Vor über 40 Jahren gründete Karsten Witt mit der Jungen Deutschen Philharmonie das erste Studentenorchester Deutschlands. Es wurde die Keimzelle für Ensembles wie das Ensemble Modern, die Deutsche Kammerphilharmonie oder das Freiburger Barockorchester, die neue Formen der Aufführungspraxis und Selbstverwaltung erkundeten und unbekannte Repertoirewege erschlossen. In dieser so genannten »Freien Szene« wurden jene Innovationen erprobt, für die die Strukturen und Pfadabhängigkeiten der etablierten Orchester oft zu schwerfällig waren – oder sind. Nach Stationen unter anderem beim Wiener Konzerthaus, bei der Deutschen Grammophon und beim Londoner Southbank Centre gründete Witt 2004 die Künstleragentur Karsten Witt Musik Management GmbH, die heute neben Dirigenten, Solisten und Ensembles vor allem eine ganze Reihe international erfolgreicher zeitgenössischer Komponisten wie Toshio Hosokawa, Mark Andre oder Chaya Czernowin vertritt. Wir treffen uns in den Büroräumen im denkmalgeschützten Engelbecken-Hof in Berlin-Kreuzberg, wo Witts Agentur seit 15 Jahren beheimatet ist. Logisch, dass es da erst einmal um die explodierenden Mietpreise in SO36 geht.

VAN: Sie haben vor über 40 Jahren die Junge Deutsche Philharmonie (JDPh) mitgegründet. Was war das Ziel?

Karsten Witt: Wir wollten ein neues Orchester gründen und ein alternatives Modell von Orchesterspiel realisieren. Wir hatten unglaubliches Glück, weil wir eine Lücke schließen konnten. Das war uns damals gar nicht so klar. Die Junge Deutsche Philharmonie war das erste Studentenorchester dieser Art, es gab damals noch kein Gustav Mahler Jugendorchester, kein Jugendorchester der EU, kein Schleswig-Holstein Festival Orchester. Wir waren die ersten und wurden gefeiert, weil wir selbstverwaltet und Träger einer Vision waren. Dass die JDPh ein Instrument der Nachwuchsförderung geworden ist, war ursprünglich nicht die Absicht. Aus dem Orchester heraus haben sich dann das Ensemble Modern, die Deutsche Kammerphilharmonie, das Freiburger Barockorchester, das Ensemble Resonanz gegründet, die auch wiederum Lücken geschlossen haben. Damals gab es zum Beispiel außer dem Ensemble 13 von Manfred Reichert noch kein Spezialensemble für Neue Musik in Deutschland. Diese Gründungen hatten dann wiederum zur Folge, dass andere Ähnliches gemacht haben.

Gibt es heute noch solche Lücken wie damals?

Es gibt eine eklatante Lücke, von der ich seit Jahren denke, dass sie geschlossen werden müsste: Im Bereich der Historischen Aufführungspraxis gibt es Ensembles für Alte Musik und Klassik, aber nicht wirklich für Romantik und frühes 20. Jahrhundert. So etwas wie Les Siècles oder das Orchestre Révolutionnaire et Romantique haben wir in Deutschland überhaupt nicht. Es stimmt also nicht, dass es keine Lücken mehr gibt. Und es entstehen natürlich immer wieder neue. Allerdings ist die Frage, ob es Musiker gibt, die bereit sind, sie zu füllen.

Inwieweit hat sich denn die Bereitschaft dazu geändert?

Damals gab es diese grundlegende Diskussion über die Institution Orchester. Boulez’ ›sprengt die Opernhäuser in die Luft‹, Ernest Fleischmann forderte das Ende der traditionellen Orchester und stattdessen die Schaffung einer ›Community of Musicians‹, einen Musikerpool, aus dem sich je nach Bedarf verschiedene Formationen bilden. In diesen Diskurs hinein haben wir Institutionen gegründet, uns sehr viele Gedanken gemacht über Regeln, wie wir uns organisieren, wer welche Verantwortung hat. Heute muss man nicht unbedingt mehr ein eigenes Ensemble gründen, wenn man als Musiker selbstbestimmt arbeiten will. Man kann als Einzelkämpfer gut überleben und sich aussuchen, wo und mit wem man spielt. Das ist für mich eine große Merkwürdigkeit: Dass wir diese Orchester gegründet haben, um die etablierten Orchester zu revolutionieren, und das Ergebnis ist eine Freelance-Szene, in der die Musiker selbstbestimmt leben können, ohne sich groß institutionell engagieren zu müssen. Was aber vergessen wird ist, dass es irgendjemand machen muss. Jemand muss die Strukturen schaffen, die Verantwortung übernehmen, die Entscheidungen fällen. Natürlich kann ich da individuell immer sagen, ist mir zu blöd, gehe ich woanders hin. Aber dadurch werden diese Institutionen von innen ausgehöhlt.

