VAN: ALS WIR VOR EINIGEN WOCHEN EINEN TERMIN FÜR DIESES GESPRÄCH SUCHTEN, HAT FRANÇOIS SEINEN KALENDER GEZÜCKT: ENG BESCHRIEBENE DIN A4-BLÄTTER, MIT EINER SPALTE FÜR JEDES FAMILIENMITGLIED. WIE BEHALTET IHR DIE ÜBERSICHT?
François: Das ist ein richtiges Schachspiel … die letzten Wochen zum Beispiel waren etwas viel. Ich habe in China dirigiert und gespielt, Lisa war mit Yannick Nézet-Séguin und dem Philadelphia Orchestra auf Nordamerika- und Europatour.
Lisa: Das war aber eher eine Ausnahme. Wir machen beide unsere Termine sehr bewusst. Ich will nicht mehr als zehn Tage im Monat unterwegs sein, auch wenn es sehr schwer ist, das umzusetzen. Und ich versuche, mir zwischendurch Pausen zu schaffen, um daheim vorbeizuschauen. Ich habe noch nie gern lange in Hotelzimmern gewohnt.

DIE WICHTIGSTE FRAGE ALLER VOLL BERUFSTÄTIGEN ELTERN: WIE IST DIE KINDERBETREUUNG ORGANISIERT?
Lisa: Als sie kleiner waren, habe ich die beiden oft mitgenommen. Sie sind sehr flexibel und es gewöhnt, anderswo als zu Hause zu sein. Anna hat zum Beispiel neulich gefragt: ›Wann gehen wir eigentlich mal nach London? Da war ich noch nie.‹ Die Erziehung ist aber deshalb nicht anders als bei einem traditionellen Familienleben ohne viele Ortswechsel.
François: Wir versuchen natürlich, nicht gleichzeitig unterwegs zu sein. Wenn ich hier bin und unterrichte, mache ich Feierabend, wenn die Kinder aus der Französischen Schule kommen. Zum Glück haben wir die Großeltern. Lisas Mutter ist für eine grand-mère jung und lebt ganz in der Nähe in Ingolstadt. Meine Eltern kommen regelmäßig aus Nordfrankreich, sie sind auch noch sehr fit. Es ist also immer jemand aus der Familie für Anna und Louis da.
WIE VIEL BEKOMMEN DIE KINDER VON EURER MUSIK MIT UND WIE GESCHIEHT DAS?
François: Sie hören uns jeden Tag mit Geige und Oboe. Anna spielt selbst Flöte und der Kleine Klavier. Vor unseren Reisen sind die Kinder ab und zu etwas launisch, weil wir wieder abreisen müssen. Gleichzeitig freuen die sich über Auftritte, für die wir gemeinsam nach Amsterdam oder New York fliegen. Wenn wir in München auftreten, ist Musik wie ein Familienfest für sie.

