Dieses Schwarzalbenreich hat einen Notausgang. Denn kein Lichtloses ohne Rettungswegschild, so will es das bundesdeutsche Brandschutzgesetz. Und so sieht man in der engen Dunkelkammer, während man voller Unbehagen der Klangcollage aus historischen Aufnahmen und ins Jiddische übersetzten antisemitischen Zitaten Wagners zuhört, ein unbeirrt davonflitzendes grünes Männchen leuchten.
Mitten in die vierte Abteilung der am 8. April eröffneten Richard-Wagner-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin hat der Regisseur Barrie Kosky seine »Schwarzalbenreich«-Installation gesetzt. Die finstere Kammer überzeichnet grell, was bei genauer Betrachtung immer schon wie eine grelle Überzeichnung wirkt: die grenzenlose Ambivalenz Richard Wagners. Die gewaltige Widersprüchlichkeit sowohl seiner Persönlichkeit(en) wie auch der öffentlichen Figur(en), die er wurde. Eine heillose Gemengelage. Das garstige Genie Wagner scheint das ideal verkorkste Weltwunder, um vom Deutschland des 19. Jahrhunderts zur Identifikationsgestalt auserwählt zu werden. Eine fatale Angelegenheit, auf die ja aber Wagner selbst unermüdlich hinwirkte. Man könnte vielleicht sagen, Richard Wagner nahm die Nation als Geisel, um sie zu zwingen, »Wagner« ihrerseits in Geiselhaft zu nehmen. Wagner und Deutschland, ein gegenseitiges Stockholmsyndrom, ohne Notausgang.
Ekel und Exzess
Wobei »Deutschland» natürlich doch eher ein bestimmter Teil der damaligen deutschen Gesellschaft war: bestimmte, wenn auch durchaus heterogene Schichten. Die vom amerikanischen Germanisten Michael P. Steinberg kuratierte DHM-Ausstellung interessiert sich allerdings nicht so sehr für Gesellschaftsschichten und Gesellschaftswandlungen, obwohl das im Deutschland des 19. Jahrhunderts wohl kein unwesentliches Thema wäre. Sie fragt mehr nach Körperdiskursen als nach klassischer Soziologie. Und das übt eine mitunter fast körperlich beklemmende Faszination aus.
Ein Echo der gegenseitigen Geiselnahme Wagner/Deutschland liegt vielleicht gar bereits im Titel der Ausstellung, der ohne nähere Differenzierung, wer denn da eigentlich Wagnerianer war, und auch ohne Anführungszeichen lautet: Richard Wagner und das deutsche Gefühl. Eine Formulierung, die dem Meister gefallen hätt‘, ja die gar Titel eines jener Traktate aus dem frühen Bayreuther Wagnerschranzentum hätte sein können. Inhaltlich gibt es natürlich keine Überschneidungen. Aber vielleicht ist die deutlich zurückhaltendere englische Fassung doch nicht ganz unvernünftig: Richard Wagner and the Nationalization of Feeling.

Das Gefühlsding ist schwerer greifbar als die gute alte, schön konkrete barocke Affektenlehre. Aber offensichtlich ist es in der Geschichtswissenschaft gerade mächtig en vogue. »Gefühl« ist dabei, das begreift der Besucher, offensichtlich Teil des Körperdiskurses. Denn der »Ekel«, dem der vierte Raum gewidmet ist, stellt ja ein, wenn nicht das körperliche Gefühl schlechthin dar. Dem Liebhaber Wagners hingegen, wenn er sich nicht intellektuell übergenügsam mit der »Trennung von Person und Werk« herausredet, als fänden sich die abstoßenden Seiten des Autors nicht ständig im Werk – diesem Liebhaber also ist das Körpergefühl selbst ja nicht fremd: geradezu Ekel vor Wagners exzessivem Judenhass. Immer wieder, auch wenn man das alles ja irgendwie kennt.
Denn bei Wagners notorischem Antisemitismus landet die Ausstellung am Ende, wie einem natürlichen Ziel. Das ist so folgerichtig wie erwartbar. Die Abstoßung des »Jüdischen« wird in Beziehung zum gärenden Hygiene-Diskurs der Zeit gesetzt, der sowohl fortschrittliche als auch abwegige, ja schauderliche Züge hatte (wie Wagner eben). Dabei werden die Ambivalenzen des Phänomens »Wagner« selbst im Verhältnis zum Jüdischen deutlich. Man kann sich ja als oberflächlicher Betrachter fragen, was um alles in der Welt viele jüdische Musikliebhaber nur dazu bringen konnte, ausgerechnet »Wagner« anzuhängen, dem Verfasser derartiger antisemitischer Pamphlete. (1869 ließ Wagner, dem Gipfel seines Ruhms sich nähernd, seine einst anonym verfasste Hetzschrift Das Judenthum in der Musik neu veröffentlichen, diesmal offen unter seinem Namen.) Umso mehr berührt einen in der Ausstellung Franz von Lenbachs weihevolles Porträt des großen Dirigenten Hermann Levi: nur der Kopf auf Goldgrund, in der Bildtradition des Schweißtuchs der Heiligen Veronika. Und während heute diskutiert wird, wie viel »Jude« in Wagners gehässigen Figurenzeichnungen Mime oder Beckmesser steckt (Koskys epochale Bayreuther Meistersinger-Inszenierung bezog dazu klar Stellung), so erfährt man hier, dass jüdische Wagnerianer in der allseits offenen Riesenmythenmaschine Ring auch ganz andere Anschlussmöglichkeiten fanden: »Siegmund«, der Name des von aller Welt verfolgten Wälsungenhelden, wurde zum Modenamen in jüdischen Familien. Dass der neben Nietzsche selbstquälerischste aller Wagnerianer Thomas Mann in seiner Novelle Wälsungenblut aus diesem Faktum wiederum eine Konstellation schuf, die – um es vorsichtig auszudrücken – mit antisemitischen Topoi spielt, ist eine weitere Volte, auf die einzugehen im Rahmen der Ausstellung wohl zu weit geführt hätte.
