Erinnern wir uns an die dystopischen Zustände am Anfang der Coronapandemie, kommen dabei oft ganz bestimmte Bilder hoch. Für mich sind es die Berliner Skateparks, die scheinbar über Nacht mit Absperrband versehen waren, als wären sie Tatorte, an denen sich Grausames ereignet hat. Im Frühling 2020 waren die Tage lang und leer: Arbeit, Alkohol, ab ins Bett. Man tat, was man konnte, um aus der Wohnung zu kommen. Ich traf mich deshalb mit meinen Freunden statt auf den Skateparks an leeren Parkplätzen und -häusern. 

Es war oft erbärmlich. Einmal gerieten wir in Streit mit einem Mitarbeiter von der Rewe Lieferzentrale, weil wir auf dem Parkplatz skaten waren. Er meinte, unsere Skateboards könnten bei einem Sturz so hoch in die Luft fliegen, dass sie auf die Dächer der Autos fallen und diese einschlagen könnten. Als wir ihn darauf hinwiesen, dass das rein physikalisch nicht möglich ist, rief er die Polizei, die auch tatsächlich innerhalb von fünf Minuten erschien und uns vertrieb. 

Theo Legend, ollie up, April 2020

Aber auch in einer dystopischen Wirklichkeit kann es utopische Bilder geben. Es hat sich herumgesprochen, dass man an der Berliner Philharmonie skaten kann, dass dort keiner ist, der einen wegschickt. Um zu verstehen, was uns Skater:innen das bedeutet, muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Die Philharmonie eignet sich hervorragend zum Skateboard-Fahren. Der Boden ist wunderbar glatt – was in Berlin selten ist –, der Platz ist weitläufig, es gibt schöne und ganz unterschiedliche Hindernisse. Dort kann man sich perfekt für das Kulturforum aufwärmen, der Spot in Berlin, an den es alle großen Namen des Skatens irgendwann zieht; der, um es im PR-Jargon deutscher Kulturinstitutionen zu sagen, internationale Strahlkraft besitzt. Zweitens ist die Berliner Philharmonie ein Paradebeispiel für das, was Skater:innen einen »Bust« nennen. In normalen Zeiten hatte man dort fünf, an guten Tagen zehn Minuten, bevor die Security kam und einen wegschickte. (Eine Erfahrung, die ich wiederholt gemacht habe.) Ging man und kam wieder, so war beim nächsten Mal auch schon die Polizei vor Ort, die Personalien aufnahm und sogar Bußgelder verhängte. Als man im Frühling 2020 an der Philharmonie den ganzen Tag skaten konnte – wir hatten für den Berliner Frühling ungewöhnlich gutes Wetter – war es, als hätte Gott Adam und Eva kurz zurück ins Paradies gelassen. 

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Es folgten lange Nachmittage an der Philharmonie, die in schwierigen Zeiten Trost gespendet haben. Hat Bundespräsident Steinmeier nicht etwas ähnliches über die Zoom-Konzerte Igor Levits gesagt? Ich weiß jedenfalls, dass mir Skaten besser gegen Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit half, als jedes gestreamte Konzert es konnte. Man traf sich dort mit den engen Freunden, aber auch mit allen anderen Skater:innen der Berliner Szene; es war sonst niemand da, außer Fotojournalisten, die Bilder von der leeren Stadt schießen und verkaufen wollten. Man hielt Abstand und skatete, quatschte, rauchte Zigaretten, trank Bier, filmte in Ruhe Tricks, für die man früher höchstens sieben Versuche hatte. Wir Skater:innen waren so gut gelaunt, dass wir sogar fast gewillt waren, den Platz mit den Scooterfahrer:innen und Inlineskater:innen zu teilen. Einmal fuhr ein Polizeibus vorbei. Er hielt nicht an. Es schien, als ob sie uns im Ausnahmezustand ein Recht auf diesen Platz zugestanden.