Ich hätte mir vor 40 Jahren nicht träumen lassen, dass die Orchester heute immer noch so arbeiten würden, wie sie es tun.

Wenn Sie heute auf die Orchesterlandschaft und die großen öffentlich finanzierten Symphonieorchester schauen: War Ihr Anspruch, sie zu verändern, erfolgreich?

Ich hätte mir zu dem Zeitpunkt als wir die JDPh gegründet haben, das ist über 40 Jahre her, nicht träumen lassen, dass die Orchester heute immer noch so arbeiten würden, wie sie es tun. Allerdings gibt es für Musiker heute viel mehr Möglichkeiten, sich neben ihrem Job im Orchester noch weiterzuentwickeln. Insofern gibt es da individuelle Auswege aus der strengen Hierarchie und der Integration in eine rigide Ordnung. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob zukünftige Generationen von Politikern und Sponsoren noch bereit sind, für so einen musealen Betrieb die notwendigen Mittel bereitzustellen. Denn diese Tanker sind ja ziemlich teuer. Aber das wissen die Orchester auch.

Wenn sie es wissen, machen sie genug, um dieser Gefahr zu begegnen?

Es geht im Moment immer um die Frage, wieviel neue Musik gemacht wird, oder welche Vermittlungsarbeit, was natürlich beides wichtig ist. Was weniger diskutiert wird, sind die internen Strukturen. Es müsste mehr darum gehen, das kreative Potential dieser Kollektive zu heben. Da, finde ich, passiert zu wenig. Eines der grundlegenden Probleme ist, dass die Orchester häufig recht groß sind, aber die Managements viel zu schwach. Man kann nicht mit fünf Leuten ein Unternehmen mit über 100 Musikern kompetent managen, das in der ganzen Welt Konzerte gibt und vielleicht noch einen eigenen Saal bespielt. Die meisten Verwaltungen unserer Orchester sind lediglich für die Administration eines Routinebetriebs ausgestattet. Solange die Aboreihen funktionieren, man immer in derselben Halle spielt, die Struktur der Arbeit ähnlich bleibt, kann man das vielleicht bewältigen. In dem Moment aber, wo die Arbeit projektorientiert wird, es um neue Konzert- und Vermittlungsformen, Technik, Licht, Inszenierung geht, braucht man ganz andere Mittel, und auch ganz anderes Personal.

Es fällt auf, dass die Orchester zum Beispiel in Großbritannien in eine viel größere Organisationsstruktur eingebettet sind.

Ja, schauen Sie sich mal die großen Orchester in London an: Da sitzen im Board nur Musiker, die sind genauso organisiert wie ›meine‹ selbstverwalteten Orchester und Ensembles. Die haben 86 Musiker, und im Büro arbeiten dort mindestens 40 Mitarbeiter, das London Symphony Orchestra hat noch viel mehr. Kein Musiker in diesen Boards würde im Management überflüssiges Personal anstellen. Die wissen aber ganz genau, dass sie diesen professionellen Überbau brauchen, um all das zu machen, was sie eben machen wollen. Education, Fundraising, Touring, Marketing. Und das sind jetzt noch relativ traditionelle Orchester. Ein mittelständisches Unternehmen wie ein Orchester braucht eine Personalabteilung, in der sich Leute um Fortbildung, um Gruppendynamik, um individuelle Probleme der Angestellten kümmern. In deutschen Orchestern passiert das hingegen ganz naturwüchsig. Es wird den Musikern selbst überlassen, das irgendwie zu regeln.

