Vor einigen Jahren entbrannte in VAN eine – nach wie vor aktuelle – Debatte über die Fragen, was der Musikunterricht an Schulen leisten soll, was (angehende) Musiklehrer:innen dafür mitbringen müssen und wen Hochschulen zu einem entsprechenden Studium zulassen sollten. Damit eng verbunden ist die Frage: Wie werden diejenigen ausgewählt, die Musiklehramtsstudierende im pädagogischen Bereich ausbilden? Gerade an Musikhochschulen ergeben sich aus den Verfahren zur Berufung neuer Musikpädagogikprofessor:innen Fallstricke, die der Auswahl der geeignetsten Anwärter:innen im Wege stehen können. In den letzten Jahren mehren sich Klagen, die solche Berufungsverfahren anfechten.
An Musikhochschulen sind für gewöhnlich nur wenige Professor:innen mit der musikpädagogischen Lehre für angehende Musiklehrkräfte betraut – zuweilen gibt es in diesem Bereich (zumindest laut Websites der Hochschulen) nur eine einzige Professur. Entsprechend groß ist der Einfluss der Person(en) auf diesem Posten (auch wenn natürlich auch wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Gastdozent:innen an Lehre und/oder Forschung beteiligt sind). Eine Professur für Musikpädagogik wird normalerweise unbefristet vergeben. Einzelne Personalentscheidungen prägen hier also Lehre und Forschung über Jahrzehnte hinweg.
Solche Berufungsverfahren, egal für welches Fach und an welcher Hochschule, gliedern sich für gewöhnlich in mehrere Abschnitte: Zunächst wird die Stelle öffentlich ausgeschrieben und dann eine Berufungskommission ins Leben gerufen. Diese sichtet die Bewerbungen und lädt einige Kandidat:innen zu einem Vortrag und einer Lehrprobe (dem sogenannten »Vorsingen«) ein. Zuletzt befinden zwei externe Gutachter:innen, welche der eingeladenen Bewerber:innen ihrer Meinung nach am geeignetsten für die Stelle wären. Auf all diesen Bausteinen fußt dann die schlussendliche Entscheidung der Kommission, welche der Hochschulleitung im Idealfall drei Bewerber:innen in einem Ranking zur Berufung empfiehlt.
Dieser Auswahlprozess findet zur Gänze unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Beweggründe für Entscheidungen sind so von außen nicht nachvollziehbar. Der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems berät, stuft in einer allgemeinen Empfehlung beziehungsweise Bestandsaufnahme zu Berufungsverfahren deren Transparenz in vielen Fällen als mangelhaft ein. Selbst wie weit ein solches Verfahren fortgeschritten ist, bleibe für alle Bewerber:innen, auch die in der engeren Auswahl, für gewöhnlich unklar. (Ein positives Beispiel bietet hier die Gießener Universität, die Bewerber:innen auf ihrer Website zumindest über den aktuellen Stand sämtlicher Berufungsverfahren informiert.) Wer keinen Platz auf der Empfehlungsliste erhält, erfährt selbst vom Abschluss des Verfahrens meist erst Monate später. Gründe für das Ausscheiden werden in aller Regel nicht kommuniziert. »Eine solchermaßen hermetische Vorgehensweise und eine phasenweise wenig transparente Verfahrenspraxis können das Vertrauen der Bewerber in die Objektivität des Verfahrens nicht stärken«, so der Wissenschaftsrat. »Sie führen eher dazu, gerade unter den Nachwuchswissenschaftlern die Akzeptanz des Berufungsverfahrens zu verringern.« Der einzige Weg, Einsicht in die Protokolle und Akten von Berufungskommissionen zu erhalten, ist eine Klage. Strebt man eine solche an, schießt man sich jedoch innerhalb der eigenen Disziplin schnell ins Abseits, so eine Wissenschaftlerin in einem Artikel der Zeitschrift Forschung & Lehre: »Wer klagt, ist verbrannt. Also ließ ich die Sache auf sich beruhen.«

Die Intransparenz solcher Berufungsverfahren im Allgemeinen (nicht nur an Musikhochschulen) ist aber nicht nur ein Ärgernis für Mitbewerber:innen, sie schafft auch vielfältige Möglichkeiten zur Manipulation. »Es ist für einen entschlossenen Beteiligten in einem Berufungsverfahren ohne weiteres möglich, das angestrebte Ergebnis hinsichtlich der Listenplatzierung eines von ihm oder ihr favorisierten Bewerbers zu erreichen«, schreibt der emeritierte Professor Wolfgang Weber in seiner satirischen Anleitung zur Manipulation von Berufungsverfahren (erschienen ebenfalls in Forschung & Lehre).
