtssache. Er stirbt, ertränkt von den Rheintöchtern. Das Unrecht, das ihnen durch Hagens Vater widerfahren ist, hat wiederum diesen ganzen Reigen überhaupt erst ausgelöst. In Anbetracht dieser poetischen Vergeltung wirkt dieser Tod besonders süß.


13. Hagenbach (La Wally, Alfredo Catalani, 1892)

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Ein Fuckboy, der es schafft, in ein und derselben Oper gleich zwei Mal zu sterben – und beim zweiten Mal auch noch durch eine Lawine, die er selbst losgetreten hat? Perfekt, keine weiteren Fragen.


12. Emilia Marty (Die Sache Makropulos, Janáček, 1926)

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Emilia ist entzückend, sexy und schön bissig. Aber nach fast 350 Jahren kann auch sie mal sterben.


11. Attila (Attila, Verdi, 1846)

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Wer braucht heute noch Attila, den Hunnen?


10. Don Giovanni (Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart, 1787)

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Über Don Giovannis Tod kann man streiten, gerade mit Blick auf die Frage nach Konsens bei seinen Eroberungen. Es ist auf jeden Fall eine spektakuläre Szene (vielleicht die schönste des Subgenres der »Drag me to Hell«-Operntode), und Rollen wie der Commendatore und Elvira zeigen, dass zumindest Giovannis Affären nicht nur blutleere Figürchen aus Candy Land sind. Andererseits beschleicht einen am Ende der Oper das Gefühl, dass ohne den Bastard von Sevilla das Leben aller vermutlich ein bisschen langweiliger sein wird.

Claus Guths Inszenierung schafft den besten Spannungsbogen, der unaufhaltsam auf Don Giovannis Tod hindeutet: In der Eröffnungsszene wird er nach einem Stelldichein mit Donna Anna im Duell mit dem Commendatore tödlich verwundet. Der Rest der Oper ist sein Fiebertraum im Todeskampf, am Ende erliegt er seiner Schussverletzung.


9. Hermann (Pique Dame, Peter Tschaikowski, 1890)

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Ich liebe Pique Dame. Aber jedes Mal, wenn ich Hermann über die drei Karten jammern höre, die er braucht, um das Spiel zu gewinnen (und, ganz nebenbei bemerkt, am Leben zu bleiben), denke ich, dass die Abrechnung nicht früh genug kommen kann. Er hat Lisa für sich gewonnen, obwohl Prinz Jelezki die viel bessere Partie gewesen wäre, und sogar – endlich! – in ihren Armen liegend will er nicht aufhören, über die »Tri Karty« zu faseln. Gebt mir eine Knarre, dann erschieße ich ihn eigenhändig.


8. Boris (Lady Macbeth von Mzensk, Dmitri Schostakowitsch, 1934)

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Die Misogynie des russozentrischen Patriarchats kann auch mal schlecht für die Täter enden, siehe zum Beispiel Katerinas Schwiegervater. Nachdem er sie in ihrem Schlafzimmer eingesperrt und beschimpft hat, weil sie ihm noch keinen Erben geschenkt hat, und selbst eine Vergewaltigung als Mittel zur Zeugung dieses Erben in Erwägung gezogen hat, wird er umgebracht – nachdem er zum x-ten Mal verlangt hat, dass die Frau seines Sohnes ihm ein paar Pilze kocht. Die stets wundervolle Petrarchian schreibt dazu treffend: »we love to see a girlboss winning«.


7. Werther (Werther, Jules Massenet, 1892)

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Niemand findet für diesen Tod bessere Worte als Elif Batuman in ihrem aktuellen Roman Either/Or. Hier in deutscher Übersetzung: 

Werther beschließt, dass der einzige Ausweg darin besteht, dass irgendwer stirbt: er, Charlotte oder der andere Typ. Da er Mord moralisch nicht vertreten kann, entscheidet er sich für Selbstmord. Zuerst bringt er Charlotte dazu, ihm Pistolen zu geben, damit er behaupten kann, er würde ›durch ihre Hand sterben‹. Dann stellt er sich beim Selbstmord so ungeschickt an, dass ihm alle zwölf Stunden lang dabei zusehen müssen, wie er alles vollblutet … Für mich klingt das nicht so, als wäre Werthers Selbstmord Ausdruck eines durch Ablehnung verursachten Verlustes an Selbstwert oder kognitiven Fähigkeiten. Hier geht es wohl viel eher um eine einfache Hintertür bei seiner »nicht morden«-Regel. Sein Selbstwert stand nie in Frage.

Werther ist wie Hermann, nur noch hundertmal nerviger. Charlotte und ihre Schwester Sophie sind beide gerade nochmal so davongekommen.