Mit den Musikern wird kaum geredet – außer beim Bier – nicht bei der Einstellung und auch danach nicht.

Neulich erzählte mir die Mitarbeiterin eines großen Opernhaues, es sei aufgrund seiner Größe ›zu viel verlangt‹ von ihrem Haus, Mitarbeitergespräche einzuführen – dabei sind die seit Jahren ein Standard in fast jedem großen und kleinen mittelständischen Unternehmen …

Opernhäuser sind noch einmal ein spezieller Fall… Mitarbeitergespräche mit den Büro-Angestellten sind, soweit ich weiß, auch in Orchestern nichts Ungewöhnliches. Aber mit den Musikern wird kaum geredet – außer beim Bier – nicht bei der Einstellung und auch danach nicht, solange es keine eklatanten Probleme gibt. Dabei wäre die Kommunikation im Orchester eine vordringliche Management-Aufgabe.

Wieso halten sich solche Dinge, von denen eigentlich alle wissen, dass sie – wie die Personalauswahlmaßnahme Probespiel – reformbedürftig sind?

Jeder hat Angst, dass, sobald grundlegende Strukturen in Frage gestellt werden, es am Ende zu einer Infragestellung des ganzen Orchesters kommt und Subventionen gestrichen oder gekürzt werden. Die Existenzangst ist so unglaublich präsent in den Köpfen aller Akteure, dass bestimmte Fragen häufig nicht mehr thematisiert werden. Natürlich haben es sich in diesem hierarchischen Betrieb auch einige Leute bequem gemacht, die deshalb gar kein Interesse haben, die Strukturen zu verändern. Trotzdem müssen diese Diskussionen geführt werden. Deshalb ist es ein bisschen schade, dass so etwas wie die JDPh nicht mehr der Stachel im Fleisch ist, sondern das gefeierte Nachwuchsorchester, bei dem sich die Öffentlichkeit eigentlich nicht mehr für die interne Struktur interessiert. Das selbstverwaltete professionelle große Symphonieorchester gibt es bis heute nicht.

Reden wir über Ihre aktuelle Arbeit. Künstlermanager waren immer das Scharnier zwischen Künstlern und Veranstaltern. Gibt es da heute ein Legitimationsproblem, weil alle direkter miteinander verbunden sind?

Ja, die Grundfrage, die wir uns heute stellen müssen, ist, ob man uns überhaupt noch braucht. Vielbeschäftigten Künstlern nehmen wir nach wie vor ihre Organisation ab. Wir helfen ihnen, sich auf ihre eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Und wir unterstützen sie bei Entscheidungen über Engagements und Repertoire. Dagegen ist unsere Beratungsfunktion gegenüber Veranstaltern nicht mehr so selbstverständlich. Viele Intendanten und Dramaturgen sind ständig unterwegs, um sich selbst ein Bild zu machen. Außerdem sind sie untereinander bestens vernetzt. Viele Entscheidungen fallen auch durch Recherchen im Internet, indem man sich einen Youtube-Kanal oder Social Media anschaut. Das ist wahnsinnig wichtig geworden. Demgegenüber sind wir als Management nur noch ein Spieler unter vielen. Die Tatsache, dass wir uns entscheiden, jemanden zu vertreten, führt nicht automatisch dazu, dass er oder sie eine große Karriere macht.

Kann überhaupt noch jemand Karriere machen?

Das ist eine viel unübersichtlichere Geschichte geworden. Und da sind wir eben nur ein Faktor unter vielen.

Sie haben eben davon gesprochen, dass alle permanent unterwegs sind, das gilt natürlich auch für Künstlerinnen und Künstler. Wie sieht es da mit der Klimabilanz aus, ist das etwas, womit sie sich beschäftigen?

