Mindestens 50 Prozent Frauen auf Kreisverbandsebene, so lautete eine der neuesten Zukunftsvisionen der CDU. Dann kam Friedrich Merz dazwischen… Auch zur gendergerechten Vergabe von Professuren, Stellen und Lehraufträgen im Bereich Komposition gibt es bereits Vorgaben. Trotzdem werden diese an den 23 Musikhochschulen in Deutschland nur zu 14,5 Prozent von Komponistinnen besetzt (beziehungsweise an diese vergeben), bei den Professuren sind es sogar nur 9 Prozent. Das ergab eine von Lehrenden und den Frauenbeauftragten sowie von klangzeitort, dem gemeinsamen Institut für Neue Musik der Universität der Künste Berlin und der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin angestoßene kürzlich veröffentlichte »statistische Recherche«.

Komposition

Über diese Untersuchung spreche ich mit Mitinitiatorin Kirsten Reese, die an der Universität der Künste in Berlin Komposition und elektronische Klanggestaltung lehrt. Reese ist eigentlich schwer beschäftigt, muss diese Woche in gleich zwei Jurys, beim DAAD und dem Musikfonds, mit über die Vergabe von Fördergeldern entscheiden. »Ich reiße mich um solche Ämter eigentlich nicht«, meint sie dazu. »Aber es ist natürlich gut, einen Überblick zu bekommen, wer sich wo bewirbt und wie dort dann die Entscheidungen getroffen werden, welche Diskussionen stattfinden.«

VAN: Inwiefern spielt Gendergerechtigkeit denn bei den Entscheidungen und Diskussionen dieser Jurys eine Rolle?

Kirsten Reese: Ich habe das Gefühl, dass in den Jurys und im ganzen Musikbetrieb das Gender-Thema angekommen ist. Da hat sich in den letzten zwei, drei Jahren in der Musikszene ganz viel getan, im Zuge von #metoo und der gesamtgesellschaftlichen Debatte. Vorher hat es mich schon genervt, dass Gleichstellung in der Neuen Musik nie, wie in den anderen Künsten, ein Thema war. Wie kann ich mich wohlfühlen in einem Umfeld, das so wahnsinnig männerdominiert ist – und damit eigentlich unzeitgemäß?, habe ich mich oft gefragt.

Die Ergebnisse einer Erhebung von 2014 • Foto © klangzeitort / Boris Brumnjak
Die Ergebnisse einer Erhebung von 2014 • Foto © klangzeitort / Boris Brumnjak

Das hat sich mittlerweile geändert, in der Aufmerksamkeit wie auch in den Programmen. Nehmen wir mal die Förderinstrumente: Beim Musikfonds melden wir, wenn sich da zum Beispiel eine Konzertreihe mit aktueller Musik und nur einer Komponistin in drei Konzerten bewirbt, zurück, dass wir das so nicht fördern wollen.

Auch in Berlin gab es vor zwei Jahren einen Aufschrei, weil bei der Vergabe der Arbeitsstipendien des Senats unter zwanzig Geförderten nur drei Frauen waren, obwohl der Anteil der Bewerberinnen 40 Prozent betrug. Dass Frauen und Männer gleichbehandelt werden müssen, steht im Grundgesetz. Wenn das dann bei der Vergabe von öffentlichen Fördermitteln nicht berücksichtigt wird, muss man das anmahnen. Und bei der nächsten Runde der Vergabe dieser Arbeitsstipendien lief es dann schon ganz anders. Da tut sich also was.

Bei den Darmstädter Ferienkursen wurde 2018 eine Quote für die Studierenden und Lehrende eingeführt, eigentlich die erste Quote in der Neuen Musik. Ich würde sagen, das war sehr erfolgreich. Die Qualität war und ist da nach wie vor hoch – das ist ja sonst immer das Gegenargument, das vorgeschoben wird, dass die Qualität abnehmen würde bei einer Quote.

Und was passiert an den Musikhochschulen?