Die Zusammensetzung der Berufungskommission prägt ein solches Verfahren entscheidend. Normalerweise bestehen diese Kommissionen aus Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Professor:innen (letztere in der absoluten Mehrheit). Gerade die Professor:innen können – obwohl in den meisten Fällen alle Kommissionsmitglieder formal das gleiche Stimmrecht haben – allein qua Rang deutlichen Einfluss auf die Entscheidung ausüben. Aus Webers Ratschlag, dass es für eine Manipulation günstig sei, »wenn sich die Vertreter des wissenschaftlichen Personals und der Studierenden in der Kommission in abhängigen Positionen befinden«, lässt sich – bei aller Ironie – lesen, dass von diesem Machtungleichgewicht durchaus Gebrauch gemacht wird. Meist gehören der Kommission auch ein bis zwei fachfremde Mitglieder an, deren Blick von außen fachinterne Scheuklappen öffnen soll.
Hier zeigt sich nun ein besonderes Problem der Musikhochschulen bei der Vergabe von Musikpädagogikprofessuren: Wenn es dort nur so wenig Musikpädagogikprofessuren gibt, können logischerweise auch nur wenig Fachleute in der Kommission sitzen. Hier vertreten also auch Künstler:innen – der Flötenprofessor oder die Dirigierprofessorin – die Gruppe der Hochschullehrenden. Aus den Berufungsordnungen der Musikhochschulen geht hervor, dass man sich bei der Zusammenstellung der Kommissionen zwar Mühe zu geben habe, fachliche Expertise sicherzustellen, die Formulierungen lassen jedoch auch durchblicken, dass dies nicht immer gelingt beziehungsweise gelingen kann: In den Vorgaben der Musikhochschule München ist zu lesen, dass in solchen Berufungskommissionen drei hochschuleigene Professor:innen sowie ein:e externe:r, die »nach Möglichkeit dem Fach, der Fachgruppe oder verwandten Fächern oder Fachgruppen angehören, dem die zu besetzende Stelle zugewiesen ist«, sitzen sollen. Auch in Hannover lautet die Leitlinie, dass »in der Berufungskommission […] das Fach bzw. die Einrichtung, dem die ausgeschriebene Professur zugeordnet ist, möglichst mehrheitlich vertreten sein soll.« An den Musikhochschulen in Lübeck und Leipzig reicht ein externes Mitglied mit relevanter fachlicher Expertise, in Weimar muss lediglich die oder der Kommissionsvorsitzende über eine solche verfügen.
Wenn in der Kommission nur wenige Mitglieder die aktuellen fachlichen Diskurse und Entwicklungen überblicken, kann das in allen Fächern und an allen Hochschulen zum Problem werden, wie ein Erfahrungsbericht eine Bewerberin aus ihrem »Vorsingen« im bereits zitierten Artikel in Forschung & Lehre zeigt: »Alles, was er [der einzige Fachmann der Kommission] angriff, war absoluter Konsens in unserem Fachgebiet – und ich hatte keine Zweifel daran, dass er das auch wusste. Aber niemand anderes in der Kommission war vom Fach und so stand es zwischen uns gewissermaßen ›Aussage gegen Aussage‹.« An Musikhochschulen fehlt aber selbst vielen Professor:innen in den Kommissionen nicht nur der Einblick in den aktuellen Stand des zu besetzenden Faches, sondern ganz grundlegend irgendeine Form von akademischer oder pädagogischer Ausbildung. Dass innovative Lehre bei wissenschaftlichen Professuren nicht ohne parallele Forschungstätigkeit möglich ist, da sonst womöglich jahrzehntelang der status quo der Zeit der Einstellung unterrichtet wird, ist vielen Professor:innen aus dem künstlerischen Bereich möglicherweise nicht bewusst. Auch herrscht in der Instrumentalausbildung durch die lange Tradition der »Meister:in-Schüler:in«-Beziehung oft ein grundlegend anderes Verständnis der guten Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten als in wissenschaftlichen Fächern. So kann es passieren, dass ein vager guter Eindruck oder Sympathie auf Seiten eines Kommissionsmitglieds genauso viel zählen wie die Meinung von wenigen Expert:innen (manchmal nur einer einzigen Person). Andererseits ist es auch möglich, dass die Künstler:innen lediglich Teil der Kommission sind, um die Entscheidung der Fachwissenschaftlerin oder des Fachwissenschaftlers abzunicken. Letztere haben in diesem Fall den Spielraum, eigene Favorit:innen nach vorne zu bringen – eventuell sogar unbeabsichtigt, einfach weil eine zweite Meinung als Korrektiv fehlt.

