»Pummeliges Bündel Welpenfett«, »unansehnlich und unattraktiv«, »widerliche Figur«. Diese und ähnliche Aussagen müssen sich etablierte Opernsänger:innen anhören. Auf dem ersten Blick scheint es sich um Einzelfälle zu handeln, nur selten macht Bodyshaming in der Opernbranche Schlagzeilen. Prominentestes Beispiel ist die Affäre um das »little black dress«, in das Deborah Voigt nicht passte und in dessen Folge Christof Loy sie aus der Produktion schmiss. Voigt ließ sich daraufhin den Magen verkleinern. Ihre Lösung ist Teil des Problems. Und dieses Problem ist Teil des Alltags vieler Sängerinnen und Sänger.

10 Kilo abnehmen – dann klappt es auch mit der Aufnahmeprüfung. Diesen Ratschlag hörte die Sopranistin Sarah Funk schon vor ihrem Studium. Sie hat 11 Kilo abgenommen und bekam den Platz an der Musikhochschule. »Da ist dann schon mal eine Basis gesetzt. Es ist ganz deutlich: Entweder du siehst so und so aus oder du kannst überhaupt keine Sängerin sein«, so erzählt es mir die Sängerin Sarah Funk.

Im Studium wurde ihr Körper immer wieder thematisiert. Die Zentrale Agentur für Künstlervermittlung (ZAV) riet ihr, erstmal abzunehmen, bevor sie erneut vorsingt. Innerhalb der Hochschule häuften sich die auch von Dozierenden oft durchaus gut gemeinten Kommentare zu ihrem Körper. Nach einem Vorsingen für ein Stipendium fiel ein Kommentar, der die offensichtliche Problematik auf den Punkt bringt: »Perfekte Stimme im falschen Körper.« Nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die Stimme der Sopranistin litten zunehmend.

Als Sarah Funk am 8. Juli 2020 zum ersten Mal ihre Erfahrungen mit Bodyshaming in einem sozialen Netzwerk postete, kostete sie das viel Mut. Doch die Resonanz auf ihren Beitrag war überwältigend: »Endlich traut sich jemand, darüber zu sprechen«, kommentierte eine Sängerin.

»Diversität gilt für so ziemlich alle, außer für Dicke«, erzählt mir der Opernkritiker Uwe Friedrich. Der Druck, einem gesellschaftlich etablierten Schönheitsideal zu entsprechen, habe in den letzten Jahren »massiv zugenommen«. Studien haben gezeigt, dass schlanke und dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechende Menschen größere Chancen im Beruf haben, vor allem im Bewerbungsverfahren. Dieses Ergebnis lässt sich offenbar ebenso auf die Opernbranche übertragen. 

Ab wann eine Sängerin jedoch als »dick« bezeichnet wird, liegt dabei offensichtlich im Auge des (überwiegend männlichen) Betrachters. Die Mezzosopranistin Sevana Salmasi ist 1,70 m groß und trägt die Kleidergröße 42/44. Sie tritt international auf, hat viele Preise gewonnen. Doch Bodyshaming zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Karriere: »Ich bin jetzt nicht unattraktiv. Aber ab dem Kopf runter, da fängt die Kritik an.« Im Gespräch erzählt sie mir, wie ihr ein Regisseur noch im Studium nahelegte, die Brust verkleinern zu lassen, weil sie sonst keine Chance in der »Hosenrollenbranche« habe. Salmasi wechselte daraufhin in das Sopran-Fach und erhielt etliche Absagen – vor allem in der Operettenbranche – weil sie den Verantwortlichen »zu dick« sei. Inzwischen singt sie wieder als dramatischer Mezzo, dort sei ihr Körper mehr »geduldet«, »weil man eben nicht ›die Schöne‹ ist«, sondern eher mütterlichen Rollen oder die Hexe spiele. 