Die Coronapandemie ist nicht vorbei, doch an der Berliner Philharmonie ist der Status Quo zurück. Skaten verboten. Dort geht es genauso zu wie an der Neuen Nationalgalerie, wo Skater:innen die ersten Monate toleriert wurden, bevor uns der Zutritt zum Gelände verboten wurde. Das ist für die Berliner Skate-Szene schade, vor allem schadet es aber der Philharmonie, die sich verbarrikadiert in einer Zeit, die Offenheit verlangt. 

In meinen inzwischen fünfzehn Jahren auf dem Brett habe ich viele Erklärungen gehört, wieso Skater:innen sich nur an den dafür vorgesehenen Plätzen – und auch dort manchmal nicht – aufhalten dürfen. Die erste ist, dass Skaten ein gefährlicher Sport sei. Es stimmt zwar, dass Skater:innen häufig mit Schürfwunden, umgeknickten Knöcheln und gestauchten Handgelenken nach Hause kommen. Aber gebrochene Knochen sind selten, und Skater:innen verletzten sich nur selbst, sie gefährden niemand anderen. Wenn mal ein Bord wegfliegt, werden andere Skater:innen und Passanten eindringlich gewarnt. (An einem weitläufigen Ort wie der Philharmonie ist es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass ein Board schnell genug wird, um jemandem in die Fersen zu fliegen. Das passiert viel eher in Bowls, Miniramps oder Skateparks mit gutem Flow, wie sie Berlin kaum hat.) Geht es vielleicht um das Risiko, dass das Philharmonie-Publikum Zeuge einer Verletzung wird? Da ereignet sich viel Schlimmeres zwischen Fahrrädern und Autos auf der Potsdamer Straße. Hat die Philharmonie Angst, dass verletzte Skater:innen sie um Schadenersatz verklagen könnten? Keine Sorge: So prozessfreudig wie der Verband der Deutschen Konzertdirektionen, der die Philharmoniker 2002 wegen ihren »Dumping«-Eintrittspreise vor Gericht ziehen wollte, sind wir nicht.

2. Der Autor, kickflip manual, März 2020

Nächster Punkt: die Gebäudebeschädigung. Die ist bei uns Skater:innen sehr spezifisch – und meiner Meinung nach nebensächlich: Es geht um die Kanten der kleinen Mäuerchen, die Curbs, um das Gebäude. Diese Curbs können vom Wax schwarz werden, kleine Stücke vom Stein bröckeln gelegentlich ab. Nichts von dem, was man mit der Philharmonie verbindet – nicht mal die Eingangsbereiche – werden beschädigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Berliner:innen, die schon mal auf dem Bürgeramt waren, sich von schwarzen Mäuerchen einschüchtern lassen. Wenn der Philharmonie wirklich so viel an ihren Curbs liegt, schlage ich eine Zusammenarbeit vor. Denn niemand schätzt gute Curbs, wie die Philharmonie sie hat, mehr als ein Skater. (Mein Kumpel hat mir letztens ein Bild von einem schönen Mäuerchen in Kolumbien geschickt. Nicht, weil ich plane hinzufahren, sondern einfach weil es schön war.) Wir übernehmen gerne die Verantwortung für die Pflege der Curbs der Philharmonie, das machen Skater:innen auch häufig anderswo. Ich bediene mich der Sprache der von der Politik so geliebten und so teuren Berater: Macht die Skater:innen:innen zu Stakeholdern, dann werden wir uns um die Mäuerchen kümmern, die der Philharmonie scheinbar so unendlich wichtig sind. 