6. Radames (Aida, Verdi, 1871)

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Imperialism is a bitch, baby. 


5. John Claggart (Billy Budd, Benjamin Britten, 1951)

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John Claggart …

  • … hasst den süßen, unschuldigen Billy so sehr, dass er die Lüge erfindet, dieser plane eine Meuterei.
  • … singt über die Zerstörung von Schönheit und Güte.
  • … ist so schwach, dass er von Billy getötet wird, als der ihm einen einzigen Schlag versetzt.

Ich verstehe allerdings immer noch nicht ganz, wie Billy Budd Claggart mit einem Schlag ausschalten kann. Ist sein Schädel aus Balsaholz geschnitzt? So oder so, einem netteren Kerl wäre das sicher nicht passiert.


4. Hunding (Die Walküre, Wagner, 1870)

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Die Hölle, durch die Sieglinde dank Hunding gehen muss, lässt mich an ein Zitat von Shakespeares Cesar denken: »Der Feige stirbt schon vielmal, eh’ er stirbt, Die Tapfern kosten einmal nur den Tod.«  

Siegmunds Tod ist tapfer und hat verheerende Folgen, vor allem für Wotan. Die Ermordung Hundings am Ende des zweiten Aktes fällt kaum ins Gewicht. Hunding ist zuvor schon viele Tode gestorben, dieser ist lediglich der letzte in einer langen Reihe.


3. Alle männlichen Charaktere (Lulu, Alban Berg, 1925)

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Bei einigen Opern auf dieser Liste fällt es leicht, zu bewerten, wie moralisch die einzelnen Charaktere handeln. So viel Aufmerksamkeit will ich den Männern in Lulu gar nicht schenken, denn auch sie betrachten ja offenbar alle Frauen als austauschbare Wegwerfprodukte. 


2. Scarpia (Tosca, Giacomo Puccini, 1900)

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Ich zitiere hier nur Mariel O’Connell

ARE YOU CHOKING ON YOUR OWN BLOOD? LOOK, A WOMAN HAS KILLED YOU! This shriveled up dickweed used to scare the whole city?

SO SATISFYING


1. Don Carlos (Don Carlos, Verdi, 1867)

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Ende 2021 habe ich einen Don Carlos gesehen, bei dem, wegen COVID Fällen in der Belegschaft der Deutschen Oper, der Chor gestrichen wurde. Manche Gruppenszenen wie die Mönche bei Saint Just oder die Hofdamen der Prinzessin Eboli wurden von einigen wenigen Solist:innen übernommen, aber die komplette auto-da-fé Szene flog raus. Das Drama konzentrierte sich so noch sehr viel stärker auf das Privatleben der Hauptcharaktere und weniger auf politische Ränke.

Diese deus-ex-Regie stellte noch stärker heraus, wie unerträglich Don Carlos als Charakter ist. Im Namen deines Vaters wird ein Völkermord begangen, dein bester Freund präsentiert dir einen ausgefeilten Plan, wie du dagegen vorgehen und zum Helden werden kannst, und alles, was dich interessiert, ist, dass eine Frau, mit der du im Rahmen eines politischen Deals zusammengebracht wurdest, jetzt mit deinem Vater verheiratet ist? Das ganze System des Gottesgnadentums ist, gelinde gesagt, fragwürdig und ein Habsburger zu sein ist kein Sonntagsspaziergang, aber verdammt noch mal, Carlos, krieg dein Leben auf die Reihe oder leg dich halt in die Gruft zu deinem toten Großvater, ich habe besseres zu tun, als deine Misere zu bezeugen.


Bonus! Escamillo (La tragédie de Carmen, Georges Bizet & Peter Brook, 1981) 

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Diese Oper ist zwar nicht unbedingt Teil des Kanons, aber die Grundidee von Peter Brooks Carmen-Adaption ist gerade das Brechen mit dem Kanon. Hier gewinnt der Stier, nicht Escamillo. In gewisser Weise nimmt das Carmens Tod etwas von seiner Schwere: Der Subtext, dass sie allein als gesellschaftliche Außenseiterin sterben muss, wird unterlaufen. Escamillo stirbt gleichermaßen durch Schicksal wie durch Hybris – und das kann allen zum Verhängnis werden, unabhängig von Status und Geschlecht. ¶

Olivia Giovetti

… berichtet über Musik und Kunst für Paper, die Washington Post, NPR, Gramophone und andere. Sie war Teil der Redaktion bei Time Out New York und WQXR/Q2 Music. Auf der Bühne der Brooklyn Academy of Music konnte man ihre Texte auch schon hören – beim Next Wave Festival. Seit 2020 ist sie festes Mitglied der VAN Redaktion. olivia@van-verlag.com