ANZEIGE

Die Sopranistin Wiebke Göetjes erzählt auf dem Youtube-Kanal What’s Opera Doc von ihren Erfahrungen mit Bodyshaming. Bei einem Vorsingen wurde ihre Absage damit begründet, dass man für diese Produktion keine Sängerinnen wolle, »die mit ihrem Hintern die Bühne füllen«. Weil sie die Beste beim Vorsingen am Staatstheater Meiningen war, dem Regisseur (den sie hier nicht beim Namen nennt) jedoch nicht gefiel, versenkte er ihren Unterkörper für zwei Drittel der Inszenierung in ein Loch und flüsterte ihr sechs Wochen lang ins Ohr, dass er das nur tue, weil er ihre »widerliche Figur« nicht sehen möchte. Nach der Opernproduktion litt Göetjes unter Depressionen. 

»Wer behauptet, Bodyshaming ist kein Thema in der Oper, ist offensichtlich ein Mann«, vermutet die Mezzosopranistin Katharine Tier. Ich erreiche sie per Videoanruf in ihrer australischen Heimat – der Opernbühne hat sie inzwischen den Rücken gekehrt. Tier ist überzeugt, dass Frauen von Bodyshaming deutlich mehr betroffen seien als Männer. Mehrgewicht (ein Begriff, der die gebräuchlichere, aber pejorativ besetzte Bezeichnung »Übergewicht« ersetzt) bei Männern werde in der Oper als »reich« oder »väterlich« inszeniert: »Wir passen das einfach so an, dass er noch der sexy Mann sein kann. Aber wenn eine Frau dick ist, war’s das. Denn sie kann ja nicht sexy sein«, erzählt die Sängerin. Diese Beobachtung einer zweifelhaften Verbindung von Körperform und Attraktivität scheint sich immer wieder offensichtlich oder unterschwellig zu bestätigen. Zum Beispiel wenn der Opernkritiker Jürgen Kesting mir am Telefon erklärt, dass jeder Regisseur nun mal »einen attraktiven, also auch physisch attraktiven Sänger« auf der Bühne haben wolle (Namen wollte er keine nennen). Oder wenn der Musikjournalist Manuel Brug in der WELT schreibt: »Theater ist eine Welt der Illusion, und meist finden Kostümdesigner sehr gute Lösungen, auch übergewichtige Sänger verführerisch und begehrenswert erscheinen zu lassen.« Hier wird vor allem ein Weltbild transportiert: Frauen (oder Männer) sind nur dann »verführerisch und begehrenswert« und erst dann wirklich »weiblich« (oder »männlich«), wenn entsprechend nachgeholfen wird, dem Publikum also die Attraktivität als Illusion verkauft wird. Oder  – noch einfacher – wenn die Sänger:innen über sogenannte »Idealmaße« verfügen. Die Sopranistin Derya Atakan berichtet mir von einem Kommentar, der sich an ihre Sängerfreundin richtete: »So wie sie aussieht, könne sie doch nie jemanden verführen.« 

Dass Bodyshaming vor allem von Frauen erlebt wird, geht auch auf die zu Grunde liegenden Machtstrukturen zurück, glaubt Thilo Dahlmann, Professor für Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt: »Es sind meistens Männer, die besetzen.« Das heißt jedoch nicht, dass Männer nicht ebenso betroffen sind. In einem Interview in VAN berichtet der Tenor Allan Clayton vom Körperdruck und Diskriminierung. Ein anderer Tenor kommentiert ein Internet-Video zum Thema Bodyshaming: »Heutzutage wird man als Mann ebenso auf die Bufforollen festgelegt, wenn man denen zu dick ist. Können Dickere nicht lieben? Keine Helden sein? Es ist kolossal ärgerlich, aber heute leider Usus.« Die Sängerin Katharine Tier berichtet von ihrer Zeit am Badischen Staatstheater, dass der (inzwischen wegen Machtmissbrauchs gefeuerte) Intendant Peter Spuhler »Männer mit Sixpack« bevorzugt engagierte: »Er liebte es, wunderschöne Männer zu engagieren, die nicht singen konnten.« 

Der Opernkritiker Uwe Friedrich erzählt mir, dass mehrgewichtige Sänger:innen vor allem »komische Alte« spielen. Friedrich verweist dabei auf die Komische Oper Berlin. Unter dem Regisseur Barrie Kosky seien vor allem schlanke Sänger:innen in den Hauptrollen. Kosky hingegen macht im Interview deutlich, dass auf seiner Bühne »alle Körperformen« vertreten seien. Bodyshaming sei im Proberaum und in der Inszenierung  »nie der Fall«. (Zu den Bodyshaming-Vorwürfen der Sängerin Kathryn Lewek bei seiner Offenbach-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen 2019 wollte Kosky hingegen keine Stellung nehmen.)

