Nach dem Baselitz-Parsifal in München gibt es wenige Wochen später einen Rauch-Lohengrin in Bayreuth, ebenfalls mit exquisiten Zutaten. Wie ist die Verbindung von Malerei und Wagner-Oper diesmal gelungen?
Nie sollst du mich befragen!

Lohengrin, der zur Rettung Elsas zu den Brabantern gekommene Held, möchte inkognito bleiben, um als Mensch um seines Wesens und seiner Taten willen geliebt zu werden, jedoch nicht wegen seiner Herkunft und seines Namens. Das widerspricht diametral den Economics of Superstars im Opernbetrieb, bei der große Namen die begehrten Zugpferde sind. Waren seinerzeit neben Neo Rauch als Ausstatter noch Roberto Alagna und Anna Netrebko von den Bayreuther Festspielen angekündigt worden, zerbröckelte der Superstarcast nach und nach; auch Regisseur Alvis Hermanis, der durch Aussagen zur deutschen Flüchtlingspolitik für Schlagzeilen gesorgt hatte, sagte vor eineinhalb Jahren ab. Als klangvoller Ersatz konnten immerhin Anja Harteros und last minute Piotr Beczała verpflichtet werden, bei der Regie fiel die Wahl auf den jungen Amerikaner Yuval Sharon (und Netrebko gibt ihr Bayreuth-Debüt nun wohl 2019, wie kürzlich vermeldet wurde).
Star Wars
In der Regel ist der Ruhm der Stars nicht unbegründet, schließlich müssen sie Publikum und Kritiker erstmal begeistern, um dann durch Agenturen und Medien zu Superstars aufgebaut werden zu können. Gleichzeitig gibt es unzählige hochkarätige Künstler, deren Namen dem breiten Publikum gänzlich unbekannt sind, ob vorübergehend oder für immer. Das kann man gut oder schlecht finden, an der Funktionsweise der Märkte in einer Aufmerksamkeitsökonomie ändert es nichts. Was zählt ist Prominenz und Repräsentation, und so wird man auf den Straßen Bayreuths von einem aus Syrien geflüchteten jungen Mann, der als einjähriger Neubayreuther sehr freundlich und kompetent den Weg zur Pension erklärt – über deren Eingang steht schön altmodisch »Fremdenzimmer« –, eben gefragt: »Waren Sie bei Merkel?« Ja, und Söder & Co. waren freilich auch alle da. Am meisten schien die Wegelagerer vom Festspielhaus jedoch der Heilsbringer der Liberalen zu interessieren, der in fotogener Begleitung frank und frei erklärte: »Das ist meine Neue.« Doch das ist hier eigentlich gar nicht das Thema. Es soll schließlich auch Leute geben, die primär wegen Wagners Werken und der singulären Akustik des Festspielhauses nach Bayreuth fahren.
Festspielmaler
Wagner wiederum, der die Aufmerksamkeitsökonomie seiner Zeit geschickt zu bespielen wusste, hätte sicherlich gefallen, dass sich auch 135 Jahre nach seinem Ableben mehr oder weniger große Namen mit dem seinigen schmücken wollen und sich um seinen Nachlass scharen wie die Brabanter um Lohengrin. Neben der üblichen Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft war auch der Malerfürst Markus Lüpertz zugegen, mit dessen Bühnenbildern die Schumann’schen Faust-Szenen zur Wiedereröffnung der Lindenoper letztes Jahr so reichlich misslungen waren. Im Gegensatz zu den Versuchen von Lüpertz und Baselitz verträgt sich in diesem Fall die Ästhetik eines Neo Rauch, der für die Ausstattung gemeinsam mit seiner Frau Rosa Loy verantwortlich malte, jedoch gut mit der romantischen Oper Lohengrin.
Ein Traum in Blau

Vor allem bläuliche, milchig-leuchtende und zugleich fahle, dunkle Farben, die Mischung aus märchenhaften Traumbildern und realistischen Elementen, das Spiel mit Zeit- und Stilebenen zwischen wundervoller Natur und Industrialisierung bzw. Elektrifizierung, all das passt irgendwie zu Lohengrin. Im Zentrum des Bühnenbilds, das im Verlauf der drei Aufzüge dezent variiert wird, steht in einer Art Sumpflandschaft ein Elektrizitätswerk mit einigen Strommasten, Leitungen und teilweise abgefallenen Isolatoren. Rauchs Surrealismus erinnert unweigerlich an die Bilderwelten Salvador Dalís, einem der vielen prominenten Wagner-Verehrer aus der Kunstwelt. Später wird das Farbspektrum u.a. auf den Innenseiten der Gebäude und dem Unterkleid Elsas noch um ein blasses Orange und einen grellen Tupfer Grün erweitert.
Graphic Novel

