Die FDP hat auf ihrem Parteitag am Wochenende einen Beschluss zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verabschiedet. Inhaltlich müsse sich der ÖRR auf seinen »Marken- und Wesenskern« – den Bildungs- und Informationsauftrag – konzentrieren, so die Kernforderung. Der Anteil der Unterhaltung sowie teure Sportberichterstattung solle deshalb zurückgefahren werden. Um Strukturen zu verschlanken und den Rundfunkbeitrag längerfristig senken zu können, sollten durch die Fusion von Sendern und die Reduzierung der Zahl von Programmen Doppelstrukturen abgeschafft werden.

Wie auch immer man zu den Ideen steht, sie klingen zunächst wie gute Nachrichten für die 16 Rundfunkklangkörper: Erstens sind diese eng mit dem Bildungs- Informations- und Kulturauftrag verwoben, mit dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk einst gegründet wurde. Zweitens ist deren Finanzierung – gerade mit Blick auf die kritisierten Unterhaltungsshows und Sportberichterstattung – vergleichsweise günstig: Laut der Orchestergewerkschaft ›unisono‹ kosten sie den Beitragszahler derzeit etwa 42 Cent monatlich. Drittens kann man den Rundfunkensembles kaum vorwerfen, Teil eines ausufernden Systems von Parallel- und Doppelstrukturen zu sein, im Gegenteil. In den letzten 30 Jahren ist ihre Zahl durch Fusionen und Abwicklungen deutlich geschrumpft, Ensembles wurden verkleinert – um es mit der FDP zu sagen: Sie wurden längst »verschlankt«. Von den zehn Rundfunkensembles der DDR sind heute nur noch vier übrig – jeweils ein Chor und Symphonieorchester beim MDR und in Berlin. 2006 fusionierten die Orchester von SWR und SR zur Deutschen Radiophilharmonie. Zehn Jahre später wurden das Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg und das SWR Sinfonieorchester Stuttgart zum SWR Symphonieorchester zusammengelegt. Nach Angaben von ›unisono‹ haben alle Rundfunkklangkörper in Deutschland seit 1992 Planstellen verloren; rund 26 Prozent Stellenabbau haben in diesem Zeitraum allein die zwölf Orchester der ARD und der ROC Berlin zu verzeichnen. Auch die sieben Chöre und die vier Bigbands haben Stellen abgebaut oder besetzen neue Stellen nur noch in Teilzeit (so beim verkleinerten NDR Vokalensemble oder beim Chor des WDR).

Kurzum, eigentlich müsste die FDP den Klangkörpern wohlgesonnen sein. Trotzdem heißt es im Parteitagsbeschluss zur ÖRR-Reform unter Ziffer 6: »Die verschiedenen beitragsfinanzierten Rundfunkorchester und Chöre haben einen Umfang erreicht, der nicht mehr durch den Rundfunkauftrag gedeckt ist«. 

»Einen Umfang erreicht« … »nicht mehr gedeckt« – das klingt nach der unkontrollierbaren Selbstbedienungsmentalität, die den Ruf der Öffentlich-Rechtlichen zum Beispiel in der Affäre um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger lädiert hat. Als ob sich laufend neue Orchester gründen würden, einfach aus der Lust und Laune einiger feudal agierender Intendanten und Intendantinnen, oder die bestehenden Ensembles vor lauter Verschwendungssucht den Hals nie voll kriegen. Dass traditionsreiche Klangkörper wie das Sinfonieorchester des MDR oder das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, die beide nächste Saison ihren 100. Geburtstag feiern, in eine Reihe gestellt werden mit Massagesesseln, dem Bozen-Krimi oder Florian-Silbereisen-Shows, ist ein ziemlicher gedanklicher Kurzschluss – oder doch eher bewusste Irreführung?

In jedem Fall hat die FDP diese nicht exklusiv. Die Einordnung der 16 Rundfunkensembles unter das Problem »Parallelstrukturen« passt zu dem Narrativ, das schon WDR-Intendant Tom Buhrow in seiner Hamburger Rede ausgebreitet hatte: »Wollen die Beitragszahler die insgesamt 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre, die die ARD derzeit unterhalten?«, fragte er dort, nur um die Antwort rhetorisch schon vorwegzunehmen: 2.000 Menschen, alle fest angestellt, und das obwohl es in Deutschland ja schon mehr als 120 Berufsorchester gibt, wer will denn sowas? Stattdessen schlug Buhrow eine zentralisierte »Best-of-Lösung« vor – »das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Big Band, das beste Funkhausorchester«.