All diese Problemlagen sind wegen der Intransparenz der Berufungsverfahren jedoch schwer festzustellen oder zu adressieren. Auch handfeste Verfahrensfehler – ob nun motiviert durch Unwissen, Unwillen oder einen Manipulationsversuch – sind ohne eine Klage schwierig aufzudecken. In den letzten Jahren kam es im Kontext der Vergabe von Musikpädagogikprofessuren in Lübeck, Hamburg und Dresden zu Gerichtsverfahren. Aus einem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts geht in diesem Zusammenhang gegenüber einer Berufungskommission der Vorwurf der »Befangenheit eines Kommissionsmitglieds und eines Gutachters, mangelnde Qualifikation der Gutachter und Verwertbarkeit der vergleichenden Gutachten« sowie der Arbeit in einem unzulässigen Umlaufverfahren hervor.
Neben diesen Verfahrensproblematiken stellen sich zudem allgemeine Fragen der Musikpädagogik als wissenschaftlicher Disziplin als Teil der Lehrkräftebildung: Wie versteht man das Schulmusikstudium und wen möchte man in der Folge als leitende Lehrperson im Bereich Musikpädagogik berufen? Sollen die Professor:innen vor allem über eine fundierte Praxiserfahrung verfügen oder über ein breit gefächertes Portfolio innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin? Die Antwort lautet hier: rein formal beides. Die meisten Hochschulgesetze der Länder geben für Professuren im Bereich der Lehrkräftebildung eine mindestens dreijährige Berufspraxis vor. Auch die gängige Formulierung in Ausschreibungstexten, geeignete Kandidat:innen müssten »das Fach Musikpädagogik in seiner ganzen Breite« repräsentieren, ist rechtlich bindend. Allerdings ist es für den wissenschaftlichen Nachwuchs kaum möglich, auf eine intensive Unterrichtserfahrung in der Schule zurückzublicken (drei Jahre an der Schule reichen für eigene Schwerpunktsetzungen wahrscheinlich nicht aus) und gleichzeitig wissenschaftlich auf mehreren thematischen Feldern federführend tätig zu sein. Die Kommissionen entscheiden sich hier in den meisten Fällen für einen der beiden Schwerpunkte. Beide haben Vor- und Nachteile: Lehramtsstudierende werden auf einen ganz konkreten Beruf vorbereitet. Praxisnähe hilft hier auf einem ohnehin schon in vielen Fällen übervollen Bildungsweg. Eine wissenschaftliche Ausrichtung kann andererseits die Grundlagen dafür schaffen, dass angehende Lehrer:innen später ihren Unterricht zeitgemäß theoretisch fundiert gestalten und anhand von wissenschaftlichen Werkzeugen evaluieren können. Bei der Entscheidung der Kommission ergeben sich durchaus wieder große Spielräume: So können Personen, die nicht habilitiert sind, auf Professuren berufen werden, wenn ihre wissenschaftlichen Leistungen von der Kommission als einer Habilitation ebenbürtig verstanden werden – im Extremfall können das auch einige wenige Aufsätze zum bereits in der Dissertation behandelten Thema sein. Bei der dreijährigen Lehrpraxis stellt sich die Frage: Kann das Referendariat (in dem die Lehrperson ja in allererster Linie noch selbst lernt) mit eingerechnet werden? Und zählen zum Beispiel auch Musikschulen als Schulen und damit der Instrumentalunterricht als Praxiserfahrung?
Wünschenswert wäre für die Studierenden, wenn an einer Hochschule Professor:innen mit möglichst unterschiedlichen Schwerpunkten lehrten, um ein vielfältiges Angebot zu schaffen. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass manch Wissenschaftler:in den eigenen Blick auf die Disziplin für den (einzig) richtigen hält und somit zum Beispiel Praktiker:innen eher Praktiker:innen und Wissenschaftsfokussierte eher Wissenschaftsfokussierte einstellen. Verbessern ließe sich die Situation für Studierende wie auch Mitbewerber:innen durch mehr Selbstdistanz und Selbstkritik der am Verfahren Beteiligten. Hierbei kann es helfen, schon vor der Ausschreibung zu überlegen, welche fachlichen Schwerpunkte an der jeweiligen Hochschule bisher nicht vertreten sind und diese bereits in den Ausschreibungstext aufzunehmen. Im Sinne der Bestenauslese sollte es dabei ausdrücklich nicht darum gehen, schon zu Beginn eine:n Favorit:in ins Auge zu fassen und die Ausschreibung so zu formulieren, dass lediglich diese eine Person infrage kommt (mehr ist dazu in Webers Manipulations-Vorschlägen zu lesen). Wünschenswert wäre außerdem ein für alle Beteiligte möglichst transparentes Vorgehen. Was zur Verbesserung einiger Berufungsverfahren zur Vergabe von Musikpädagogikprofessuren aber auch schon deutlich beitragen könnte, wäre schlicht und einfach: die Einhaltung der bereits geltenden Regeln. ¶