VAN: Was ist das gröSSte ungelöste SCHUMANN-Rätsel?
Dr. Armin Koch: Das eine sind ja Rätsel in der musikwissenschaftlichen Forschung über Robert Schumann und sein Werk, das andere offene Fragen, die sein Privatleben und seine psychische Erkrankung angehen. Die Art von Schumanns psychischer Erkrankung gilt eigentlich weiterhin als ungeklärt. Einige Autoren dachten bereits, sie hätten schlüssige Erklärungen gefunden. Mit dem Material, das wir haben, kann man die Fragen aber nicht ausreichend beantworten. Außerdem verstellen solche Spekulationen die eigentlichen Fragen, die die Musik aufwirft. Das andere Rätsel könnte man dann mit dem Schlagwort ›Spätwerk‹ überschreiben. Damit sind bei Schumann meist Kompositionen gemeint, die in einem vermeintlichen Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung stehen, die um 1854 herum entstanden sind, zu der Zeit also, in der er sich selbst eingewiesen hat. Vor allem an seinem Violinkonzert hat sich diese Diskussion immer wieder entzündet. Clara Schumann und Joseph Joachim haben sich von dem Werk ja zuerst begeistert gezeigt. Einige Zeit später wurden die beiden dann plötzlich zurückhaltender. Es wurde dann spekuliert, ob die Eigenheiten des Werkes unter Umständen mit einer geistigen Erkrankung zu tun haben könnten. Es gibt aber wirklich keine konkreten Hinweise dafür.
In den ›Haushaltbüchern‹ von Robert Schumann findet man Notizen, die in die intimsten Bereiche des Lebens hineinreichen (›Abends Beischlaf‹). War Schumann ein Kontrollfreak?
Damit werden wir natürlich sehr privat. Schumann war einfach grundsätzlich jemand, der viel notiert, viel gesammelt und viel archiviert hat. Das ›Haushaltbuch‹ war zunächst einmal dazu da, die täglichen Ausgaben zu kontrollieren. Und gleichzeitig hat er damit auch eine Art Tagebuch geführt, mit Notizen darüber, wen er an dem jeweiligen Tag getroffen und an welchen Stücken er gearbeitet hat. Es gibt halt aber auch diese sehr privaten Notizen, die ihn und seine Ehefrau Clara betreffen. Gründe für derlei Aufzeichnungen zu nennen würde auch in den Bereich der Spekulation führen. Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, dass Schumann beispielsweise ein Verzeichnis über die Briefe, die er schrieb und die er bekam, führte. Da war er ziemlich akribisch. (zögert) Man kann dabei schon sagen, dass er sich selbst seiner eigenen Bedeutung bewusst gewesen ist. Und deshalb hat er auch so viel dokumentiert. Ob er wollte, dass das alles veröffentlicht wird, das ist eine andere Frage. Er sammelte zum Beispiel Zitate von Dichtern und war auch darin ein sehr systematisch denkender Mensch. Vielleicht dachte er immer auch daran, irgendwann einmal seine eigene Biographie zu schreiben. Das ist aber auch wieder Spekulation.
Mit welchen Werken von Robert Schumann beschäftigen Sie sich gerade?
Wir von der Neuen Robert-Schumann-Gesamtausgabe – drei hauptamtliche Mitarbeiter in Düsseldorf, eine Mitarbeiterin in unserer Außenstelle im Schumann-Haus in Zwickau – konzentrieren uns gerade auf die Werke für Klavier, auf Liedwerke und die Sinfonien. Diese Werke werden wir bis 2020 komplett vorgelegt haben. Vor wenigen Tagen ist das Manuskript der zweiten Sinfonie in den Verlag gegangen. Daran arbeiten wir jetzt mit Hochdruck – so, dass das Werk in einer kritischen Edition dieses Jahr noch erscheinen kann. Anschließend legen wir die erste Sinfonie nach. Dann erscheint bald auch ein Band von verschiedenen Liedern aus dem ›Liederjahr‹ 1840. In Arbeit sind auch noch zwei Bände mit Klavierwerken. Wir sind also gut bei der Sache. Bei der ersten Sinfonie, der ›Frühlingssinfonie‹, ist die Lage etwas komplex, da man zu Schumanns Zeit erst einmal nur die einzelnen Orchesterstimmen im Druck veröffentlichte. Und erst später die Partitur. Die Noten weichen aber im Vergleich in einigen Fällen voneinander ab. Dafür mussten wir dann ein individuelles editorisches Konzept finden, wie man das gut dokumentieren kann. Und so hat jedes Werk seine ganz eigenen Herausforderungen.
