Wenn es ums Geldausgeben geht, erleben Gärtner-Metaphern turnusmäßig neue Blüte. Die Warnung vor der »Gießkanne« etwa, die unterschiedslos alle besprenkelt, ungeachtet von Dringlichkeit und Bedarf. Im Moment geht es allerdings eher ums Kürzen als ums Gießen. Deshalb warnte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert letzte Woche davor, ein anderes Gartengerät aus dem Kabuff zu holen. »Einfach 60 Milliarden mit dem Rasenmäher einzusparen, dafür ist die SPD nicht gewählt worden«, sagte er im ARD-Morgenmagazin. 

Relevante Einsparungen, um das jetzt klaffende Haushaltsloch zu stopfen, sind in der Kultur eher nicht zu holen. Auf insgesamt 2,15 Milliarden Euro beläuft sich der Etat von Staatsministerin Claudia Roth im Haushaltsplanentwurf 2024. Damit ist er gegenüber dem Vorjahr erstmals in der Geschichte leicht geschrumpft. Dafür, dass die Kultur eigentlich Ländersache sein soll, bleibt es eine beachtliche Summe. Die im Grundgesetz verankerte »Kulturhoheit der Länder« hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr aufgeweicht. Nicht alles, was heute vom Bund gefördert wird, ist gut begründet und unzweifelhaft »exzellent«. Trotzdem wäre ohne die Bundesförderung das Kulturleben in Deutschland um ein Vielfaches ärmer. Ob Deutschland allerdings künftig noch genug Geld haben werde, die Kultur angemessen zu unterstützen, könne sie derzeit nicht sagen, so die Kulturstaatsministerin Claudia Roth letzte Woche in Brüssel. Kultur sei zwar nichts, wofür es nur in guten Zeiten Geld geben dürfe. »Aber natürlich werden jetzt die Verteilungskämpfe noch größer.« 

Für viele vom Bund geförderte Kulturinstitutionen war deshalb am gestrigen Dienstag der Kulturempfang der SPD-Fraktion in Berlin the place to be, und manch einer kämpfte sich extra durch das winterliche Schnee- und ewige Bahnchaos in die Hauptstadt, um ein bisschen mehr zu erfahren. Schließlich hatte sich selbst der Kanzler zum »lockeren Austausch bei Jazz-Musik sowie Snacks & Getränken« angemeldet. Die Sorge vor nachträglichen Kürzungen im Kulturetat ist groß. Gleichzeitig herrscht allerorten Unsicherheit, wann und wie jetzt mit versprochenen Mitteln weiter geplant werden kann.

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Der Bund Deutscher Amateurtheater, der als Dachverband fast 2.500 Theaterensembles in Deutschland vertritt, soll 2024 gemäß Haushaltsplan 480.000 Euro aus dem Bundeskulturetat erhalten. Im Verhältnis zu anderen Institutionen sei das relativ wenig für die vielfältigen Aufgaben, so Geschäftsführerin Irene Ostertag. »Natürlich fragen wir uns: Kürzt man jetzt alle Kleinen weg und schneidet so kulturelle Vielfalt ab? Dann gibt es am Ende noch drei große Opernhäuser. Das kann eigentlich nicht die Antwort sein.«

»Ich mache mir natürlich Sorgen, dass jetzt insbesondere auch im Kulturbereich gespart wird«, sagt auch Gregor Hotz, der Geschäftsführer des Musikfonds. Laut Haushaltsplanentwurf sollen die Mittel seines Fonds von 2 Millionen auf 5,9 Millionen aufgestockt werden. Auch die anderen Bundeskulturfonds sollen »als Innovationstreiber« (Claudia Roth) ab dem nächsten Jahr erheblich besser ausgestattet und damit eines der kulturpolitischen Kernvorhaben des Koalitionsvertrags umgesetzt werden. Für fünf der sechs Fonds sei der aufgestockte Haushaltsansatz allerdings bereits nach der ersten Bereinigungssitzung reduziert worden, so Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds. Die Fonds für Musik, Kunst und Soziokultur sollen jeweils 500.000 Euro, Literatur- und Übersetzerfonds jeweils 250.000 Euro weniger bekommen. Weil derzeit zwar die Aufstockung außer Frage stehe, aber nicht klar sei, wann und in welcher Höhe die Gelder bewilligt würden, habe sich der Kunstfonds erstmals seit 1980 dazu entschieden, auf eine Ausschreibung der Förderprogramme zunächst zu verzichten. 

