Das kleine 3 x 3 der Programmvorschau. Heute: Nackte Haut, Modernismus und gedrucktes Flash.
Der dritte und letzte Teil der Stilkritik Inhouse-Edition mit VAN Art Direktor Alex Ketzer (hier Teil eins und Teil zwei). Heute auf dem Plan: Zürich, Wien und Mainz.
Opernhaus Zürich
Gestaltung: Giorgia Tschanz, Illustrationen: Francois Berthoud
Das Konzept der Saisonbroschüre aus Zürich ist seit (mindestens) acht Jahren unverändert: Man verbindet reduzierte Gestaltung mit Objekt-Illustrationen, die an den Stil des Modernismus angelehnt sind. Das funktioniert, weil die Illustrationen gut sind und auf den Seiten mit passendem Farbkontrast stimmig in Szene gesetzt werden. Die Visuals sind der tragende Part des ganzen und ohne diese hätte die Broschüre hier sicherlich ein paar Punkte weniger bekommen.
Dass auf der Umschlagseite 2 gleich eine Anzeige steht, finde ich bei Magazinen zwar OK, aber in einer Spielzeitbroschüre würde ich diesen Platz eher zum »Spielen« und Aufgreifen/Weiterdenken des Titels nutzen. Schaut man sich die Umschlagseite 3 an, fällt auf, dass diese prominenten Plätze wohl den beiden Hauptpartnern des Hauses gewidmet sind. Das ist am Ende wohl eher eine politische Entscheidung als eine gestalterisch konzeptionelle.
Wie man hier mit Weißraum umgeht, gefällt mir gut. Den gibt es nämlich reichlich. Die Premieren bekommen jeweils eine bunte Illustration, die symbolisch für den Inhalt des Stückes steht. Die Doppelseite mit der inhaltlichen Zusammenfassung und den Hard Facts ist schlicht und übersichtlich gestaltet. Die Schriften sind eher klassisch und nicht außergewöhnlich. Auch beim Raster und beim Satz geht man keine neuen Wege, sondern orientiert sich – wie viele andere Häuser auch – am Status Quo der gelernten »Info-und-Besatzungs-Gestaltung«.
Das Repertoire greift das Layout der Premieren wieder auf – inklusive kleiner Illustration, die es in der entsprechenden Spielzeit wahrscheinlich auch mal in bunt und groß gab, als das Stück Premiere feierte.
Im Anschluss an die vielen Textseiten folgt eine 16-seitige Fotostrecke mit Aufführungsbildern des Repertoires. Im Gegensatz zur Broschüre aus Hamburg (siehe Teil 2 dieser Stilkritik) funktioniert das hier irgendwie besser. Vielleicht weil die Zuordnung der Stücke durch die größeren Titel auf den Bildern einfacher ist. Dem Rhythmus der Broschüre tut das auf jeden Fall sehr gut.
Die sonstigen Seiten sind analog zum Gestaltungs-Konzept gesetzt und stehen ordentlich und sauber da. Das luftige Layout zwischendurch sorgt für Abwechslung, beugt Langeweile vor und bringt frischen Wind rein, der dem Lesefluss zugute kommt.
Am Ende kommen dann noch die Anzeigen, die man hier aber ordentlich und nicht besonders störend auf den linken Seiten des Service-Teils platziert hat. Auf ausführliche Logo-Leisten wurde hier – mit Ausnahme der beiden Hauptpartner – verzichtet. Stattdessen erwähnt man die Sponsoren und Förderer einfach textlich. So mag ich das eigentlich am liebsten. Leider geht das oft nicht, da Förderer das Einbauen des Logos als Bedingung an ihre Förderung knüpfen.
Zusammenfassend ist die Zürcher Saisonbroschüre sauber gestaltet. Für den »Spaß-Faktor« sind hauptsächlich die Illustrationen verantwortlich. Kann man so machen – könnte man aber auch mal ein bisschen weiterspinnen.
Theater an der Wien
Gestaltung: Nadine Dellitsch
Generell mag ich die Optik des Titelmotivs sehr gerne – und opulente Kreise feiere ich als Japan– und Kompakt-Fan schon per se. Leider gefällt mir die Typografie überhaupt nicht. Das ist alles zu viel und vor allem mit zu wenig Konzept. Ich zähle fünf verschiedene Schriftgrößen/-arten/-schnitte. Zwei hätten es auch getan – vor allem, weil die Schrift der »19/20« sonst an keiner Stelle mehr auftaucht (oder doch?).
Blättert man weiter, fällt auf, dass der Kreis vielleicht etwas zu inflationär benutzt und der Text eher langweilig, weil einspaltig und unaufgeregt, gesetzt wurde. Man erkennt durchaus den gestalterischen Willen an der ein oder anderen Stelle, aber entweder fehlte das nötige (typografische) Feingefühl oder ein bisschen Mut zum Weiterdenken.