Die Kostüme der Brabanter sind wie auf Gemälden von Rembrandt oder Rubens gefertigt. Alles in allem recht hübsch und stimmig aus der Neokonserve, und man wartet nur darauf, dass das E-Werk mit Erscheinen des übernatürlichen Helden zum Kraftzentrum für die erstarrte Gesellschaft wird. Die Kostüme der Protagonisten wie König Heinrich (Georg Zeppenfeld), Telramund (Tomasz Konieczny) und Ortrud (Waltraud Meier) haben zudem auch einen märchenhaften Touch, es tummeln sich allerhand Elfen und Feen, insektenartig geflügelte Fabelwesen auf der Bühne. Von Elsa (Anja Harteros), der Elfenkönigin, sehnlichst herbeigewünscht erinnern die Flügel des im Kraftwerk erscheinenden Lohengrin (Piotr Beczała) – und ja, dabei blitzt es gewaltig, Licht strahlt auf und alles wird unter Strom gesetzt – wiederum an Umhänge von Comichelden wie Super- oder Batman, das ganze zartblaue Kostüm mit Silberpanzer geht in diese Richtung bis hin zu Fantasy-Requisiten wie der gezackten Waffe. Lohengrin ist hier ein Märchenrittersuperheld zwischen Mittelalter und 20. Jahrhundert. Die Stilmischungen von Bühnenbild und Kostümen, die Verbindungen unterschiedlichster Herkünfte werden vereint zu einer neuen Ästhetik: Lohengrin als Graphic Novel, warum nicht.
Lord of the Flies
Unterstützt wird diese Wirkung auch von der Regie Yuval Sharons, der den Chor zunächst in Bildern arrangiert. Lange Freezes, dazwischen ruckartige Bewegungen, insgesamt aber wenig Dynamik. Das passt zur Ästhetik der Produktion, ist aber keineswegs neu oder spannend. Beim Auftritt des Chors zur Mitte des zweiten Aufzugs steht links eine Staffelei, auf der das Tableau vivant von einem Rembrandt nochmal gemalt wird. Auch das ist hübsch anzuschauen, aber eigentlich überflüssig. Nun hatte Yuval Sharon nicht viel Zeit für die Inszenierung und musste dabei ein mehr oder weniger fertiges Konzept übernehmen. Einiges erinnert an Alvis Hermanis, der passend zum Setting sicherlich bruchloser, romantischer inszeniert hätte. Sharon setzt immerhin einige Akzente, die Personenregie der tragischen Beziehung zwischen Lohengrin und Elsa sorgt für interessante Momente. Der Gotteskampf zur Ermittlung der Wahrheit zwischen Lohengrin und Telramund wird zum Luftkampf zwischen zwei geflügelten Helden – oder einfach zwei Fliegen, bei der eine der anderen einen Flügel ausreißt.
Tableau mouvant
Die Szenerie zu Beginn des zweiten Aufzugs besteht aus einer direkt hinter den Vorhang projizierten Rauch-Landschaft mit Wolken, Sumpf, Schilf und Bäumen, und man befürchtet analog zur Szene Klingsor-Kundry wie in München die nächste Rampensingerei. Doch zum Glück wird das Bildmaterial hier vielschichtiger genutzt, bewegen sich doch hinter der Gaze gemalte Bühnenbildelemente, zwischen denen Ortrud ihren Telramund förmlich einwickelt. Waltraud Meier ist hier ganz auf der Höhe ihrer (Verführungs-)Kunst. Es ist beeindruckend, mit welcher Intensität und Intelligenz diese große Künstlerin seit nun 35 Jahren in Bayreuth die verschiedensten Rollen verkörpert hat und nun als Ortrud im Festspielhaus debütiert. Als kluge Gestalterin weiß sie genau, was sie kann und was nicht mehr geht. Ihre Ortrud ist keine schreiwütige Furie, sondern eine raffiniert-manipulative Einflüsterin, die der Lesart von Sharons Inszenierung nach letztlich Elsa in ihrer Emanzipation unterstützen soll.
Fort-Da
Das Spiel mit dem Erscheinen und Verschwinden vom Dunkel aus gibt dem zunächst plan erscheinenden Bühnenbild eine surreale Tiefe. Man weiß gelegentlich Projektion von Hintergrund nicht zu unterscheiden, so dass die subtilen Bewegungen in der Landschaft wie geträumt wirken. Eine Wolke auf Schilfbeinen erinnert sogar leicht an einen Atompilz, wodurch sich unweigerlich die Assoziation zu Sharons Karlsruher Inszenierung von John Adams’ Doctor Atomic einstellt, bei der die Szenerie zunächst auch komplett hinter Gaze angeordnet war (Karlsruhe ist derzeit eine der Regie-Talentschmieden, nächstes Jahr inszeniert in Bayreuth der ebenfalls in Karlsruhe mit seinen Meistersingern groß rausgekommene Tobias Kratzer den Tannhäuser). Nicht nur Ortrud und Telramund sehen hier wieder wie von alten Meistern gemalt aus, auch in der Szene zwischen Elsa und Ortrud schimmert das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge durch.
In der Folge hat das Ganze aber auch ein bisschen was von altmodischer Kulissenschieberei, so wie die gesamte Inszenierung leider doch recht statisch und wenig überraschend wirkt. Das ist sicherlich einmal mehr dem Ansatz geschuldet, eine Inszenierung aus der Bildenden Kunst abzuleiten. Yuval Sharon, der sich im Begleittext zum Gesamtkunstwerk äußert, tut sein Bestes, aber vieles bleibt zwangsläufig Kompromiss. Richtig spannendes, lebendiges Musiktheater geht anders.
Verzauberung der Welt
Das Beste bleibt letztlich auch diesmal wieder die Musik. Unter der Leitung Christian Thielemanns verströmt das Festspielorchester einen unglaublich weichen, organisch fließenden Klang. Es ist dies eine zarte, märchenhafte Lesart der Partitur, aus der die oftmals als unangenehm empfundenen, blechgepanzerten Härten verschwinden. Das passt ausgesprochen gut zur Ästhetik der Szene. Doch während oben die allmähliche Entzauberung der Welt stattfindet, verstummt die Magie aus dem Graben bis zum Schluss nicht. Hierzu trägt auch der wie fast immer in Bayreuth sehr gute Chor bei – nur ausgerechnet der allererste Einsatz kam zu spät –, der für viele Gänsehautmomente sorgt und die akustisch günstig bebaute Bühne breit und tief bespielt.
Stimmige Stimmen