Die hinken hinterher. Natürlich wirkt sich das, was im Konzertleben passiert, auch auf die Leute, die an den Musikhochschulen aktiv sind, aus. Aber bei den Professuren ist das Problem, dass die Berufungsverfahren sehr reglementiert sind. Es gibt eigentlich schon ganz viele Gleichstellungsaufträge zu diesen Verfahren, die gibt es auch schon ewig. Aber man hat sich fast angewöhnt, die zu missachten. Bei gleicher Qualifikation einer Bewerberin und eines Bewerbers muss eine Stelle laut Berliner Landesgleichstellungsgesetz eigentlich der Frau gegeben werden, aber danach kräht kein Hahn. Stattdessen sagt man einfach: Es ist doch nicht ganz die gleiche Qualifikation. Es kommt also ganz stark drauf an, ob die Mitglieder solcher Kommissionen wirklich den Willen zur Gleichstellung haben. Der ist in Ansätzen schon vorhanden. Die letzten ausgeschriebenen Stellen, die besetzt wurden, sind aber alle an Männer gegangen.

Elektroakustische Musik, Elektronische Komposition, Medienkomposition, Filmkomposition, Musikinformatik

Wie oft werden solche Stellen denn neu besetzt?

Das ist eben das Problem: Es gibt nur ganz wenig Stellen – in der Komposition werden  vielleicht drei, vier Stellen im Jahr im deutschsprachigen Raum ausgeschrieben, die dann aber meist auf Lebenszeit – und darum gibt es auch nur ganz wenig Bewegung. Deswegen ist es schwierig, mit dem Finger auf die zu langsame Entwicklung zu zeigen. Die Bedingungen sind auch immer sehr besonders, eingebunden in soziale Gefüge, die Anforderungen an eine Stelle sehr spezifisch, das wird dann häufig als Grund vorgeschoben. Zukunftsorientierte Fragen wie: ›Was brauchen wir als Hochschule eigentlich genau?‹, sollten breiter diskutiert werden und eine größere Rolle spielen.

Wie hoch ist denn aktuell der Frauenanteil unter den Kompositionsstudierenden?

Es gibt bei uns immer noch, anders als in anderen Kunstbereichen, weniger Studentinnen als Studenten, ungefähr 30 Prozent Frauen sind es in der Komposition. Und es gibt auch weniger Bewerberinnen für Stellen. Aber wo bleiben die Komponistinnen dann, wenn wir 30 Prozent Studentinnen haben und nur neun Prozent Professorinnen? Das ist nicht gerechtfertigt. Denn: Viele Komponistinnen, die sich auf die Stellen bewerben, sind wirklich sehr sehr gut. Außerdem ist es wichtig, damit sich in dem gesamten Bereich etwas ändert, dass es gerade an der Spitze Vorbilder gibt.

Musiktheorie

Wie läuft so ein Berufungsverfahren für eine Kompositionsprofessur eigentlich ab?

Es gibt eine Ausschreibung, darauf bewirbt man sich. Die erste Hürde ist überhaupt eingeladen zu werden, um sich vorzustellen. Das Problem ist, dass all dies nicht öffentlich passiert. Solche Verfahren sind wahnsinnig umkämpft, immer wieder versuchen Leute, sich einzuklagen … es geht einfach um so viel. Darum ist der Prozess das Gegenteil von öffentlich. Aber es wäre mehr Transparenz nötig. Man könnte zum Beispiel die Zahlen veröffentlichen: Wie viele Frauen und wie viele Männer haben sich beworben? Dann kann man schon mal sehen, ob das Problem vor allem ist, dass sich zu wenig Frauen bewerben, um das dann gegebenenfalls angehen zu können. Und dann kann man im nächsten Schritt fragen: Wer wird denn eingeladen? Transparenz in diesem Verfahren ist jedoch ein ganz heißes Eisen.

Im sogenannten Mittelbau ist es auch nochmal anders, da ist das Verfahren, wie Stellen oder Lehraufträge vergeben werden, noch viel undurchsichtiger, bei Letzteren ist es gar nicht formalisiert.

Im Berufungsverfahren für Professuren wählt die Kommission am Ende drei Kandidat:innen aus, die von politischer Seite bestätigt werden müssen, von dort kann es auch nochmal ein Veto geben.

