15.718 Euro – mit diesem Jahresdurchschnittseinkommen müssen die freischaffenden Musiker:innen, die bei der Künstlersozialkasse versichert sind, für 2023 laut einer aktuellen Statistik des Deutschen Musikinformationszentrums (MIZ) rechnen. Von diesem ohnehin mehr als knapp bemessenen Budget muss allerdings nicht nur der Lebensunterhalt bestritten werden. Auch die Musikkarriere kostet.
Dirigent Niklas Benjamin Hoffmann gewann im September den internationalen Dirigierwettbewerb Lovro von Matacic in Zagreb. Mit Richard Strauss‘ Rosenkavalier-Suite dirigierte sich der 32-jährige an die Spitze und wurde dafür mit dem ersten Preis belohnt. Auf dem Weg zum Erfolg musste Hoffmann jedoch in finanzielle Vorleistung treten. Per Mail schreibt er: »Anmeldegebühren für Wettbewerbe liegen meistens bei etwa 100 Euro. Ich hatte allein dieses Jahr Kosten von insgesamt 600 Euro, um mich bei verschiedenen Dirigieren-Wettbewerben anzumelden. Ob man eingeladen wird, zeigt sich noch.« Für den Wettbewerb in Zagreb kamen Zugtickets in Höhe von 200 Euro, Unterkunftskosten in Höhe von 360 Euro und 350 Euro für Partituren hinzu. Immerhin hat sich die Investition gelohnt: Neben der Aussicht auf Anschlussengagements nimmt Hoffmann 10.000 Euro Preisgeld mit nach Hause.

Diese Rechnung geht aber nicht für alle auf. Hinter jedem Wettbewerbssieger stehen hunderte Teilnehmer:innen, die auf ihren Kosten sitzen bleiben. Und doch sind Wettbewerbe gerade für Musiker:innen am Anfang ihrer Karriere ein wichtiges Mittel, um gesehen zu werden. Dabei geht es nicht ums Gewinnen – es reicht schon, wenn es gelingt, von potentiellen Veranstaltern gesehen zu werden und neue Kontakte zu knüpfen. Das weiß auch Tenor Ludwig Obst aus Berlin. Eigentlich ist er durch seine rege Konzerttätigkeit, Auftritte mit seinem eigenen Operetten-Kollektiv und Gastengagements an den Theatern Ingolstadt und Brandenburg an der Havel voll ausgelastet. Trotzdem stellt er sich immer wieder kleineren und größeren Wettbewerben, um sein Netzwerk zu erweitern. »Ich hab mal alle Kosten durchgerechnet, die ich für meinen letzten Wettbewerb hatte und bin auf knapp 2.000 Euro gekommen«, erzählt er. Um sich auf Vorsingen und Engagements vorzubereiten, nimmt Ludwig Obst regelmäßig Gesangsunterricht. Dafür fährt er in eine andere Stadt und bezahlt außerdem für eine Klavierbegleiterin. Wie viel Sänger:innen für ihren Unterricht zahlen, ist sehr verschieden: 50 bis 150 Euro pro Stunde sind im Profibereich üblich.

Auch wer sich Unterricht und Wettbewerbe spart oder sparen muss, hat laufende Kosten – vor allem für das eigene Instrument: »Meine Bratsche ist vergleichsweise nicht so teuer gewesen«, erzählt Jenny Marielle Dilg. »Mit 6.000 bis 7.000 Euro muss man aber schon rechnen, wenn man eine Bratsche möchte, mit der man professionell auftreten kann. Es gibt natürlich auch hochpreisige Instrumente für bis zu 30.000 Euro.« Üben kann sie zu Hause. »Da hat sich zum Glück noch kein Nachbar beschwert. Während Corona hatte ich zeitweise einen Überaum für 180 Euro monatlich. Das würde ich jetzt nicht mehr so machen, sondern, wenn nötig, lieber irgendwo stundenweise einen Raum mieten.«