Dabei hat man sich in der Kultur seit langem daran gewöhnt, dass Zuwendungsbescheide, und damit die Möglichkeit, Fördergeld abzurufen, erst dann eintrudeln, wenn ein Haushaltsjahr schon halb vorbei ist. Geplant und umgesetzt wird trotzdem. Rechtlich möglich macht dies die sogenannte »vorgezogene Maßnahmenbewilligung«. Sobald diese erteilt ist, dürfen geförderte Projekte und Institutionen auf eigenes Risiko Verträge abschließen, »vorbehaltlich einer Finanzierung«. Viele Kulturakteure haben sich mit einer solchen Planung auf Vorleistung arrangiert, frei nach dem Kölschen Lebensmotto: Et hätt noch immer jot jejange.

»In den vergangenen Jahren haben wir jeweils für das nächste Jahr ausgeschrieben, selbst wenn der Zuwendungsbescheid noch nicht vorlag, weil wir uns darauf verlassen konnten, dass die Mittel bewilligt würden«, so Karin Lingl vom Kunstfonds. Dieses Jahr sei jedoch alles anders, weshalb derzeit nur abgewickelt, aber nichts Neues bewilligt werde. »Aufgrund der unsicheren Situation, haben wir das Vertrauen etwas verloren. Wir warten, bis der Haushalt 2024 beschlossen ist, dann werden wir ausschreiben, dann beginnen im ersten Quartal die Juryverfahren, mit dem Ergebnis, dass das Jahr kein volles Förderjahr, sondern nur ein Dreivierteljahr werden wird.« Nach dem Ende von Neustart Kultur sei die Szene ohnehin sehr unruhig. »Ich wollte nicht irgendwelche Erwartungen wecken.«

»Bei uns liegen rund 750 Projektanträge im Antragsvolumen von rund 15 Millionen Euro für Vorhaben, die im ersten Halbjahr 2024 starten sollen«, sagt Mechthild Eickhoff, Geschäftsführerin beim Fonds Soziokultur. »Das ist unser regulärer Rhythmus und noch läuft zeitlich alles wie geplant, aber über die Förderung der beantragten Vorhaben müssten wir Anfang 2024 entscheiden können, damit die freien Träger, Kulturinitiativen gerade dort, wo Kultur nicht zugänglich oder verfügbar ist, Kulturelle Teilhabe gestalten können. Sie sind als freie Träger im Besonderen von einer verlässlichen Zu- oder Absage abhängig.«

Als verantwortungsbewusste Geschäftsführerin müsse sie angesichts der aktuellen Planungsunsicherheit eigentlich sagen: »Wir blasen alles ab«, so Irene Ostertag vom Bund Deutscher Amateurtheater. Eigene Projekte wie der Deutsche Amateurtheaterpreis müssten zwar weiter geplant werden, rechtssicher ließen sich aber kaum Ausgaben tätigen. Auch für die Personalplanung bedeute es »extrem glattes Eis«, wenn der Zuwendungsbescheid erst – wie derzeit zu erwarten ist – Mitte 2024 eintrifft. Vermutlich werde es im Falle einer vorläufigen Haushaltsführung für 2024 Überbrückungsmittel geben, die man vorher auf Verdacht und eigenes Risiko abrufen kann, so Ostertag. »Wenn ich religiöser wäre, würde ich sagen: Ich bete. Wenn ich meine Verpflichtung als Geschäftsführerin wirklich ernst nehme, müsste ich jetzt betriebsbedingt kündigen und dann wieder einstellen, wenn der Zuwendungsbescheid da ist. Aber das kann ich natürlich nicht machen. Wenn ich das tun würde, wären auch die Angestellten weg.«