Bisher nicht. Es beschäftigt uns privat, aber es gibt diese Schizophrenie, dass wir es in unserem Beruf bisher wenig thematisiert haben. Weder die Künstler, noch die Manager, obwohl wir sicher große Energieverschwender sind. Es gibt natürlich Leute, die grundsätzlich nur mit dem Zug fahren, meistens aber, weil sie Flugangst haben. Es wäre tatsächlich notwendig, dass es eine gesellschaftliche Bewegung gäbe, dass die Veranstalter, die Künstler und wir alle an einem Strang ziehen. Wir sind da in der schwächsten Position, würde ich sagen. Wenn wir jetzt anfangen würden, unsere Künstler zu überreden, nicht mehr zu reisen, hätten wir ein kleines Problem. Ich denke aber, wir sind an einer Schwelle in eine neue Epoche. Schließlich stellen wir uns alle diese Fragen. Wenn die Veranstalter nicht mehr damit rechnen könnten, dass jeder Künstler jederzeit an jedem Ort – mindestens innerhalb Europas – verfügbar ist, so müssten wir wieder Tourneen organisieren, wo Künstler für eine bestimmte Periode in einer bestimmten Region unterwegs sind. Das wäre nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch gesünder – und als Management käme uns dabei wieder eine wichtige Koordinationsfunktion zu.     

Junge Solisten brauchen eigentlich reiche Eltern.

Die Künstlerhonorare sind in den letzten Jahren immer weiter heruntergegangen, oder?

Ja, seit circa 20 Jahren. Allerdings trifft das nicht auf die Stars zu. Ich würde sagen: die Schere ist größer geworden – genau wie in anderen Bereichen der Wirtschaft

Können von dem Kuchen eigentlich Künstler und Manager noch satt werden?

Wir haben die Provision erhöht, aber es gibt natürlich Limits, man sieht sich schon immer in der Situation, es zu rechtfertigen, wenn man 20 Prozent der Honorare nimmt. Fangen wir mit den Komponisten an. Es gibt nur sehr wenige, die vom Komponieren leben können, die meisten müssen auch noch unterrichten. Das war aber schon immer so. Junge Solisten brauchen eigentlich reiche Eltern. Nehmen wir mal mein Fach, die Geige. Zunächst braucht man ein richtig gutes Instrument, dann muss jahrelang in die Ausbildung investiert werden, danach in Kommunikation, PR, Website. Das kann sich nicht jeder leisten. Allerdings gibt es während der Ausbildung und beim Berufseinstieg viel mehr Förderung als früher. Die Honorare bleiben dann über einen langen Zeitraum sehr niedrig, solange man nicht sozusagen eine eigene ›Brand‹ entwickelt. Künstler, die so attraktiv fürs Publikum sind, dass ihr Engagement Einfluss auf den Ticket-Verkauf hat, verdienen dann wieder überdurchschnittlich viel Geld. Aber das sind nur wenige. Früher wäre es normal gewesen, dass jemand am Anfang für sagen wir 2500 Mark am Abend auftritt, vielleicht noch weniger, und dann allmählich aufsteigt und bei 6000 bis 8000 Mark landet. Heute bleibt man teilweise ewig hängen im Einstiegsbereich. Für Dirigenten stellt sich die Situation etwas anders dar. Dadurch, dass viele Orchester gut subventioniert sind, können sie ihre Dirigenten einigermaßen bezahlen. Und viele erstklassige Orchester konkurrieren um Dirigenten, von denen nicht nur die Qualität ihrer Aufführungen, sondern auch ihre Geltung abhängt. Jemand, der da gut zu tun hat, kann davon auch in jüngeren Jahren schon gut leben. Aber auch dort entwickelt es sich später für die meisten nicht mehr so wie früher.

Nach welchen Kriterien nehmen Sie eine Künstlerin oder einen Künstler auf?

