Am 2. Dezember 1804 wurde in der Kirche Notre-Dame de Paris Napoleon Bonaparte zum Kaiser von Frankreich gekrönt. Im selben Jahr – am letzten Maitag 1804 – wurde Jeanne-Louise Dumont in Paris geboren. Ihre Eltern werden weithin als »Künstlerehepaar« beschrieben, doch in welcher Kunst Mutter Marie Louise Elisabeth Curton zuhause war, wird stetig ausgespart oder ist nicht genau bekannt. Möglicherweise war sie – wie ihr Ehemann, der bekannte Bildhauer Jacques-Edme Dumont (1761–1844) – ebenfalls als Bildhauerin oder Malerin tätig. War Louises älterer Bruder – der spätere Bildhauer Augustin-Alexandra Dumont (1801–1884) – noch tatsächlich im Pariser Louvre geboren worden, wo, wie einst Ludwig XVIII., damals privilegierte Familien wohnten durften, so kam Louise im Künstlerviertel an der Sorbonne zur Welt. 

In der Siedlung waren zu dieser Zeit, wie Christin Heitmann in ihrem Artikel schildert, etwa 30 Familien von Kunstschaffenden untergebracht – und konnten sich eines breiten Kulturbildungsangebotes erfreuen. Im Alter von sechs Jahren erhielt Louise auf diese Weise Klavier- und Solfeggio-Unterricht bei ihrer Patentante, Anne Elisabeth Cécile Soria, die einst von Muzio Clementi (1752–1832) ausgebildet worden war. Mit fünfzehn Jahren folgten schließlich noch Unterweisungen im Fach Harmonielehre bei dem umschwärmten Pädagogen und Komponisten Anton Reicha (1770–1836). Dieser war eine Berühmtheit am Pariser Conservatoire, durfte aber Studentinnen wohl nur privat unterrichten, da Frauen damals keinen Zugang zum Konservatorium hatten beziehungsweise nur in »Frauenfächern« (etwa Gesang oder Klavier) unterwiesen werden durften.

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1821 heiratete Louise den Verleger und Flötisten Aristide Farrenc (1794–1865). Louise Farrenc war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt – und häufig endeten Künstlerinnenlaufbahnen in diesen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit dem Zeitpunkt der Heirat. Doch bald konnte der Unterricht bei Reicha fortgesetzt werden – und es kamen kompositorische Fächer wie Fuge und Instrumentationslehre bereichernd hinzu. Außerdem waren wahrscheinlich die virtuosen »Tastenlöwen« Johann Nepomuk Hummel (1778– 1837) und Ignaz Moscheles (1794–1870) nun ihre Klavierlehrer.

Farrenc wurde zu einer gefeierten Pianistin, die sich zunächst vor allem solistische Klavierwerke »in die Hand« komponierte, auch zu Übungszwecken technischer Natur. Ihre Bekanntheit als Pianistin in Paris und darüber hinaus führte dazu, dass sie 1842 eine Klavier-Professur am Pariser Conservatoire erhielt. Schon von Beginn der 1840er Jahre an hatte sie sich nun auch um Kompositionen für größere Besetzungen bemüht, musste jedoch – vielleicht infolge des psychisch höchst belastenden Todes ihrer Tochter Victorine im jungen Alter – ihre kompositorischen Ambitionen gen Ende der 1850er Jahre einstellen.

Über die letzten Jahre Farrencs schreibt Heitmann an genannter Stelle: »Von 1861 bis 1872 veröffentlichte Louise Farrenc (bis zu dessen Tod zusammen mit ihrem Mann) den Trésor des pianistes, eine 23 Bände umfassende Anthologie von Klaviermusik des 16. bis 19. Jahrhunderts, die richtungweisend wurde für die Wiederbelebung und Aufführungspraxis Alter Klaviermusik. Louise Farrenc unterrichtete bis 1872 am Konservatorium und starb am 15. September 1875 in Paris.«

Louise Farrenc wurde 71 Jahre alt.


Louise Farrenc (1804–1875)
Trio für Flöte, Violoncello und Klavier e-Moll op. 45 (1856)

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Weit mehr als drei Dutzend (häufig programmatisch betitelte) Klavier-Solo-Stücke, ein paar Lieder, drei Chorwerke, drei Symphonien sowie ein paar weitere Orchesterkompositionen und vor allem Kammermusikarbeiten für Besetzungen, die ein Klavier inkludierten: Der Schaffenskatalog von Louise Farrenc liest sich vor allem als Abbild des Wunsches, als klavierspielende Interpretin ihrer eigenen Werke Aufmerksamkeit zu bekommen, was ihr schließlich auch zeitlebens eindrücklich gelungen war.

Im Alter von 52 Jahren entstand Farrencs Trio für Flöte, Violoncello und Klavier e-Moll op. 45. Im ersten Satz (Allegro deciso) hören wir zunächst gemäßigt dramatische Akkord-Aktionen, die schnodderig-unisono vom Klavier alleine jeweils kurz durchbrochen werden. »Nun kann die Geschichte beginnen«, so denkt man vielleicht nach dem sich schnell ausschleichenden »Ritardando« im kargen Klaviersatz.

Und tatsächlich ist das, was folgt, von großem erzählerischem Tonfall. Fast erinnert man sich an Musik von Elgar in seiner Lieblingstonart e-Moll – oder an einen einsamen Schubert. Doch das traditionell – und im Bass chromatisch absinkende – nun begleitend einsetzende Klavier trägt die Geschichte in vertraute Regionen mit hinüber.

Der zweite Satz (Andante) gefällt sich in seinem schlichten C-Dur zunächst durch eine kleine rhythmische Irritation, die den 3/4-Takt wohl nicht allzu »gewöhnlich« erscheinen lassen soll. Mit langen Linienverläufen kontrapunktieren Flöte und Cello die choralartigen Vollton-Akkorde im Klavier. Hier ist eine französische Schlichtheit am Werke, die möglicherweise an Gabriel Fauré gemahnen lässt. Immer nur gemäßigtes Drama, kühle Schönheit, sanft-melancholische Novellen.

Im dritten Satz (Scherzo. Vivace) beweist Farrenc Humor. Wie im Mendelssohnschen Sommernachtstraum-Scherzo zappeln hier die schlanken Figuren ihren Husch-Husch-Reigen, bevor der vierte Satz (Finale. Presto) in traditioneller »Verkürzung« der Taktart (hin zu einem 2/4-Takt) ein leichtes kontrapunktisches Spielchen parat hält. Ein Finale, wie man es sich wünscht – und wie wir es von vielen männlichen Kollegen dieser Zeit weitaus weniger einfallsreich und inspiriert kennen. ¶

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Louise Farrencs Musik wird immer beliebter! Jetzt haben Ulrike Simon-Weidner (Violoncello) und Natalia Szabat (Klavier) Farrencs Sonate für Violoncello und Klavier op. 46 neu eingespielt.

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.