HABT IHR DEN EINDRUCK, DASS ES IN DEUTSCHLAND IMMER NOCH WENIGER VERSTÄNDNIS ALS IN FRANKREICH GIBT FÜR EINE MUTTER, DIE IHREM BERUF GENAUSO NACHGEHT WIE EINE FRAU OHNE KINDER?
Lisa: In Deutschland hatte ich bisher keine Probleme mit unserem ›unkonventionellen‹ Lebensstil. In Georgien würde das viel eher auf Kritik stoßen, dort wird ohnehin gern schnell und viel kritisiert.
(Beide wechseln kurz und lebhaft ins Französische, weil sie einander ins Wort gefallen sind und den Faden erst wiederfinden müssen.)
François: … man muss eine Balance finden. Für eine Ehe ist es wichtig, dass jeder seinen Garten hat.
Lisa: Und trotzdem müssen sich die Prioritäten von beiden ergänzen. Und die liegen für uns auf der Familie.
François: Darin sind sich Georgier und Franzosen traditionell sehr ähnlich. Es gibt auch sonst ein paar kulturelle Gemeinsamkeiten. Die Lebhaftigkeit der Diskussionen zum Beispiel. Nur wer laut und aufgeregt debattiert, wird ernst genommen. Das Essen ist zwar sehr unterschiedlich, aber in beiden Ländern extrem wichtig, auch die große Weinbautradition. Und die Georgier haben immer schon französische Filme geliebt – Alain Delon ist ihnen viel näher als Cary Grant.
WIE HABT IHR EUCH EIGENTLICH KENNENGELERNT?
François: Ich bin schon lange mit Lisas Vater Tamaz, der Geiger im Georgischen Streichquartett ist, und mit dem Oboisten des Georgischen Kammerorchesters befreundet. Zwischen 1993 und 2002 habe ich in Tiflis ein Festival und einen Wettbewerb für Holzbläser geleitet.
Lisa: In Georgien hat man sich immer auf Sänger und Klavier konzentriert, das hatte Tradition – die Streicher schon weniger und für Bläser gab es überhaupt keine erstklassige Ausbildung. Inzwischen haben die Aktivitäten von François Früchte getragen, das Niveau ist sehr gestiegen.
François: Lisa habe ich zum ersten Mal 1996 in Ingolstadt getroffen, da war sie 17 und ich 25. Das hat dann aber noch ein bisschen gedauert mit uns (lacht). Beim nächsten Treffen in München hast Du mir nicht mal Deine Telefonnummer gegeben!
Lisa (lacht): Dafür gab es auch erst mal keinen Grund. 2002 haben wir uns auf dem Sommerfestival von Kuhmo wiedergesehen. Dort in Finnland herrscht eine verrückte Atmosphäre. Es kann sein, dass tagelang gar nichts passiert und plötzlich dann etwas Fantastisches. Man ist unterwegs in diesen weißen Nächten und hat kein Zeitgefühl mehr. Da war auf einmal alles klar mit uns.
François: Wir sind damals auf einem Tangowettbewerb gelandet, und ich war sauer, weil ich nicht mit Dir tanzen konnte.
Lisa: Mein Tanzpartner war jedenfalls keine Konkurrenz für Dich (grinst).

IHR HABT ZULETZT DREI JAHRE IN PARIS GELEBT. FEHLT EUCH DIE STADT?
François: Wir wollten, dass die Kinder diese französische Erfahrung machen. Aber als wir zurück nach München kamen, waren wir so glücklich. Das tägliche Leben ist hier viel unkomplizierter.
Lisa: Mir sind München und Bayern aber erst durch die Kinder richtig ans Herz gewachsen. Vorher fand ich Hamburg, wo ich aufgewachsen bin, viel schöner. Ich bin ja wegen meiner Lehrerin Ana Chumachenco nach München gekommen. Wenn ich heute hier am Flughafen aussteige, habe ich ein einzigartiges Gefühl von Ruhe, von Geruhsamkeit. Und die Luft ist besser als woanders.
(Geigenklänge wehen seit einiger Zeit zum offenen Fenster hinein.)
François: Da übt übrigens unser Freund Valerij Bach.
GIBT ES VERÄNDERUNGEN IM KLASSIKBETRIEB, DIE EUCH ALS FAMILIE ENTGEGENKOMMEN?
Lisa: Mir gefällt die Institution des artist in residence gut, die sich seit einiger Zeit verbreitet. Damit hat man länger die Anbindung an einen Ort, musikalisch und menschlich. Wir nehmen das beide so oft wie möglich wahr, ob in Hamburg, in New York oder in Zürich.
François: Die Kinder fanden es auch in Amsterdam ganz toll. Da gab es ein großes Konzert auf der Prinsengracht. Wir haben noch lange das Amsterdam-Lied gesungen (summt).
IN DEN SOMMERFERIEN IST FESTIVALSAISON. HABT IHR DANN EIGENTLICH ZEIT FÜR EINEN FAMILIENURLAUB?
François: Haben wir! Wir sind zwar im Juli auf dem Verbier Festival, aber danach habe ich für zwei Wochen ein Wohnmobil gemietet. Anna wünscht sich das schon seit langem – einfach losfahren und irgendwo anhalten, keine Hotelzimmer, nur wir vier. Dafür verzichten wir sogar auf das eine oder andere Konzert mit Freunden. ¶