Ein Interview mit Marta Forsberg von Konstmusiksystrar.
Bei Rock am Ring standen dieses Jahr 271 Menschen auf der Bühne – 9 von ihnen waren Frauen, wie Musikjournalist Linus Volkmann nachgezählt hat. Ganz so deprimierend ist der Blick auf die Programme der Festivals für zeitgenössische klassische Musik nicht mehr. Dass sich die Statistik hier langsam etwas besser liest, kann allerdings darüber hinwegtäuschen, dass Gleichberechtigung in der Neuen Musik in vielen Bereichen noch längst nicht erreicht ist. Ich spreche darüber mit der Komponistin, Musikerin und Klangkünstlerin Marta Forsberg, die 2014 zusammen mit Lo Kristenson das Netzwerk »Konstmusiksystrar« (»Kunstmusikschwestern«) zur Unterstützung weiblicher, trans- und non-binary-Komponierender in Schweden gegründet hat. Aktuell arbeiten sie und ihre Mitstreiterinnen* vor allem an dem Projekt »In the Service of Chance«, das alternative Kurations-Methoden erforscht.
VAN: Wie weit sind die Neue Musik Festivals aktuell mit der Gleichberechtigung?
Marta Forsberg: Mein genereller Eindruck ist: Man versucht davon wegzukommen, dass die Programme so männlich dominiert sind. Da passiert aktuell etwas, aber sehr langsam und zäh. Ich erlebe, dass vor allem viel geredet und weniger getan wird. Die Künstlerischen Leitungen der großen Festivals und Konzerthallen wollen einerseits Veränderungen, aber sie sind andererseits auch sehr ängstlich und unsicher, wie das Publikum reagieren wird. Es herrscht dieses Gefühl vor, dass die Leute auf die Barrikaden gehen könnten, wenn wir die Programme zu schnell ändern.
Ich glaube, dass viele Lehrkräfte an Musikhochschulen zu wenig Ahnung haben von feministischer oder queerer Theorie, um sich wirklich um die Zukunft der zeitgenössischen Musik kümmern zu können. Wenn man sich da andere Kunstsparten wie die Bildende Kunst anguckt: Die haben sich mit diesen Herausforderungen schon sehr stark auseinandergesetzt und sind viel weiter in der Diskussion. Die klassische zeitgenössische Musik hinkt da hinterher.
Ich denke, die zeitgenössische Musikindustrie ist auf sehr viele unterschiedliche Arten nicht auf Veränderung angelegt. Und wenn sich doch etwas ändert – das haben wir während unser Studien innerhalb der letzten zwei Jahre festgestellt – muss das sehr langsam passieren. Wir würden es natürlich am liebsten sehen, wenn schon morgen alles anders wäre, aber ich denke, wir sollten uns um Nachhaltigkeit bemühen, wenn es um Gleichberechtigung innerhalb der zeitgenössischen Musik geht. Wir müssen das mit Bedacht angehen, sonst richten wir vielleicht mehr Schaden als Nutzen an.
Und wie geht ihr den Wandel an?
Wir haben diese Organisation gegründet, Konstmusiksystrar, mit der wir uns für mehr Gleichberechtigung in der zeitgenössischen Musikszene einsetzen, vor allem in Schweden. Wir konzentrieren uns dabei auf junge oder noch nicht etablierte Komponistinnen* und Sound Artists und ihre Arbeiten und versuchen, sie zu einem Teil dieser großen ›Maschine zeitgenössische Musik‹ zu machen.
Am Anfang haben wir vor allem als Netzwerk von etwa 150 Musikerinnen* fungiert. Wir haben versucht, eine Art Knotenpunkt zu sein, an dem zum Beispiel alle Calls for Works zusammenlaufen, sodass wir die dann an unsere Künstlerinnen* weitergeben konnten, mit dem Hinweis: ›Bewerbt euch auf jeden Fall! Es gibt sonst viel zu wenig Frauen oder trans- oder nicht-binäre Menschen, die sich beworben haben, also macht das bitte!‹ Wir wollten diese Menschen motivieren und sie in der Organisation unterstützen, damit sie leichter an Informationen kommen, wie sie sich für Festivals oder Konzerte bewerben. Und dann hatten wir eigene Projekte, Workshops und Sommerkurse für junge Komponistinnen* und Sound Artists, eigene Konzerte, Konferenzen, Klanginstallationen und Festivals, auf denen wir die Werke unserer Mitglieder präsentiert haben.
Habt ihr auch Konzerte für andere kuratiert?
Ja. Wir wurden zum Beispiel mehrfach vom Stockholmer Konzerthaus eingeladen, um dort Konzerte oder Klanginstallationen zu realisieren, oder auf mehrere Festivals, bei denen wir dann oft ein Konzert kuratiert haben. Solche Institutionen laden uns als eine Art ›Gender Consultant‹ ein. Das ist auch völlig in Ordnung. Manchmal sind diese Kollaborationen auch wirklich gut, vor allem, wenn man mit unabhängigen zeitgenössischen Musikensembles zusammenarbeitet. Aber manche haben auch eher die Einstellung: ›Bringen wir dieses Konzert hinter uns, dann können wir das endlich von unserer Gleichberechtigungs-To-do-Liste streichen.‹ Vor zwei Jahren haben wir uns deswegen an einem Punkt wiedergefunden, an dem wir total erschöpft waren. Wir hatten eigentlich gehofft, dass Leute uns einladen, weil sie wirklich etwas verändern wollen, aber oft was es dann doch so, dass eigentlich alle wollten, dass alles so bleibt wie es ist.
