24 eigenständige Musikhochschulen gibt es in Deutschland. Aus 18 von ihnen haben sich Ende April 2021 jeweils die Studierendenvertretungen zusammengetan und einen Brandbrief unterzeichnet, der sowohl pandemiebedingten Probleme der Musikstudierenden als auch allgemein gültige Schieflagen und Hemmnisse im Studium benennt und konkrete Lösungen aufzeigt. Hinter diesem Brandbrief steht ein Zusammenschluss der »Studierendenschaften der deutschen Musikhochschulen« (StuM), der sich Anfang 2021 erstmalig zusammenfand. Auslöser war ein gemeinsamer offener Brief der Studierendenvertretungen der norddeutschen Musikhochschulen, der Position bezog gegen die drohende Schließung NDR-Chors (der für die Musikstudierenden sowohl Arbeitgeber im Studium ist als auch eine Perspektive für den Berufseinstieg bietet und dessen mögliche Abschaffung zudem symbolisch für die generellen Stellenkürzungen im Musikbereich stand). Aus dieser gemeinsamen Aktion entstand schnell die Idee eines bundesweiten Austauschs. »Es fehlte eine Art Lobbyismus für Musikstudierende, die sehr besondere Bedürfnisse in ihrem Studium haben«, erklärt Malwine Nicolaus, Gesangsstudentin und Landespolitische Sprecherin der Hochschule für Künste Bremen. »Aufnahmeprüfungen oder die Frage nach der Bewertung von künstlerischen Prüfungen zum Beispiel gibt es in vielen anderen Studiengängen gar nicht.« StuM befindet sich aktuell im Aufbau, Daten aus Erhebungen oder Umfragen an den Musikhochschulen liegen also noch nicht vor. Aufbauend auf den Berichten der Studierenden der ersten drei StuM-Treffen lassen sich trotzdem schon einige Einschätzungen zu Problemen treffen, die an vielen Standorten akut sind (und somit auch Eingang in den Brandbrief fanden). Über diese Probleme spreche ich am Telefon mit Malwine Nicolaus.

VAN: Im Brandbrief fordert ihr, dass allen Kommissionen bei künstlerischen Prüfungen Studierende beisitzen sollen. Wie sehen solche künstlerischen Prüfungen eigentlich genau aus?

Malwine Nicolaus: Normalerweise spielt oder singt man ein bestimmtes Repertoire vor einer Prüfungskommission, die aus zwei oder drei Leuten besteht. Meistens ist die Lehrkraft für das Hauptfach auch dabei. Nach der Performance verlässt man den Raum, die Kommission berät sich und dann gibt es ein kleines Gespräch, in dem man die Note erfährt und ein kurzes Feedback bekommt.

Es liegt auf der Hand, dass es eine große Herausforderung ist, künstlerische Leistungen zu bewerten, die künstlerische Leistung in eine Note zu pressen. Schon innerhalb der Hochschulen gibt es da sehr unterschiedliche Maßstäbe. Manche Lehrende bewerten sehr stark die individuelle Entwicklung der Studierenden, manche legen viel Wert auf den Vergleich mit anderen Studierenden oder die erwarteten Chancen einer Musikerin oder eines Musikers im späteren Berufsleben. Das ist das Grundproblem: Die Notengebung ist innerhalb der Hochschulen, aber auch landes- und bundesweit schwer vergleichbar.

An vielen Hochschulen gibt es zur Bewertung keine Richtlinien, die das Verfahren greifbar und transparent machen, die einzelne Bewertungskriterien wie ›Technik‹ oder ›Ausdruck‹ festlegen, für die jeweils Punkte vergeben werden. Ich will bei diesen Verfahren niemandem Willkür unterstellen. Aber die Willkür ergibt sich ganz einfach daraus, dass die einzelnen Lehrenden so unterschiedliche Maßstäbe haben.

Was erhofft ihr euch vom Prüfungsbeisitz durch Studierende?

Wir hoffen, dass die Studierenden prüfen können, ob das Verfahren fair verläuft. Das Problem ist, dass das mit einer gewissen Unterstellung einhergeht, diese Rückmeldung haben wir auch von einigen Hochschulen bekommen: dass wir ihnen mit diesen Forderungen unterstellen würden, dass sie nicht fair bewerten. Der studentische Beisitz ist ein Vorschlag, der sicherlich nicht das ganze Problem löst. Aber wir denken, dass solche Prüfungsgespräche anders stattfinden, wenn Studierende dabei sind – auch, wenn das manchmal problematisch sein kann.