Foto: Ashley Diener (CC BY-NC-ND 2.0)

Stereotype gegenüber mehrgewichtigen Menschen werden durch ein weiteres Vorurteil begleitet: der Faulheit und Unbeweglichkeit. Sarah Funk, die durch langjährige Balletterfahrung keinerlei Probleme mit sportlichen Aktivitäten auf der Bühne hatte, wurde während des Studiums aufgrund ihres Körpers immer wieder als faul abgestempelt: »Das kann sehr schmerzhaft sein, vor allem, wenn man sich ständig bemüht und auch einen großen Herzenswunsch hat.« Eine amerikanische Sängerin berichtet, dass der Regisseur ihr nicht zutraute, eine körperlich anspruchsvolle Inszenierung zu bewältigen, obwohl sie konditionell zweifellos dazu in der Lage gewesen wäre. 

Möglicherweise liegen hier auch das vor allem unter Menschen außerhalb der Opernbranche verbreitete Klischee der »dicken Opernsängerin« zu Grunde, die unbeweglich am Bühnenrand steht. Ob Montserrat Caballé heute noch eine Chance hätte, ist fraglich. Ebenso, ob Barrie Kosky sie für seine Inszenierungen besetzen würde. Immerhin attestiert er mir am Telefon, dass sie »null darstellerisches Talent« und »kein Interesse am Theater« habe. Zu ihrem Aussehen äußert er sich allerdings nicht. Kosky fordert von den Sänger:innen Fitness. Allerdings bedeute das mitnichten einen »Hollywood-Body«. Die Sopranistin Sarah Funk kann verstehen, dass man im Musiktheater sportlich und fit sein soll. »Das heißt aber nicht, dass man nicht sportlich ist, wenn man dicker ist. Das ist einfach ein Aberglauben, der ist weit verbreitet.«

Auch das gängige Vorurteil, Sänger:innen seien an ihrem Gewicht selbst schuld (und müssten deswegen aus dieser selbstverschuldeten Unmündigkeit rausgeholt werden), manifestiert sich in mehreren Äußerungen in den Interviews, die ich für meine Recherche führe. Opernkritiker Jürgen Kesting sieht sich als langjähriges Mitglied in der Jury von Gesangswettbewerben gar in der Pflicht, Sängerinnen zu »helfen«: »Also angenommen, da ist eine 20-jährige und die will jetzt die Gilda oder Pamina singen. Und nun ist das arme Kind bei 1,65 Größe 80 kg schwer. Dann würde ich als Pianist, der sie begleitet, als Dirigent oder Intendant sagen: ›Mädchen, pass mal auf, es wäre gut, wenn du aufhörst ein Foodie zu sein – was viele Sänger sind – das würde deiner Karriere helfen, wenn du ein wenig an deiner Erscheinung tust.‹ Bitte, das sagt jeder Ehemann und jede Ehefrau zu dem Partner: ›Jetzt wirst du aber ein bisschen üppig!‹« Angesprochen auf Bodyshaming-Kommentare an jungen Sängerinnen zieht Kesting in Erwägung, dass solche öffentlichen Beschwerden eine Ausrede sind für fehlenden Erfolg oder stimmliche Schwächen. Auf meinen Hinweis, dass Betroffene sich im Zweifel gegen ein Studium oder gegen den Beruf entscheiden oder psychisch unter Bodyshaming leiden, reagiert Kesting mit wenig Verständnis: »Das halte ich für eins dieser permanent rumgeisternden Gerüchte, dass da jemand zerstört wird. Wenn er durch solch eine Bemerkung zerstört wird, hat er auf der Bühne schon gar nichts zu suchen! Dann hat er nicht das Selbstbewusstsein und das Ego und die Energie, die Kraft sich für diesen Ehrgeizberuf durchzusetzen.« 