Wie waren die Rückmeldungen auf eure Studie? Hast du das Gefühl, die Hochschulen reagieren auf die Ergebnisse?

Nein, nicht so wahnsinnig. Und Leute aus anderen Kunstsparten verstehen oft gar nicht, warum wir noch über Gender sprechen und nicht über Diversität. Das ist natürlich total wichtig, aber wir sind einfach lange noch nicht soweit in der Neuen Musik, bei uns ist Gender wirklich noch ein Thema. Darüber hinaus finde ich es ganz wichtig zu betonen, dass was wir im Gender-Bereich machen oder andere Vorkämpferinnen schon geschafft haben, in vieler Hinsicht exemplarisch ist für andere Veränderungsprozesse, für die wichtigen Fragen nach einer unbedingt notwendigen größeren kulturellen und sozialen Diversität.

Aber das Ganze ist sehr zäh. Die Hochschulen sind ja quasi selbstverwaltet. So eine Veränderung muss also sehr stark von den Lehrenden und Studierenden getragen werden. Wenn das nicht der Fall ist, passiert wenig. Ich würde nach wie vor sagen, dass ein Großteil des klassischen und Neue Musik Betriebs immer noch eher konservativ ist.

Sonstige (z.B. Professuren für Neue Musik Ensembleleitung, Musikübertragung in Detmold, Musikinformatik in Karlsruhe)

Was müsste da konkret passieren?

Ich glaube, wir bräuchten ein Denken wie in der Verkehrswende – obwohl das vielleicht nicht das beste Beispiel ist, weil es da ja auch nicht funktioniert … Aber da wurde gesagt: Das Auto hat nicht mehr Priorität, sondern Fahrräder und Fußgänger:innen sind gleichberechtigt, das ist die Verkehrswende. Bei jeder Entscheidung, die den Straßenverkehr betrifft, muss man jetzt fragen: Was bedeutet das für Fahrräder und Fußgänger:innen? Und so müssten man es bei der Stellenbesetzung auch machen – jedes Mal fragen: Was bedeutet das für die Gendergerechtigkeit? Eigentlich ist die schon im Landesgleichstellungsgesetz vorgeschrieben. Deswegen gibt es ja die Frauenbeauftragten oder Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen. Aber dieses System funktioniert nicht ganz so gut, weil es in einer Zeit implementiert wurde, in der das Anliegen, Stellen gendergerecht zu vergeben, noch nicht von vielen mitgetragen wurde. Das ändert sich gerade. Deswegen könnten wir jetzt diese ganzen Instrumente, die es gesetzlich schon gibt, reaktivieren. Und man müsste in Zukunft eigentlich bei allen Ausschreibungen unsere Studie vorlegen und ein Netzwerk aufbauen, das sich darum kümmert, dass die Gleichstellung wirklich immer mitgedacht wird.

Ich habe öfter die Haltung erlebt, dass Gleichstellung an der Hochschule ja der Job der Frauenbeauftragten sei, deswegen müssten alle anderen sich dann nicht mehr darum kümmern – das Problem wird ausgelagert.

Und wenn das so ist, haben die Frauenbeauftragten einen wirklich schweren Stand. Die Selbstverwaltung an der Hochschule bedeutet, dass man sich vor den Leuten, mit denen man arbeitet, nie zu viel Blöße gibt, es ist alles immer ein Politikum. Deswegen hat es auch viel Gutes, dass es eine Person gibt, die offiziell die Rolle hat, auf Gleichstellung zu schauen.

Aber das Anliegen müsste noch stärker von allen geragten werden. Wenn zum Beispiel die Studierenden, die ja auch immer beteiligt sind in den Berufungskommissionen, die Chancengleichheit immer wieder ansprechen, hätte das schon einen ganz großen Effekt.

Im Landesgleichstellungsgesetz steht außerdem, dass die Berufungskommissionen mindestens paritätisch besetzt sein müssen. Aber es ist trotzdem oft noch nicht gängige Praxis. Das meine ich mit den Instrumenten, die es zum Teil schon gibt, die aber noch mehr Wirkung entfalten müssen. ¶

Gesamtauswertung

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com