Foto: mohamed Hassan via Pixabay

Warum?

Wenn ich beispielsweise als studentische Beisitzerin in einem Prüfungsgespräch einer Kommilitonin beisitze, schafft das möglicherweise schwierige Verhältnisse zwischen den Studierenden, durch das, was inhaltlich besprochen wird, aber auch deswegen, weil man normalerweise als studentische Beisitzerin zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.

Zumindest bei den Aufnahmeprüfungen gibt es aber doch bei einigen Hochschulen auch studentische Beisitzer:innen oder sogar Kommissionsmitglieder, oder?

An manchen Hochschulen ist das so festgelegt, an vielen gibt es das aber auch gar nicht. Die Studierenden von diesen Hochschulen machen sich jetzt dafür stark, das auch zu bekommen. Und dafür ist dieser Austausch zwischen den Studierenden verschiedener Hochschulen wichtig. Das kann für die Studierendenvertretungen eine gute Argumentationshilfe sein.

Für viele kleine Hochschulen ist es, denke ich, auch einfach eine organisatorische Frage: Es gibt unglaublich viele Prüfungen, weil immer nur eine Person gleichzeitig geprüft werden kann. Auch für die studentischen Beisitzer:innen ist es dann ein großer Arbeitsaufwand, das zu stemmen. Da müssen die Hochschulen erstmal schauen, wie sie das regeln.

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Im Brandbrief fordert ihr außerdem eine konsequente anonyme Evaluation aller Lehrveranstaltungen, auch des Einzelunterrichts. Warum ist die Evaluation von Lehre an Musikhochschulen so wenig verbreitet?

Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass viele Musikhochschulen so klein sind. Manchmal laufen Beschwerden zum Beispiel bei Diskriminierung über die Studierendenvertretungen. Aber weil die einzelnen Instrumentenklassen – die Gesangsklasse, die Fagottklasse – so klein sind, ist häufig sehr einfach zurückzuverfolgen, von wem die Kritik tatsächlich kam, auch wenn die Studierendenvertretung sie anonym äußert.

Es gibt oft Evaluationsangebote an Musikhochschulen, die aber nicht verbindlich sind. Die nehmen dann nur die Lehrenden in Anspruch, die einigermaßen wissen, welches Feedback kommt und dass sie gut damit umgehen können. Aber eigentlich wäre es wichtig, dass das wirklich alle machen – auch im Einzelunterricht. Denn gerade da ist das Abhängigkeitsverhältnis von den Lehrenden so stark.

Besteht denn grundsätzlich die Bereitschaft bei den Lehrenden, sich beim Einzelunterricht etwas stärker in die Karten schauen zu lassen? Aktuell passiert ja fast alles hinter geschlossenen Türen in nicht einsehbaren Räumen.

Ich glaube, dass der Unterricht, den andere mitbekommen, ein anderer ist. Das kennt man ja zum Beispiel von Master Classes, wo vor Leuten unterrichtet wird. Dieser Einzelunterricht und eine Art von Mentor:innenschaft, die man im Musikstudium erlebt, ist ein ganz anderes Verhältnis als zum Beispiel das zu einer Professorin an einer riesen Uni, die mehrere hundert Studierende betreut, weil es so persönlich ist und viel Vertrauen braucht. Man offenbart sich selbst in der Kunst, muss aus sich rauskommen, sich verletzbar machen – als Studierende sowieso, aber zum Teil auch als Lehrende. Aber zu dieser ganzen Frage kann man sehr schwer pauschale Aussagen treffen. Für die einen ist der geschützte Raum sehr wichtig. Für andere, die nicht so gerne mit den Lehrenden alleine sind oder die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, wäre es vielleicht besser, wenn noch jemand dabei wäre.

Foto: Frauke Riether via Pixabay 

Man könnte ja auch sagen: Gerade der Umstand, dass man sich so verletzlich macht als Student:in an einer Musikhochschule, macht die regelmäßige Evaluation des Unterrichts besonders wichtig.