Auch mit dem Opern-Intendanten und langjährigen Casting-Direktor Hein Mulders bin ich per Telefon verabredet. Mulders rät jungen Sänger:innen, diszipliniert auf ihr Körpergewicht zu achten. Dadurch habe man es leichter im Beruf und müsse sich nicht der allgemeinen Kritik am Körper aussetzen. Er erzählt mir, dass sich Regisseure normalerweise über Modelmaße freuen würden und dass sie bestimmte Vorstellungen von einer Rolle haben (Typecasting). Diese Vorstellungen könnten jedoch im Zweifel – bei einer anderen Hautfarbe, Körperform und -größe  – auch mal gebrochen werden, wenn die Sängerin oder der Sänger überdurchschnittliche Leistung erbrächte. Hier scheint er zu meinen: mehr Leistung, als von einer »idealgewichtigen« (und weißen) Sängerin gefordert wird.

Während ihrer Karriere hat die Mezzosopranistin Katharine Tier von den Anforderungen an den Sänger:innenkörper durchaus profitiert, erzählt sie mir. Sie ist sich sicher, dass sie mehrmals besetzt wurde, gerade weil sie »die Dünnere« war – nicht, weil sie für diese Rolle qualifizierter war als andere. Dabei litt Tier selbst unter dem übergroßen Körperdruck, machte eine Diät nach der anderen, trieb übermäßig viel Sport, auch weil sie befürchtete, dass eine Gewichtszunahme kommentiert werde. Ihre Angst beruhte auf der Tatsache, dass sie in jungen Jahren nach einer Gewichtsreduktion viel positive Rückmeldungen und Engagements bekam: »Als ich abnahm, konnte ich besser vermarktet werden. Es ist einfach ein Vorteil, wenn du dünn bist. Und man kann mir damit nicht sagen, dass Bodyshaming kein Thema ist.« Ihr Essen in der Kantine des Badischen Staatstheaters wurde regelmäßig kommentiert. Weil sie viel trainierte und noch dazu Intervallfasten machte, aß sie nur zweimal am Tag große, wenngleich kalorienarme Portionen. Tier erinnert sich an einen Kommentar eines Kollegen: »Oh mein Gott, wie kannst du nur so viel essen?« Als sie sich ein Eis holte, fragte ein Musiker: »Bist du etwa deprimiert? Das macht dich doch dick!« Ein Dirigent kommentierte ungefragt ihren Bauch und fragte, ob sie schwanger sei. Wegen ihrer Essstörungen hat sich Tier dazu entschlossen, dem Opernbetrieb den Rücken zu kehren. Der Auslöser sei zwar nicht Bodyshaming gewesen. Doch Tier ist überzeugt: Mit ihrer Essstörung kann sie im Opernbetrieb nicht gesund werden. 

Foto: Dr. Matthias Ripp (CC BY 2.0)

Auch für die Sopranistin Derya Atakan wurde der Druck auf den Körper während des Gesangsstudiums zur Belastung: »Je mehr man wiegt, desto sichtbarer ist der Körper. Und Gewicht zu verlieren war für mich ein Weg, ein bisschen unsichtbarer und unangreifbarer zu werden.« Ihre Anorexie brach im Studium erneut aus, es wurden »einige Knöpfe gedrückt, die das wieder ausgelöst haben«. 

Doch in welchem Verhältnis sehen Verantwortliche der Opernbranche die Optik zur Stimme? Intendant Hein Mulders ist überzeugt, dass das Verhältnis »50:50« ist. Für den Regisseur Barrie Kosky ist die Optik ebenfalls »sehr wichtig«, im Genre Musiktheater sei der Körper außerdem »so wichtig wie die Stimme« (Kosky macht hier einen Unterschied zum Genre Oper). Auch der Regisseur Frank Hilbrich gibt in unserem Gespräch zu, dass die Optik »eine enorme Rolle« spielt. Doch müsse man seiner Meinung nach einen Unterschied machen. Singen sei ein »extrem körperlicher Vorgang«, nicht umsonst spreche man von der »Verkörperung einer Rolle«. Der Anspruch an die Optik sei jedoch durch ein »völlig klischeehaftes und albernes Erotikbild« durch Werbung und Film verschoben, erklärt er mir. Viel wichtiger sei hingegen der natürliche und selbstbewusste Umgang mit dem Körper: »Eine Sängerin muss mit ihren 100 kg umgehen. Und wenn sie das sinnlich tut, dann liege ich darnieder und bin begeistert.«