Vor wichtigen Aufnahmen, Vorspielen oder Konzerten erneuert Dilg regelmäßig Saiten und Bogenbezug ihrer Bratsche. Beides zusammen kostet etwa 160 Euro. Hinzu kommen noch Kleinreparaturen, Poliermittel, Kolophonium und natürlich eine Instrumentenversicherung. Mit ca. 120 Euro im Jahr ist diese vergleichsweise günstig und bewahrt davor, dass Musiker:innen im Ernstfall selbst für Schaden oder Verlust aufkommen müssen. »Ich habe mal erlebt, wie während einer Probe jemandem eine Geige runtergefallen ist, die nicht versichert war. Das war natürlich ein ziemlicher Schock.« Für Sänger Ludwig Obst ist seine stimmliche Gesundheit sein Kapital: »Gerade in den Wintermonaten schlagen die Erkältungen schon mal auf die Stimme. Dann gehe ich zum Phoniater – in der Regel muss man das auch selbst bezahlen.«
Ein weitere Investition, an der keine Instrumentengruppe vorbeikommt, betrifft professionelles Bewerbungsmaterial: Neben monatlichen Gebühren für eine eigene Website (zwischen 10 und 20 Euro) müssen Musiker:innen ihr Portfolio an Fotos und Aufnahmen pflegen. »Diese Dinge sind sehr teuer. Da muss man sich irgendwie durchwurschteln, well man sich nicht dumm und dusselig zahlen will«, meint Jenny Marielle Dilg. Ihre letzten Portraitfotos hat sie für einen Freundschaftspreis von 150 Euro machen lassen. Doch das ist nicht die Regel: Als Dirigent Niklas Benjamin Hoffmann 2022 neue Künstlerfotos schießen ließ, zahlte er dafür den regulären Preis von 550 Euro. Videoaufnahmen für Bewerbungen macht er meistens selbst, denn ein ganzes Orchester professionell aufzeichnen zu lassen, wäre unbezahlbar. Dafür hat er selbst in technisches Equipment investiert: »2020 habe ich mir eine eigene 4K-Kamera für 500 Euro angeschafft. Allerdings wird angesichts der steigenden Bild- und Audioqualität, die mittlerweile erwartet wird, bald wieder eine neue fällig sein. Zumindest ein separates Audio-Aufnahmegerät ist nötig, weil die Audioqualität der kameraeigenen Mikrofone meistens nicht ausreicht. Bewerbungen mit besserer Audioqualität werden – teils unbewusst – einfach als professioneller wahrgenommen, auch wenn der Hauptfokus eigentlich auf dem Dirigat liegen sollte.«
Die Ansprüche an Demo-Aufnahmen kennt auch Jenny Marielle Dilg: »Eine Audioaufnahme reicht oft nicht aus. Man braucht Bild und Ton. Dazu muss man einen Raum mieten und einen Tonmeister finden, der auch gut filmen und schneiden kann. Ein paar Hundert Euro können da aber schon zusammenkommen.« Leider ist die Halbwertszeit solcher Aufnahmen sehr kurz, Aufnahmen müssen aktuell sein. »Je nach Vorsingen wird außerdem ganz unterschiedliches Repertoire verlangt«, so Tenor Ludwig Obst. »Drei bis vier Mal im Jahr mache ich schon neue.«
Ein Großteil dieser Ausgaben können Musiker:innen zumindest teilweise von der Steuer absetzen. Wie viel genau, hängt auch von der Findigkeit des Steuerberaters und der Kulanz des zuständigen Finanzamtes ab. In jedem Fall aber reißen Kosten für Demoaufnahmen, Unterricht, Fahrtkosten und Instrument große Löcher in das ohnehin schon knappe Monatsbudget von Freischaffenden.
Ob freischaffende Musiker:innen über die Runden kommen, hängt auch mit Startbedingungen und Elternhaus zusammen. Unmittelbar nach seinem Abschluss durchlief Ludwig Obst einen Stimmfachwechsel vom Bariton zum Tenor und war deshalb gezwungen, bezahlte Engagements im alten Stimmfach abzulehnen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die technische Umstellung seiner Stimme und absolvierte ein Zweitstudium in Theaterwissenschaften. »Ich kann in meinem Fall ganz klar sagen, dass ich ohne die Unterstützung meiner Eltern diesen Beruf heute nicht mehr ausüben würde«, meint er heute. So viel Glück haben nicht alle: »Ich kenne viele, die können davon nicht leben. Sie singen zwar weiterhin viel, verdienen ihr Geld aber hauptsächlich mit anderen Sachen.« Einer aktuellen Erhebung des Deutschen Musikinformationszentrum zufolge fahren viele Musiker:innen zweigleisig: Etwa 70 Prozent üben einen Nebenjob aus. Jenny Marielle Dilg hat Psychologie studiert und macht eine Therapieausbildung, perspektivisch würde sie gerne in beiden Bereichen arbeiten. Genauso kann sich Niklas Benjamin Hoffmann eine Kombination vorstellen: aus Dirigieren und seiner zweiten Leidenschaft, der Software-Entwicklung. Aktuell ist er aber auch mit Blick auf die reine Musikerkarriere vorsichtig optimistisch: »Für mich passt das im Moment. Allerdings ließe sich davon keine Familie ernähren. Zum Glück ergeben sich durch den Wettbewerbserfolg gerade neue Engagements.« ¶