Insbesondere wegen des Stopps der sogenannten Verpflichtungsermächtigungen hängen an der derzeitigen Haushaltssperre für 2024 auch Existenzen. Eine Verpflichtungsermächtigung gibt der Verwaltung die Möglichkeit, bereits für künftige Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen, etwa bei mehrjährigen Vorhaben, und damit auf spätere Haushaltsjahre vorzugreifen. Vor einer Woche ließ das Finanzministerium alle Verpflichtungsermächtigungen der Ministerien aus dem Bundeshaushalt 2023 »mit sofortiger Wirkung sperren«. Betroffen davon ist zum Beispiel der Verein Freie Ensembles und Orchester (FREO), für den im Haushalt 2023 erstmals eine Projektförderung für Weiterbildungs- und Diskursangebote eingestellt worden war  –  mit einer Verpflichtungsermächtigung bis 2027. Über die Förderung soll auch eine Projektmitarbeiterin finanziert werden. Aufgrund der Haushaltssperre hängt die Mitarbeiterin nun in der Luft und die Planung für 2024 liegt auf Eis. »Die einzige Lösung, die wir aktuell sehen, wenn der Haushalt nicht vor Ende des Jahres verabschiedet wird, ist, dass wir die Personalkosten aus eigenen Mitteln überbrücken. Das ist auch eine Frage der Verunsicherung, unsere Mitarbeiterin muss ja auch wissen, wo sie steht«, sagt FREO-Geschäftsführerin Lena Krause. »Es gibt eine Unsicherheit, wann die Mittel bewilligt werden, und ob die Mittel, die wir zurückgelegt haben, bis dahin reichen«, sagt auch Helge-Björn Meyer, Geschäftsführer beim Bundesverband Freie Darstellende Künste. Beim Bund Deutscher Amateurtheater betrifft der Stopp der Verpflichtungsermächtigungen auch die Bundesfreiwilligendienste. Als ein Träger des Freiwilligendienstes Kultur und Bildung 27+ sei es dem Verband seit letzter Woche untersagt, neue Verträge für nächstes Jahr zu schließen, so Geschäftsführerin Ostertag. »Da können wir nichts machen, außer die Interessierten bei Laune zu halten, ihnen zu sagen, dass wir uns nicht vorstellen können, dass das Engagement nicht möglich wäre. Gerade in einem Jahr, in dem die Engagementstrategie des Bundes erarbeitet wird. Da geht es um Motivation für Einzelne, die können natürlich abspringen. Der Einstellungsstopp konterkariert alles, was in Richtung gesellschaftlicher Zusammenhalt eigentlich geplant und geboten ist.«

Während der Corona-Pandemie hatte der Bund mit dem Milliarden-Programm Neustart Kultur auf viele Notlagen reagiert und damit vorübergehend auch strukturelle Defizite ausgeglichen. »Durch Neustart Kultur standen die letzten Jahren die Mittel üppig zur Verfügung. Die eigentliche Notsituation haben wir aber erst jetzt«, sagt Karin Lingl vom Kunstfonds. Wann und wie sich die Situation auflöst, ob der Haushalt noch dieses oder nächstes Jahr verabschiedet wird und wie das Finanzloch im nächsten Jahr geschlossen werden kann, weiß so recht gerade niemand, auch nicht diejenigen, die das Geld zwar nicht bewilligen, aber verwalten. »Noch ist vieles unklar – sowohl das Verfahren als auch mögliche Ergebnisse«, so Martin Eifler, Referatsleiter für Musik bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Das einzige, was sich Verbindliches gerade sagen ließe, sei: »Es wird noch auf einige Wochen Unsicherheit geben.« ¶


... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com

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