Zunächst fragen wir uns, was wir mit dem Material, das uns jemand zeigt, machen können. Heutzutage einen jungen Künstler zu vermitteln, ohne dass es gute Videos von ihm gibt, ist fast unmöglich. Wer ist noch bereit, sich von einem jungen Pianisten eine Audioaufnahme anzuhören? Länger als anderthalb Minuten? Die Entscheidungen von Veranstaltern fallen oft in einer unglaublichen Geschwindigkeit, deswegen ist die Frage nach dem Material gerade bei einem unbekannteren Künstler wichtig. Wie man zu den Videos kommt, hat wiederum damit zu tun, was man investieren kann. Der nächste Schritt ist, dass wir uns selber ein Bild machen und beurteilen, welches Potential jemand künstlerisch und menschlich hat. Wir beschäftigen uns über Monate, manchmal Jahre mit dem Künstler, erleben ihn live auf der Bühne, treffen ihn. Für die meisten unserer Künstler kann ich sehr klar beantworten, was ihr Alleinstellungsmerkmal ist, das, was nur sie können. Deshalb muss ich nicht das Argument verwenden, dass es ›der beste‹ Pianist, Dirigent, Geiger auf der Welt ist, auch wenn er oder sie es vielleicht tatsächlich ist. Sondern ich kann sagen: Wenn man ein bestimmtes Repertoire aufführen will, oder wenn man einen besonders interessanten Interpretationsansatz erleben möchte, dann muss man diesen Künstler engagieren. Diese geklärte Identität, die die Einmaligkeit eines Künstlers ausmacht, ist etwas sehr Wichtiges.

Aber von einer jungen Künstlerin oder einem jungen Künstler ist doch nicht zu erwarten, dass er diese ›geklärte Identität‹ schon ausgebildet hat.

Nein, und man müsste sich auch fragen, wie begabt jemand wirklich ist, wenn er gleich als Spezialist beginnt. Das Merkwürdige ist: Im Prinzip muss jemand alles können, sehr neugierig und offen sein, und auf der anderen Seite muss er trotzdem irgendeine spezielle Fähigkeit haben.

Es geht auch immer um das Netzwerk, das einer mitbringt. Jemand kann als Künstler noch so toll sein, wenn er kein Netzwerk hat, ist es auch für uns sehr schwierig. Umgekehrt gibt es jene, die nicht die Größten ihres Faches sind, aber hervorragende Netzwerker.

Um Weltgeltung zu erreichen, muss man viele Kompromisse eingehen.

Nehmen Sie vor dem Hintergrund überhaupt junge Künstlerinnen und Künstler auf?

Ich selber habe am Anfang immer erklärt, dass ich mich nicht für Kinder interessiere, sondern eher für reife Künstler. Ich finde es auch nach wie vor problematisch. Es gibt Fälle von Dirigenten, die sich bei uns in sehr jungen Jahren beworben haben, bevor sie eine große Karriere gemacht haben, und zu denen ich meinte, ›mach das doch erstmal selbst, um den Betrieb selbständig kennenlernen‹. Dann merkt man, dass es viele Kollegen gibt, die da nicht so zimperlich sind. Außerdem macht es natürlich Spaß, mit jungen begabten Leuten zu arbeiten.

Haben sie sich mal im Nachhinein geärgert, jemand Junges abgewiesen zu haben, die oder der dann später eine große Karriere gemacht hat?

Péter Eötvös hat mir einmal einen Dirigier-Schüler empfohlen, als der 18 war. Ich habe gesagt, ich arbeite nicht für Kinder, vergiss es. Wenn wir es gemacht hätten, hätte er vielleicht eine behutsamere Entwicklung genommen und heute bestenfalls einen anderen Reifegrad als Dirigent. In meiner Vorstellung beginnt das eigentliche Lernen des Dirigenten erst mit dem Berufseinstieg – vorher fehlt ihm ja das Instrument.

Kommt man als Solistin oder Solist um eine der großen anglo-amerikanischen Agenturen wirklich nicht herum, wenn man eine internationale Karriere machen will?

Ein wirklich sehr ehrgeiziger Künstler, der unbedingt Karriere machen will, der unbedingt die große Öffentlichkeit erreichen will, der wird sich vielleicht intuitiv verbünden mit einer großen internationalen Agenturmarke, weil man dann das Gefühl hat, dass man mehr gilt. Uns gibt es inzwischen schon seit 15 Jahren, wir gelten als seriöse Firma, die eine gute Arbeit macht, aber ich glaube nicht – und das nehmen wir auch nicht für uns in Anspruch – dass man Weltgeltung hat, sobald man zu uns kommt. Das interessiert mich auch nicht.

Aber diese Garantie, ›komm zu uns, und Du bist wer‹, gibt es doch eh nicht mehr?

Das ist ja genau der Punkt. Um Weltgeltung zu erreichen, muss man viele Kompromisse eingehen. ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com