Möglicherweise wird die Rolle der Optik und des Körpers auch irrtümlich in Verbindung gebracht mit dem Begriff der Authentizität. Für den ehemaligen Casting-Direktor und designierten Intendanten der Kölner Oper Hein Mulders muss eine Rolle glaubwürdig sein. »Und da spielt eben auch die Optik eine wichtige Rolle.« Dabei müsse man auch die Vorstellungen des Publikums berücksichtigen. Mulders gibt dabei das Beispiel der tuberkulosekranken Mimi aus La Bohème, die nur glaubhaft sei durch die Besetzung einer schlanken, jungen Sängerin. Angesprochen auf dieses Argument, entgegnet mir Opernexperte Uwe Friedrich, dass es sich hier um »Phantasielosigkeit der Theaterleiter und Regisseure« handelt, »die einem ziemlich platten Realismus anhängen. Gerade in der Oper, die so eine künstliche Darstellende Kunst ist und einen viel stärkeren Abstraktionsgrad hat.« Soll heißen: Mimi muss im 21. Jahrhundert nicht mehr an Tuberkulose sterben, es ist also nicht abhängig von der Körperform. 

Ein anderes Problem liegt möglicherweise darin, dass Entscheider:innen zunehmend weniger Kenntnis über die Stimme und Sänger:innen-Körper besitzen. Die Mezzosopranistin Katharine Tier macht einen allgemeinen Trend dafür verantwortlich, »fachfremde« Theaterregisseure für Opernproduktionen einzusetzen. Das führe dazu, dass weniger Verständnis für die Gesangstechnik und die damit verbundene körperliche Arbeit vorhanden sei. Auch die Musikerpsychologin Magdalena Zabanoff erklärt mir, dass viele Entscheider:innen nicht mehr in der Lage sind, entscheidungsrelevante künstlerische und stimmliche Kriterien einzuschätzen. So würden Besetzungsentscheidungen auf eine niedrigschwelligere Ebene verlegt: »Da wird dann eben nicht mehr die Stimme beurteilt, sondern das Sichtbare, das Körperliche.«

Die Sopranistin Jessye Norman machte 2014 im Interview mit Stephen Sackur im BBC HARDtalk schlechtes Kostümdesign für Bodyshaming mitverantwortlich. Dabei herrsche oftmals Unkenntnis darüber, wie man unterschiedliche Körperformen vorteilhaft einkleidet. Auch die Opernsängerin Sevana Salmasi (die neben dem Gesang auch Modedesign studiert hat), sieht darin ein Problem. Oftmals sei ein Konzept oder das komplette Kostüm bereits vor der Besetzung fertig. Der Fall Deborah Voigt (das schwarze Kleid, in das sie nicht hineinpasste) steht hier als prominentes Beispiel für ein gängiges Problem, bestätigt mir auch Opern-Kritiker Uwe Friedrich: »Wenn der Kostümbildner von Audrey Hepburn träumt und verpasst hat, sich mal die Maße schicken zu lassen oder sich Fotos anzugucken – und will dann die hochdramatische Sopranistin in ein Jacky-Kennedy-Kostüm stecken. Das kann nicht gut gehen.« Dass der schöne Schein bei einigen Kostümbilder:innen wichtiger ist, als die Stimme und das Wohlbefinden, erzählt auch die Mezzosopranistin Ulrike Malotta (der mehrmals vorgeworfen wurde, sie sei „zu dünn und zu unweiblich“). Nachdem sie darum bat, das Korsett nicht zu eng zu machen, weil sie sonst nicht mehr atmen könne, erhielt sie die Antwort: »Darling, glaubst du wirklich, dass es jemanden interessiert, wie du singst? Hauptsache, du siehst gut aus!« Casting-Direktor Boris Ignatov von der Staatsoper Stuttgart gibt mir eine andere Erklärung: »Über 60% meines Casting-Jobs ist es, die existierenden Produktionen mit neuen Leuten zu füllen.« Dabei müsse er auch auf das Budget achten. »Wegen einem neuen Kostüm braucht man nicht unbedingt ein Burnout in der Kostümabteilung. Das ist so eine Situation, wo ich leider in den sauren Apfel beißen muss.« Auf die Nachfrage, ob die Besetzung also auch abhängig ist von der Kleidergröße, gibt mir Ignatov eine zögerliche Antwort. Ich spüre, dass es ihm unangenehm ist: »Manchmal ja, manchmal nein. Das kommt auf die Prioritäten an.« Zudem sei die Konkurrenz auf dem Markt enorm. Es gäbe so viele gute Sänger, die den Job wollen. »Das muss man auch bedenken«, sagt Ignatov und rät dazu, sich als Sänger:in eine »Teflon-Schicht« wachsen zu lassen. Diesen Satz möchte er mir am Ende des Gesprächs noch mitgeben: »Man darf sich von einer negativen Meinung nicht abschrecken lassen. Denn sonst kommt man in diesem Beruf nicht weiter.«