Der Kink des Nibelungen
Vor dem allumfassenden »Ekel«, in den das Gesamtkunstwerk hier sinnig mündet, stehen die Abteilungen »Entfremdung«, »Eros« und »Zugehörigkeit«. Der erste Begriff verweist dabei auf andere Wege der Ausstellung, die denkbar gewesen wären. Denn die Paarung Wagner/Marx stand am Anfang des Denkprozesses. Nun hat Karl Marx seine eigene Ausstellung zwei Etagen weiter oben bekommen, dort steht ein Bild von Hegel auf dem Kopf und dergleichen, aber es ist recht interessant; und man kann natürlich beide Ausstellungen nacheinander besuchen, erst Marx, dann Wagner, oder umgekehrt. Trotzdem ist die entstandene Distanz ein bisschen schade. Was hätte eine direkte Konfrontation der beiden für Funken schlagen können? Zwei Extremreaktionen auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts, zwei Hyper-Fortschrittler und zugleich Genies der Anti-Moderne, zwei Ambivalenzen sondergleichen.
So aber bleibt Wagner unter sich. Auffällig ist, dass der Fokus hier nicht nur viel stärker auf der (inszenierten) Person Wagner statt auf der sie umgebenden Gesellschaft liegt, sondern auch das Werk höchstens am Rande vorkommt, schon gar dessen musikalische Seite. Dabei ist das die Seite, ohne die Wagner uns heute nichts mehr bedeuten würde, für wie universal er sich selbst auch gehalten haben mag. An diesem konzeptuellen Schwerpunkt ändern auch wunderschöne, das Wagnerianerherz höher schlagen machende Exponate wie das originale Modell des Bühnenbilds zu Klingsors Zaubergarten von 1882 nichts.
Während der Begriff der »Entfremdung« in Hinsicht auf Wagner diffus bleibt, öffnet der »Eros« natürlich weite Räume. Die Ausstellung widmet sich dabei Wagners Luxus- und Prunksucht ebenso wie dem Verlangen nach erotischen Grenzüberschreitungen im Denken wie im Leben. Dabei zeigt sie Wagners schmale Seidenhausschühchen ebenso wie allerlei Korsette, solche stofflicher und solche gesellschaftlicher Art. Merkwürdig unkonkret bleibt man gegenüber Wagners offensichtlichem sexuellen Fetischismus; über die hier naiv wiedergegebene Wagnerselbstdarstellung seine überaus leidenschaftliche Präferenz für Seidenwäsche habe auf »einer Hautkrankheit« beruht, kann man nur müde lächeln, wenn man nicht komplett kinkblind ist.
Aus einer Seitenkammer des »Eros« tönt indes wieder und wieder der Liebestod, und man wartet geradezu auf den Komplementär-Tango, den Luis Buñuel einst daran koppelte. Denn man befindet sich in diesem Kellergeschoss des Historienmuseums nun einmal in einer trotz ihrer Geschichtlichkeit (inklusive entsetzlicher Folgen) absolut bizarren Welt, die an Surrealismus dem Andalusischen Hund nicht nachsteht.

Darum hat es irgendwie auch seine Richtigkeit, dass ein gewisser Mangel an Stringenz hier nicht unbedingt als Mangel erscheint. Ja, vielleicht ist genau das adäquat: ein Sammelsurium von Ideen und Objekten, von Gedanken und manchmal ungebändigtem Krempel. Friesisches Brautkleid und oberbairische Tracht finden in der Ausstellung ebenso Platz wie Wacht-am-Rhein-Meerschaumpfeife, Messingfieberthermometer oder abstoßender Anti-Juda-Nippes.
Das alles hat zweifellos seine Reize. Auch ein gewisser bitterer Witz in der Komposition der Exponate ist durchaus einnehmend. So begegnet man im Epilog der Ausstellung nicht nur dem Bild der armreckenden Hitler-Anhimmelung im Bayreuther Festspielhaus, sondern auch einer Ausgabe der Gala, in deren Fotogalerie wir amüsiert die Bildunterschrift lesen: Feuer gefangen, an Wagners Musik: Umweltministerin Angela Merkel und Lebensgefährte Joachim Sauer. Scherz verbindet sich hier, frei nach Grabbe, mit tieferer Bedeutung. Denn in einem weiteren Oberstockwerk des DHM trifft das Duo Wagner/Marx (während Herfried Münkler es in seinem neuen Welt-im-Umbruch-Sachbuch bewährt mit Nietzsche koppelt) demnächst auf ebenjene Angela Merkel, in Porträts von Herlinde Koebl aus dreißig Jahren. Das hat auch was.
Und dann findet sich in der »Ekel«-Abteilung als heimlicher Höhepunkt der Ausstellung auch noch, zwischen Mineralwasserflasche und Italien-Baedeker, ein hochkariöser, gelbfauliger Backenzahn Wagners, ein lebenslang im Meistermund verbliebener Milchzahn, den seine Tochter Eva – man muss es sich vorstellen! – als Andenken an den Vater ihr Leben lang aufbewahrte. Ein Stück weiter sieht man Cosimas vier Töchter, die aus bülowscher wie die aus wagnerscher Produktion, als morbid dreinblickende »Nornen im Maien-Festspiel« verkleidet. Und irgendwie spricht es zu einem aus den trüben bis toten Kinderblicken: Da ist es, das »deutsche Gefühl«. Zum Davonrennen; aber das wussten wir vorher schon. ¶
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