Warum wird Schumanns einzige Oper Genoveva, KOMPONIERT 1847-1848, fast nie aufgeführt?
Zunächst ist es natürlich sehr komplex, eine zudem auch noch zögerlich rezipierte Oper auf die Bühne zu bringen. Zum anderen fand zu der Zeit der Genoveva-Entstehung Mitte der 1840er Jahre gerade opernästhetisch ein Umdenken statt. Schumanns Oper stand relativ singulär da. Wenn Schumann noch ein oder zwei weitere Opern komponiert hätte, dann könnte man sich eben leichter auf seine Art des Opernkomponierens einlassen und die Genoveva ästhetisch anders einordnen. Da fehlt vielleicht einfach etwas Vergleichsmaterial, um diese Art der Musiksprache zu verstehen. Schumann hatte ja durchaus Pläne für die Komposition weiterer Opern. Und, sozusagen im Rückblick, steht Richard Wagner mit seinen Werken einer ganzen Reihe damaliger Opernkompositionen ›im Weg‹, nicht zuletzt auch Schumanns Oper.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Schumanns Musik, sofern in ihr Gesang vorkommt, ästhetisch doch sehr mit der Gattung ›Lied‹ assoziiert wird, so, dass der offene Blick auf Schumanns Oper dadurch verstellt wird?
Das ist sicherlich auch ein Grund. Schumanns Lieder bieten einen einfacheren Zugang. Er hat ja häufiger Lieder komponiert mit Texten, die sich schon einer gewissen Popularität erfreuten. Wenn man jetzt ausgerechnet an dem historischen Stoff der Genoveva und an dem von Schumann selbst verfassten Textbuch Anstoß nimmt, dann dürfte man auch Richard Wagners Werke nicht aufführen! (Lacht) Manchmal kann ich die wenigen Aufführungen von Schumanns Oper wirklich nicht verstehen. Es liegt nämlich nicht am Textbuch. Und wenn doch: Wer liest das denn? Und möchte ich die Musik denn nicht trotzdem gerne hören? Es ist wie bei ganz vielen Komponisten auch: einige ›Schlagwerke‹ sind eben sehr bekannt und werden häufig aufgeführt. Dahinter stehen dann andere Werke stark zurück. Ein Teufelskreis. Manche Werke haben wir nicht im Ohr. Andere Werke von Schumann sind dafür sehr präsent. Klavierschüler wachsen mit dem Album für die Jugend op. 68 oder mit den Kinderszenen op. 15 auf. Die Toccata op. 7 beispielsweise ist dabei einfach doch technisch so schwer zu realisieren, dass sie nur von Profis aufgeführt wird.
Rechnen Sie damit, dass irgendwann in der Schumann-Forschung noch eine Bombe platzt?
Es gibt noch Einiges zu entdecken, was Vorstudien und alternative Fassungen bestimmter Werke Schumanns angeht. Ganz neue, uns zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Schumann-Werke werden aber aller Voraussicht nach nicht mehr auftauchen. Es gibt ein paar Werke, die Schumann geplant hat, wie beispielsweise 1851 die Komposition eines Luther-Oratoriums. Viele Werke wurden sozusagen als Projekt begonnen, aber es kam nicht zu musikalischen Entwürfen oder Ähnlichem. Mit der Arbeit an anderen Werken hat er möglicherweise begonnen. Aber auch da fehlt es in einigen Fällen an Skizzen. Schumann war aber eben in der Dokumentation seiner eigenen Werke sehr genau. Vor ein paar Jahren allerdings fand man ein tatsächlich noch unbekanntes Klavierstück von Schumann: Ahnung. Andere Stücke hat er einfach nicht vollendet. Die veröffentlichen wir aber trotzdem, so beispielsweise im Anhang zur Herausgabe des Albums für die Jugend. ¶