Und wie kam es dann, dass ihr angefangen habt, euch mehr mit Kurations-Techniken auseinanderzusetzen?
Diese Open Calls an unsere Mitglieder waren für uns immer ziemlich schrecklich. Uns ist es so schwergefallen, einzelne Bewerbungen auszuwählen, dass wir dachten: Wir brauchen ein anderes Verfahren. Wir hatten dann die Idee, den Zufall entscheiden zu lassen, das schien uns ein sehr respektvoller und spaßiger Weg. Deswegen haben wir beim nächsten Open Call geschaut: ›Wie viel Geld haben wir? Ok, wir können soundso viele Konzerte organisieren, also können wir, sagen wir mal, fünf Leute auswählen. Die Ensembles dürfen aus organisatorischen Gründen dann nicht größer als vierköpfig sein‹ – also mussten wir alle Orchesterwerke schon mal aussortieren. Dann haben wir wirklich ganz zufällig ausgewählt, wessen Werke aufgeführt werden und das hat zu einigen Überraschungen geführt! Wir haben viele Leute kennengelernt, denen wir sonst nie begegnet wären, weil sie zum Beispiel nicht an einer Musikhochschule studiert haben oder aus einer ganz anderen Szene kommen, aber trotzdem zeitgenössische klassische Musik machen. Deswegen fanden wir diese Methode sehr spannend und haben uns entschieden, mehr mit diesen Kurations-Methoden, die auf dem Zufall basieren, zu experimentieren und sie zu erforschen. Wir haben darüber mit vielen Ensembles, Konzertinstitutionen und Festivalleitungen gesprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es den einen richtigen Weg nicht gibt. Es ist vor allem wichtig, immer wieder über das Kuratieren zu sprechen.
Wir wollten aus unseren Ergebnissen aber eine Art Handbuch machen, wie eine Handreichung als Alternative zum traditionellen Weg Programme zusammenzustellen, also der einen Künstlerischen Leitung oder einem Leitungs-Team, das eine bestimmte Vorstellung von Geschmack und künstlerischer Qualität hat und nur auf dieser Basis entscheidet. Diese Veröffentlichung erscheint jetzt auf Schwedisch, aber ich werde versuchen, eine englische Übersetzung zu machen.
Ist die Situation in Schweden eigentlich vergleichbar mit der in Deutschland?
In Schweden haben wir seit ungefähr 10 Jahren diese Vorgabe von der Politik, dass Kulturinstitutionen geschlechtergerecht programmieren müssen, um überhaupt staatlich gefördert zu werden. Deswegen sind in Schweden die Zahlen, 50 Prozent weibliche Künstlerinnen, immer sehr wichtig. Aber die grundsätzliche Struktur ändert sich darum nicht wesentlich. Die Künstlerinnen kriegen bei Festivals die schlechteren Slots, ihre Namen stehen auf dem Programm, aber sie sind viel weniger präsent als die männlichen Kollegen. So viel hat sich beim Programmieren also nicht geändert. Wir haben darum gemerkt, dass wir von reinen Zahlenspielen wegmüssen und hin zu wirklichen Diskussionen – auch darüber, was Qualität in der Kunst ist.
Inwiefern ist künstlerische Qualität denn eine problematische Kategorie?
Wenn jemand von künstlerischer Qualität spricht, geht es oft darum, dass dieses Stück oder jene Performance die Ansprüche an Qualität nicht erfüllt. Wenn man denn fragt: ›Und welche Ansprüche sind das? Was ist Qualität für dich?‹, lautet die Antwort: ›Ach, du weißt schon, das ist so, du weißt schon, jemand hat dieses, du weißt schon, dieses bestimmte, du weißt schon …‹ Niemand sagt wirklich, was Qualität bedeutet und wie sie sich verändert. Es ist sehr tricky, sich bei Programmierungs-Entscheidungen auf Qualität zu berufen, weil das überhaupt nicht transparent ist. Oft entscheidet eine einzige Person, was Qualität hat und was nicht, und damit auch, wer Geld bekommt, wer sichtbar ist. Und diese Entscheidungen wurden, wenn man mal aus feministischer Perspektive auf die Geschichte guckt, so gut wie immer zugunsten von Männern getroffen.
Wenn wir nicht in der Lage sind, solche Themen wie künstlerische Qualität zu diskutieren, werden wir nie weiterkommen. Wir müssen darüber sprechen, um von unseren patriarchalen Denkmustern wegzukommen und uns für etwas Neues zu öffnen, was auch immer das sein mag. ¶