Die Streaming-Plattform takt1 wurde 2016 gegründet – und ist seit letzter Woche Geschichte. Das Unternehmen wird sich künftig darauf konzentrieren, Beratungs- und Serviceleistungen für Konzerthäuser, Künstler und Orchester bei der Umsetzung ihrer digitalen Strategie anzubieten. »Da ist der Sitz im Leben plausibler als bei einer Plattform, die im Endkundengeschäft Abonnenten einsammeln will«, sagt takt1-Gründer Holger Noltze.

VAN: Fiel der Abschied von takt1 schwer?
Holger Noltze: Er ist natürlich mit Gefühlen verbunden, weil da sieben Jahre lang die Herzpumpe aktiv war und wir viel Liebe reingesteckt haben. Aber es war schon länger absehbar, dass sich die Plattform wirtschaftlich nicht trägt, insofern bin ich gefasst.
Was war die Idee hinter takt1?
Das Konzertstreaming hat ja mal angefangen mit der Digital Concert Hall. [2008] Das waren immer nur die Berliner Philharmoniker in der Berliner Philharmonie. Die Idee war: Die Welt ist doch größer, lasst uns das ausweiten mit vielen Partnern, Konzerthäusern, Orchestern zusammenarbeiten und daraus eine Plattform bauen, die mehr Vielfalt bietet, die aber eben auch – das war für mich immer die Hauptidee – die Videos und Streams nicht einfach unkommentiert oder mit einem Pressetext versehen anbietet, sondern die möglichen Interessenten zum guten Inhalt begleitet.
Und die Geschäftsidee?
Wir haben auf ein Abomodell gesetzt. [Das takt1-Abo kostete 10 Euro monatlich.] Die Marketing-Idee war, dass die prominenten Partner, die wir hatten – das Konzerthaus Wien zum Beispiel – takt1 auch als ihre digitale Außenstelle mit vermarkten und an ihre Abonnenten geben. Die Rechnung war: Warum sollte nicht jeder zehnte Abonnent bei einem Konzerthaus bereit sein, für die Möglichkeit zu zahlen, Konzerte nochmal anzuschauen, andere Orte kennenzulernen oder Sachen zu sehen, die nicht auf Youtube sind? Das war eigentlich nicht so naiv und hätte auch klappen können, hat es aber nicht.
Warum ist die Rechnung nicht aufgegangen?
Ich glaube, der Hauptgrund ist, dass es so viel Gratiscontent gibt, der von den Veranstaltern auf Youtube oder eigenen Plattformen gezeigt wird, dass das Argument für ein Bezahl-Abo immer schwieriger zu platzieren war. Und Exklusivität, auf die wir am Anfang stark gesetzt haben, ist dann einfach nicht der Trumpf, der sie früher mal war. So erklärbar es ist, warum am Anfang alles kostenlos war: Der Punkt, frühzeitig klar zu machen, dass guter Inhalt kostet, ist von den Konzerthäusern und Orchestern verpasst worden. Das war ja auch der Kardinalfehler der Qualitätspresse. Vielleicht war die Zeit auch einfach noch nicht reif. Ich musste ja immer erklären, warum ich nicht finde, dass das Digitale das Analoge kaputt macht, sondern ergänzt.
Begleitend zu den Videos und Streams gab es weiterführende Informationen, Exklusiv-Interviews mit beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, Aufnahmenempfehlungen, Einführungstexte … Habt ihr den Wunsch nach Kuration beim Endkunden überschätzt?
Offenbar. Viele Leute haben das sehr gemocht, bei denen kommt jetzt auch viel Trauer hoch. Denn bei den Mitbewerbern geht das inhaltlich Redaktionelle komplett unter. Das, was ich zum Beispiel bei Apple Music Classical an ›Kuratierung‹ sehe, ist das Geld nicht wert, das wirkt eher wie eine schlechte Manifestation von KI. Für mich war die Vermittlungsarbeit hingegen immer zentral – die Liebe zum Gegenstand und eine gewisse kritische Grundhaltung, die wir pflegen wollten. Ich glaube, die Zeit dafür wird kommen, weil vollkommen klar ist, dass es in der digitalen Welt weniger auf den Zugang zum Datensatz ankommt, als auf den Weg dahin: Wie finde ich das Gute, wie entscheide ich, was mich interessiert oder wirklich angeht und was nicht?
Mir begegnet vonseiten einiger – nicht aller – öffentlich finanzierter Klassik-Institutionen bisweilen eine erstaunliche Arroganz gegenüber einer unabhängigen, nicht subventionierten Unternehmung und auch eine Unkenntnis darüber, was es eigentlich bedeutet, in dieser Nische ›Klassik‹ etwas neu entwickeln und verkaufen zu wollen. Wie hast du das erlebt?
Das habe ich schon auch mitgekriegt bei dem Versuch, Partnerschaften zu etablieren: ›Wir sind nicht kommerziell, weil wir abgabenfinanziert sind, und Ihr seid kommerziell, das Kapital, das Böse.‹ Das Verständnis dafür, dass ›der Markt‹ auch die Möglichkeit enthält, nicht nur die große Trommel zu rühren, sondern auch mit dem feineren Besteck was zu machen … Da gibt es einen natürlich Vorbehalt, den ich mal ärgerlich, mal amüsant fand. Das kennst du wahrscheinlich auch. Dass VAN eine kritischere Berichterstattung hinkriegt, als alle öffentlich-rechtlichen Sender zusammen, ist ja das klare Gegenbeispiel.
Was glaubst du, wie der Markt sich entwickeln wird?
Irgendwann wird er sich konsolidieren und dann wird sich herausstellen, wer es am Ende macht. Die Hoffnung ist natürlich, dass aus dem ganzen Kuddelmuddel etwas entsteht, bei dem man sagen: Das ist ein gutes Angebot, das ist umfassend, das kann sich tragen und ist eben nicht nur eine reine Abbildung von Marktinteressen. ¶
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