Ein dritter Einwand gegen Skaten betrifft seine Lautstärke. Niklas Maak beschreibt in einem Text für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der Skaten zur modernen Kunstform erklärt, die Furcht der Nationalgalerie-Verwaltung, dass die »Klackgeräusche« vom Nose und Tail am Boden »den Kunstgenuss der Museumsbesucher beeinträchtigen« könnten. John Cage hat ein nettes Stück zur überholten Differenzierung von Geräusch und Musik komponiert, aber ich schweife ab. Die akustische Situation an der Philharmonie ist anders als in der Nationalgalerie und müsste eigentlich zugunsten der Skater:innen ausfallen. Die Konzerte finden meistens nachts statt, wenn kaum jemand skatet, weil die Anlage nicht ausreichend beleuchtet ist. Die Akustiker:innen der Philharmonie hätten einen schlechten Job gemacht, sollte man »Klackgeräusche« oder hupende Autos von der großen Potsdamer Straße im Saal hören. Läuft man entlang der Philharmonie, kann es mal passieren, dass man sich wegen eines Skateboardgeräuschs erschreckt. Hier ist vielleicht das Problem, dass das Publikum der Philharmonie so wenig an plötzliche laute Geräusche gewöhnt ist, weil Kirill Petrenko gerne einen Bogen um zeitgenössische Musik macht. Unser Lärm ist jedenfalls nicht beängstigender als plötzliche Schlagzeugeinsätze bei Strawinsky oder Schostakowitsch. 

3. Der Autor fällt hin und verklagt die Philharmonie nicht.

Das vierte Argument wird selten laut ausgesprochen. Es richtet sich nicht gegen das Skaten, sondern gegen Skater:innen. Das seien Menschen, die das Philharmonie-Publikum verunsichern, von denen sie sich bedroht fühlen – vermutlich weil sie anders sind. Maak weist auf die Möglichkeit hin, dass »bildungsferne« junge Leute aus den »Plattenbauten« durch die Nähe zur Nationalgalerie beim Skaten etwas zur Hochkultur beitragen könnten (er nutzt bewusst solche Klischees, um seinen Punkt zu machen). Ich bin mir nicht sicher, ob Skaten als Kunst oder als Sport, als Crime oder als Pastime, als Spiel, das auch Erwachsene spielen dürfen, gelten soll. Die Frage sprengt auch den Rahmen dieses Textes. Es bleibt die Tatsache, dass Skater:innen eine sehr viel diversere Gruppe von Menschen sind als Philharmonie-Konzertbesucher:innen. Sie sind jung, alt, männlich, weiblich, nicht-binär und trans, mit unterschiedlichsten Migrations- und Bildungsgeschichten und aus allen möglichen Berufsgruppen. Meine Skater-Freunde in Berlin machen alles vom Kundendienst über Handwerk bis Data Science. Von den fünf Freunden, mit denen ich als Teenager in der Brookline High School in Massachusetts Skateboard gefahren bin, sind jetzt drei professionell in der klassischen Musik tätig. Einer spielte sogar in der Karajan-Akademie.

Ich weiß, dass sich das Philharmonie-Stammpublikum in seiner Einheitlichkeit schnell gekränkt fühlt. Wenn ich mit einer guten Pressekarte ins Konzert gehe, werde ich oft gefragt, ob ich mir sicher bin, dass ich am richtigen Platz sitze. Dieses Publikum, und die Verwaltung, die das Skateverbot beschlossen hat, wird bei uns sicher ähnlich denken. Man verpasst dabei die Möglichkeit zu zeigen, dass die Philharmonie ein Teil von Berlin ist, der allen zugänglich sein kann und die Vielfalt der Stadt widerspiegelt – egal ob Philharmoniker-Abonnent oder Skaterin oder beides. In Zeiten von rasant steigenden Mieten und Privatisierungen des öffentlichen Raums wäre das eine Position mit Signalwirkung. Weil wir Skater:innen jetzt weg sind, fällt wieder die Leere am Potsdamer Platz auf, der schon vor Corona leer und unbelebt war wie ein langer Tag im Lockdown. 

Zu Beginn dieser Saison hing ein großes Banner am Philharmoniegebäude: »Wir spielen!« Ja, ihr spielt. Wir nicht. ¶

... ist seit 2015 Redakteur bei VAN. Sein erstes Buch, The Life and Music of Gérard Grisey: Delirium and Form, erschien 2023. Seine Texte wurden in der New York Times und anderen Medien veröffentlicht.