Leigh Mesh ist zweiter Solo-Kontrabassist im Orchester der Metropolitan Opera, seine Frau Nancy Wu ist stellvertretende Konzertmeisterin. Zusammen haben sie mehr als 58 Jahre in diesem Orchester gespielt. Seit dem 31. März sind die beiden nun, wie alle anderen Mitglieder des Orchesters auch, auf unbestimmte Zeit im Zwangsurlaub – ohne Einkommen. Am 1. Juni hat die Met den frühestmöglichen Zeitpunkt zur Wiederaufnahme des Betriebs bekanntgegeben: den 31. Dezember 2020. Vorausgesetzt, bis dahin gibt es eine »medizinische Lösung« für die Corona-Krise, wie Operndirektor Peter Gelb am Montag in einer Videobotschaft sagte. Ich habe mit Mesh über seine finanzielle Situation, Zukunftsentwürfe, das Krisenmanagement der Met und die hausinterne Kommunikation gesprochen.
VAN: Wie geht es Ihnen gerade finanziell?
Leigh Mesh: Uns geht es ok. Aber die Dinge werden sich ändern und dann müssen wir uns wieder einen Überblick verschaffen. Es hängt wirklich stark von der individuellen Situation der Orchestermitglieder ab, davon, ob man Rücklagen hat.
Ich habe gar nicht wirklich realisiert, dass wir die 600 Dollar Arbeitslosengeld, die wir jetzt zusätzlich zum Mindestsatz von 504 Dollar bekommen, nur bis Ende Juli erhalten. Wir kriegen demnach aktuell noch 1.100 Dollar pro Monat, also nicht viel. Ich ziehe meine Informationen darüber auch nur aus dem Artikel in der Times vom 1. Juni, in dem Michael Cooper über die Zukunft der Met schreibt.

Die Met hat Sie nicht darüber informiert, dass der Betrieb erst zum neuen Jahr wieder aufgenommen wird?
Das ist richtig. Ich habe Gerüchte gehört. Peter Gelb hat uns als Orchester gesagt, dass es sehr schwierig werden wird, im Herbst wieder zu öffnen. Aber er hat uns keine Details genannt. Die habe ich aus der Zeitung.
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie in der Times gelesen haben, dass die Met erst 2021 wieder aufmacht?
Es hat mich geärgert, erst aus den Medien zu erfahren, was an meinem Arbeitsplatz vor sich geht. Besonders schockiert hat mich, zu lesen, wie viel die Online-Gala vom 4. Mai eingebracht hat. Wir haben Peter Gelb kürzlich danach gefragt und er wollte es uns nicht sagen. Das haben wir dann aus der Times erfahren. Ich wünschte mir wirklich, dass die Kommunikation eine ganz andere wäre. Ich weiß nicht, wie viel das ändern würde, denn die Einkünfte aus der Gala sind ja nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber dieses Nicht-Kommunizieren fühlt sich nicht gut an, gerade in der aktuellen Situation. Es schwächt die Moral noch weiter.
Haben Sie überlegt, Ihre berufliche Perspektive grundsätzlich zu ändern? Vielleicht eher zu unterrichten oder zu einem anderen Orchester zu wechseln?
Das ist bei uns allen sehr unterschiedlich. Nancy und ich spielen schon sehr lange an der Met, zusammengerechnet 58 Jahre. Obwohl ich mich jung fühle, bin ich es nicht mehr [lacht]. Für mich wäre es keine Option, ganz zu einem anderen Orchester zu wechseln. Wir könnten natürlich vollzeit unterrichten. Oder eben in Rente gehen. Einige Kolleg:innen haben das jetzt gemacht. Wenn man sowieso darüber nachgedacht hat, ergibt das Sinn. Man bekommt dann jetzt sofort eine Pension, anstatt einfach gar nicht bezahlt zu werden. Man muss sich glücklich schätzen, wenn man diese Option hat. Aber gleichzeitig ist es auch kein erfüllendes Karriere-Ende.
Wenn jetzt viele in Rente gehen, könnte das eine ziemlich große Veränderung für das gesamte Orchester bedeuten, oder?
Ja, diese Angst besteht. Wir werden sehr bald genau wissen, wie viele von uns jetzt in Rente gehen.
Steht Yannick Nézet-Séguin, der Musikdirektor der Oper, mit Ihnen in Kontakt?
Von ihm haben wir länger nichts gehört. Am 16. April hat er uns eine Video-Botschaft geschickt. Das ist also schon etwas her.
Im Times-Artikel sagt Peter Gelb, dass große Opern-Aufführungen und Social Distancing einfach nicht zusammenzubringen seien. Stimmen Sie da zu oder hätten Sie sich von der Met mehr Alternativkonzepte auf der Basis von zum Beispiel Sitzreihen mit mehr Abstand oder Maskenpflicht im Publikum erhofft?
Die Met zu öffnen für weniger Publikum, das dann auch noch mit Abstand sitzen muss – wie soll das funktionieren? Auch für uns im Orchestergraben. Man kann nicht vermeiden, dass da mal ein bisschen Spucke von den Sänger:innen auf uns landet. Also stimme ich in diesem Punkt zu.
Ändert das Wissen um ein mögliches Wiedereröffnungsdatum etwas an Ihrem Blick auf die aktuelle Krise und ihre Beziehung zum Orchester?
Ja, in gewisser Weise schon. Es ist besser, ein Datum vor Augen zu haben, als gar nichts zu wissen – auch, wenn das Datum noch in ferner Zukunft liegt. Ich bin außerdem etwas skeptisch, ob das mit der Öffnung zu Silvester überhaupt klappt. Das ist ja nur geplant, sicher ist gar nichts. Wir wissen ja immer noch nicht, was auf uns zukommt. In unserem Land fliegt uns gerade so ziemlich alles um die Ohren, auf sämtlichen Ebenen. Ich hoffe, dass wir wie geplant wieder öffnen können. Aber ich stelle mich auch darauf ein, dass es noch länger dauern könnte, vielleicht sogar die ganze Saison. ¶