Sänger:innen brauchen eine Teflon-Schicht, also eine dicke Haut. Selbst sollen sie aber nicht dick sein. Sie müssen sensibel und einfühlsam musizieren, müssen aber eine harte Schale haben für den knallharten Markt. Die Sopranistin Sarah Funk teilt mir ihre Bedenken mit: »Was mir nicht gefällt, ist dieses: ›Nimm’s nicht persönlich!‹ Man ist nun mal eine Person. Und da gehören der Geist, die Stimme, der Körper die Seele zusammen. Dann bin ich lieber keine Opernsängerin, als dass ich das trennen muss.« Auch Musikerpsychologin Magdalena Zabanoff rät betroffenen Sänger:innen, sich aus der Opferrolle zu befreien und erzählt mir von einem nützlichen Mantra: »Nicht ich bin falsch. Sondern das Haus, das Orchester oder dieser Regisseur passt nicht zu meinem Profil.« 

Hochschulen, Opernhäuser und Ensembles und die Medien brauchen eine Gesprächskultur, in der Erfahrungen mit Bodshaming und Kritik angstfrei und respektvoll geteilt werden können. Vielerorts herrscht die Sorge vor Nachteilen für die eigene Karriere. Noch sei es ein »Tabu-Thema, das man hinter verschlossenen Türen mit den allervertrautesten Personen behandelt«, sagt mir Derya Atakan. So sieht es auch Sevana Salmasi: »Noch ist es unter vorgehaltener Hand. Aber das kommt dann auch noch.«

Der Körper ist das Instrument der Sänger:innen. Und wenn der Körper in Frage gestellt wird, betrifft das auch die Stimme. Sarah Funk hat aus ihren Erfahrungen gelernt und arbeitet inzwischen als Selbstliebecoach.  Außerdem spricht sie  gemeinsam mit Ulrike Malotta in ihrem Podcast Sorry, the fat lady sings über Bodyshaming und andere Tabuthemen im Opernbetrieb. Sarah Funk möchte nicht (mehr) auf die große Opernbühne. Sie versteht sich gemeinsam mit Ulrike Malotta als Kämpferin für ein besseres Arbeitsklima im Opernbetrieb: »Wenn ein Sänger sich wirklich frei fühlt, dann kann er eine viel krassere Leistung erbringen. Und dann können Menschen auch wirklich berührt werden.« ¶

… arbeitet als freie Autorin, Moderatorin und Redakteurin für Deutschlandfunk Kultur, SWR2 und hr2 Kultur. Sie hat ihren Bachelor mit Hauptfach Klavier an der Musikhochschule Lübeck abgeschlossen, danach folgte ein Masterstudium Musikwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und der Humboldt-Universität Berlin.