Dagegen spricht sich die FDP in ihrem Parteitagsbeschluss immerhin für die Weiterexistenz der Klangkörper aus, da diese die deutsche Kultur- und Musiklandschaft auf hohem Niveau erweiterten. »Wegen ihrer Bedeutung für das kulturelle Leben in Deutschland müssen sie deshalb dauerhaft in ihrem Bestand auch außerhalb der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesichert werden.« 

Dafür schlägt die Partei eine Überführung in öffentlich-rechtliche Stiftungen »unter Beteiligung sowohl der Rundfunkanstalten wie aber auch des Bundes und der Länder« vor. Ein solches Modell hat sich zum Beispiel bei der Stiftung Berliner Philharmoniker (seit 2002) und der Stiftung Bamberger Symphoniker (seit 2005) bewährt. »Wenn man sagt, man will die Klangkörper erhalten, dann ist mir persönlich egal, in welcher Rechtsform das geschieht. Ich finde das Modell öffentlich-rechtliche Stiftung nicht schlecht. Wir haben ja einige, die auch gut funktionieren. Das wäre vom Grundsatz her nichts, wo man sagen könnte, geht gar nicht«, so Gerald Mertens, Geschäftsführer von ›unisono‹, gegenüber VAN. 

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Die Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Stiftung hat den Vorteil, dass – zum Beispiel – einem Orchester eine größere Selbstständigkeit, Flexibilität und Eigenverantwortung in Management und Budgetverwaltung gewährt wird. So wäre man weitgehend von der kameralistischen Buchführung unabhängig, die ansonsten dazu verpflichtet, über die Anschaffung jedes Bleistifts Rechenschaft abzulegen. »Als Stiftung sind wir budgetär eine eigene Organisation, sämtliche Kosten sind gegenseitig deckungsfähig«, so Marcus Rudolf Axt, Intendant und Vorstand der Stiftung Bamberger Symphoniker, gegenüber VAN. »Ich kann also zum Beispiel einen Überschuss im Marketing flexibel für eventuelle Mehrkosten einer Tournee verwenden, was die Organisation flexibilisiert und Bürokratie verschlankt.«

Als Zuwendungsstiftung ohne größeres Stiftungskapital wäre man dauerhaft auf die staatliche Finanzierung angewiesen, die allerdings – wie im Falle der Stiftung Berliner Philharmoniker – über mehrjährige Verträge zugesichert werden könnte und damit eine größere Planungssicherheit ermöglicht. Außerdem kann eine Stiftung Spenden annehmen und um Zustiftungen und Föderungen mit den entsprechenden steuerlichen Vergünstigungen werben. Eine Unabhängigkeit von den Sendern hätte den Vorteil, sich nicht mehr mit dessen komplizierten Strukturen rumschlagen zu müssen, in denen die Klangkörper ohnehin bisweilen wie Fremdkörper wirken. Allerdings würde man auch die potentiellen, aber nicht immer realisierten Alleinstellungsmerkmale der Rundfunkorchester über Bord werfen, die aus Synergien mit den Sendern entstehen, wie etwa die Verankerung im Sendegebiet, Musikvermittlung oder trimediale Formate.

Ohnehin bleibt die Frage, wer sich bei einer Herauslösung aus den Sendern an einer Finanzierung beteiligen darf, soll und will. So wird für das hr-Sinfonieorchester immer mal wieder eine Beteiligung des Landes Hessen diskutiert. Es ist aber unrealistisch, dass daraus ein flächendeckendes Modell wird. Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen unterhalten bereits diverse Landesorchester. Und wie sähe es aus bei Mehrländeranstalten aus? Müssten sich im Falle der NDR Klangkörper die Bundesländer Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf eine Finanzierung einigen? Bleibt der Bund, wo sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth vielleicht über die Aufstockung ihres Etats durch den FDP-Finanzminister freuen würde. Aber mit welcher Begründung sollte plötzlich der Bund einsteigen in die langfristige Finanzierung von 16 Musikensembles?

Innerhalb der FDP ist das Bekenntnis für die (steuerfinanzierte) Weiterexistenz der Rundfunkklangkörper sowieso umstritten. Erst Ende November hatte die FDP-Landtagsfraktion in NRW in einem Positionspapier gefordert, die Klangkörper »perspektivisch« ganz aufzulösen. Auf dem Parteitag schlug Felix Meyer, Landesvorsitzender der Bayerischen Jungen Liberalen, in einem – später abgelehnten – Änderungsantrag vor, den Passus mit dem Bekenntnis zur Bestandssicherung der Klangkörper zu streichen. »Ich finde der aktuelle Finanzierungsvorschlag klingt sehr nach einer Steuerfinanzierung und ehrlicherweise finde ich auch, dass der Steuerzahler nicht über 24 [Anm. d. Redaktion: Es sind 12] Orchester in Deutschland finanzieren muss«, so Meyer. »Wenn die Orchester so wunderbar sind, so einzigartig sind, Musik produzieren, die jeder hören will, dann müssen die sich doch auch marktwirtschaftlich rechnen können und müssen nicht über unsere Beiträge von allen finanziert werden.« 

Mit diesem Argument ließen sich in Deutschland auch fast alle Museen, Theater, Literaturhäuser, Bibliotheken, Filmproduktionen oder Angebote der Kinder-, Jugend- und Soziokultur abholzen. Gut möglich, dass die Musik, die dann noch übrig bliebe, genau die ist, die Felix Meyer hört. Inwieweit sich solch ein primitives Verständnis von Liberalismus und Marktwirtschaft in der kulturpolitischen Ausrichtung der FDP durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. ¶

Hartmut Welscher

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com