Die Idee mit dem Programmbaum ist eigentlich ganz witzig. Aber passt irgendwie nicht mehr in die Zeit. Das ist irgendwie Neunziger und fühlt sich wie »gedrucktes Flash« an.
Was die geneigten Leser*innen in den letzten beiden Wochen schon lernen konnten, findet auch hier statt: Das Triptychon aus Infotext, Besetzung/Hard Facts und symbolischem Inhaltsbild.
Dass man den Text immer am Kreis entlang laufen lässt, ist auf Dauer etwas anstrengend, weil man irgendwann den Kreis einfach nicht mehr sehen kann…
Die Idee mit dem zentrierten Stücktitel ist im Prinzip ganz OK, funktioniert aber nur bei kurzen Titeln. Bei mehrzeiligen variiert die Schriftgröße und der Abstand zum Fließtext. Das ist nicht konsequent und wirkt beliebig. Auch der Abstand der Besetzung zum rechten Kreis ist zu eng. Da hätte man auch eine bessere Platzierung ausprobieren können.
Die sonstigen Seiten sind dem Stil der Broschüre entsprechend gesetzt und passen ins vorhandene Konzept. Insgesamt ist mir das alles zu »broschürig« und erinnert mich mehr an sterile Arztpraxis als leidenschaftliches Opernhaus. Da könnte man mit ein bisschen Input einen wesentlich schöneren Output generieren.
Staatstheater Mainz
Gestaltung: Neue Gestaltung, Fotos: Tobias Kruse (Haut) und Andreas Etter (Ensemble)
Mainz zeigt Haut! Das finde ich gut. Die Close-Ups mit Hautaufnahmen finde ich als roten Faden für das Programmheft sehr gut. Das kann man auf verschiedenen Ebenen interpretieren und selbst wenn einem dazu nix einfällt, sieht es zumindest gut aus. Auch hier hat man keine Seiten gespart und leitet großzügig die Spielzeitbroschüre mit Fotos ein. Das gefällt mir!
Man könnte jetzt denken, die Gestalter*innen haben sich pro Premiere ein symbolhaftes Hautbild ausgesucht, aber zum Glück hat man das nicht gemacht. Stattdessen geht man gut mit Format und Typografie um und löst das Premieren-Programm rein textlich und reduziert. Da hat jemand vom Fach seine oder ihre Finger im Spiel gehabt. Das ist gut gemacht.
Nach den Premieren findet sich jeweils die Rubrik Weiter auf dem Spielplan. Hier wurden gekonnt die Aufführungsbilder zwischen den Inhalten platziert und man spart sich somit eine räumliche Text-Bild-Trennung. Das macht die Zuordnung einfach und sorgt für eine Auflockerung des Leseflusses.
Endlich wieder Ensemble-Fotos. Und zum Glück mit Konzept: Die Schauspieler*innen und Tänzer*innen wurden »oben ohne« (zumindest ab dem Schlüsselbein aufwärts) porträtiert und jeweils »auf Augenhöhe« vollflächig im Format platziert. Das funktioniert in der Serie ganz gut. Dass man wieder Haut sieht und sich das visuelle Konzept der Broschüre hier weiterführt, finde ich gut, ebenso die Blitz-Reflektion in den Pupillen und die gleichen Gesichtsausdrücke.
Im Kontrast dazu werden die Mitglieder des Orchesters schwarz gekleidet und im »Vollformat« gezeigt. Diese unterschiedlichen Ebenen überzeugen.
Die restlichen Seiten sind zum Konzept passend sauber gesetzt und zeichnen sich durch gekonnte Zurückhaltung und Übersichtlichkeit aus.
Ich persönlich bin Fan von Gesamtkonzepten, bei denen das große Ganze wichtiger ist, als die jeweiligen Einzelteile. Hier waren Leute am Werk, die sich was überlegt haben, und die einzelnen Ideen dann anschließend mit Typografie, Fotografie und Illustration (ich werte die Hautfotos an dieser Stelle mal als solche) zusammengesetzt haben. Im Gesamten ist das Ergebnis ziemlich stimmig und eine runde Sache. Gut gemacht! ¶
Aus Gründen der Nachhaltigkeit haben wir für diese Ausgabe der Stilkritik auf gedruckte Belegexemplare verzichtet und beurteilen die Gestaltung ausschließlich anhand der Digitalen »Blätter-PDFs«. So sparen wir die Ressourcen von fast 3.000 gedruckten Seiten und neun Postsendungen quer durch Deutschland.
Uns ist bewusst, dass somit natürlich die wichtigen Faktoren wie Format, Material und Druckqualität nicht mit in die Bewertung einfließen können.