Genau. Im Idealfall sind Musikhochschulen ein Schutzraum für angehende Künstler:innen – zum Ausprobieren, zum Improvisieren, zum Fehler machen. Auf der künstlerischen Ebene sowieso, aber auch auf persönlicher Ebene. Viele erleben die Musikhochschule aber leider auch als Raum der destruktiven Kritik, der Diskriminierung und des enormen Drucks durch den andauernden Vergleich. Ein Musikstudium braucht auf jeden Fall eine riesige Vertrauensbasis zwischen Lehrendem und Studierendem. Und wenn Studierende sich nicht wohl fühlen, ist es wichtig, das zu erfahren und darauf zu reagieren.

Ihr fordert außerdem die Abschaffung von Studiengebühren für Studierende aus dem nicht-EU-Ausland. Haben die Musikhochschulen das überhaupt in der Hand? Oder ist das landesweit geregelt für alle Hochschulen?

Das ist Ländersache und wird in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Das macht es natürlich wieder sehr kompliziert. Daran können die Musikhochschulen selbst nicht so viel ändern. Wir wollten die Abschaffung dieser Gebühren trotzdem unbedingt mit aufnehmen und weiterhin bundesweit fordern, denn dieses Zweiklassensystem ist einfach unfair. Ein Musikstudium sollte allen offenstehen, die die Lust, das Talent, den Willen und den Mut mitbringen. Das sollte dann nicht daran scheitern, dass man es sich wegen einer bestimmten Staatsangehörigkeit nicht leisten kann. Natürlich freuen wir uns, wenn diese Gebühren dann für alle Studierenden abgeschafft werden, nicht nur für die in der Musik.

Welche Rückmeldungen habt ihr von den Musikschulen zu eurem Brandbrief und euren Forderungen erhalten?

Nicht so viele. Und die Tendenz war eher negativ, die Hochschulen haben sich zum Teil angegriffen gefühlt. Ich glaube, dahinter steht ein gewisser Druck, weil auf die Hochschulen durch die Pandemie ohnehin so viel Mehrarbeit zukam, dass man jetzt keine Kapazitäten mehr hatte für die Forderung der Studierenden – ›das schaffen wir nicht, das ist zu viel, das können wir nicht stemmen‹. Es gab aber auch positive Rückmeldungen von vielen einzelnen Personen, die sich gefreut haben, dass die Musikstudierendenschaften sich endlich zusammenschließen und sich äußern.

Warum hat das so lange gedauert?

Ich glaube, wenn man Musik studiert, will man sich auf das Instrument konzentrieren, man will später eine Stelle bekommen, am Markt bestehen, mit Musik den Lebensunterhalt verdienen. Der Weg ist sehr klar vorgezeichnet. An Hochschulpolitik denken die wenigsten im ersten Semester. Die kommt vielleicht irgendwann dazu, wenn man schlechte Erfahrungen macht und dagegen vorgehen will. Aber es gibt nicht besonders viele Musikstudierende, die viel Energie in die Hochschulpolitik stecken können, weil die Zeit im Musikstudium einfach sehr knapp ist. Man hat ja keine Klausurenphasen oder feste Abgabenzeiten, in denen es mal angespannter ist und danach hat man aber wieder Luft. Man muss sich immer Zeit nehmen zum Üben, jeden Tag, das ganze Semester über. Wenn Studierende teilweise acht bis zehn Stunden am Tag üben, bleiben für Hochschulpolitik einfach keine Kapazitäten.

Außerdem macht man sich mit Hochschulpolitik – in den kleinen Hochschulen zumindest – schnell angreifbar. Egal, ob man sich selbst vertritt oder andere Studierende in ihren Anliegen. Das Engagement spricht sich schnell rum und hat nicht immer den besten Ruf. Ich kann mir vorstellen, dass es an größeren Hochschulen nicht immer alle Professor:innen mitbekommen, wenn eine Studentin sich für irgendwas engagiert.

An manchen Musikhochschulen sind die Strukturen der Selbstverwaltung auch nicht in allen Bereichen so ausgearbeitet – das ist aber auch sehr unterschiedlich. An kleinen Hochschulen werden zum Teil oft Einzelfalllösungen gewählt. Aber 1.000 Einzelfalllösungen bedeuten am Ende doch auch für die Verwaltung mehr Arbeit. Darum brauchen wir klare Strukturen, wie zum Beispiel die Verpflichtung zur Evaluation. ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com