Die (Um-)Besetzung des Lohengrin mit Piotr Beczała ist ein Glücksfall für die Produktion, der polnische Tenor singt die Partie mit Eleganz, fein abgeschmeckter Italianità und sehr guter Artikulation. Ganz fantastisch sind einige Pianostellen in der Gralserzählung, von Thielemann und dem Orchester feinfühlig begleitet. Ebenfalls in Bayreuth debütierend erfüllt Anja Harteros dagegen die hohen Erwartungen an diesem Abend nicht ganz, ihr Ausdruck wirkt gelegentlich zu manieriert und teilweise auch intonatorisch etwas zu kreativ. Das ist freilich Meckern auf hohem Niveau, denn sie hat grundsätzlich einen wunderbaren Ton und auch immer wieder einige besonders gelungene Stellen – vor allem, wenn sie ihren Sopran klar und unverstellt aussingt. Lobend erwähnt werden muss einmal mehr auch Georg Zeppenfeld für seinen noblen König Heinrich, und auch Tomasz Konieczny weiß bis auf ein paar übertriebene Stellen zu überzeugen.
Unheil oder Fortschritt?

Zum Schluss gibt Sharon seiner anspielungsreichen Inszenierung, die auch Verbindungen von Lohengrin zu Carl Maria von Webers Euryanthe und Oberon aufzeigt, entgegen des Librettos noch einen besonderen Twist. Im Brautgemach wird Elsa von Lohengrin, der ihrer Liebe nicht traut, an eine dildoartige Isolator-Säule gefesselt. Elsa kann sich erst durch das Durchbrechen des Frageverbots befreien, sie muss die tragische Dialektik ihrer vermeintlichen Liebe durchschauen. Insofern wirkt das Ende der Inszenierung nicht als Scheitern, sondern vielmehr als Befreiung. Bei Lohengrins Abschied und dem zeitgleichen Auftauchen Gottfrieds, der als comicartiger Puck ganz in Grün inszeniert wird, brechen Ortrud und Elsa konsequenterweise nicht zusammen sondern auf – in eine wie auch immer mögliche Zukunft. Mit der heidnischen Ortrud ist also nicht »das Unheil in dies Haus« gezogen, sondern Emanzipation.
Das macht Lust auf mehr: Wann wird die erste Frau in Bayreuth inszenieren dürfen, die nicht aus der Familiendynastie stammt? Dem Vernehmen nach soll Tatjana Gürbaca bereits den nächsten Ring schmieden… Wann kommt Lydia Steier dran, eines der größten Regietalente ihrer Generation? Und wenn wir schon bei Wünschen sind, da ja dieses Jahr mit Klaus Langs Hochzeiter die erste Uraufführung nach Parsifal im offiziellen (Rahmen-)Programm der Bayreuther Festspiele stattgefunden hat: Wann gibt’s mal was richtig Neues im Festspielhaus? ¶