»Klimakanzler«, »Fortschrittskoalition«, »Deutschland-Tempo«, »Deutschland-Pakt« … Welche PR-Butze hat der Politik eigentlich ins Ohr geflüstert, dass knallige Wortneuschöpfungen eine total gute Idee sind? Dabei führt die Diskrepanz zwischen hemdsärmliger Anpack-Rhetorik und realem Dicke-Bretter-Bohren in der Politik bestenfalls zur Satire und schlimmstenfalls zu einem Gefühl der Verschaukelung. Trotzdem ritt auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) das neologische Pferd, als er Mitte Juli den Doppelhaushalt, pardon, »Chancenhaushalt und Zukunftshaushalt« 2024/25 vorstellte. Wolfgang Katschner fühlte sich bei dessen Lektüre eher wie im falschen Film. Seit Jahren wirbt der Lautenist und Gründer der Lautten Compagney bei den Abgeordneten und dem Senat um mehr Geld für sein Ensemble. 2020 bekam es erstmals einen Haushaltstitel und eine Basisförderung von 50.000 Euro, 2023 wurde diese auf 100.000 Euro aufgestockt, mit der Perspektive, die Förderung mittelfristig auf die eigentlich notwendigen 250.000 Euro zu erhöhen. Nun das böse Erwachen: Der Senat will die Förderung in den kommenden Jahren jeweils um knapp 50.000 Euro kürzen und damit nahezu halbieren. »Das war ein echter Schock«, erzählt Katschner am Telefon. »Ich bin super frustriert.« 

Die Lautten Compagney ist mit der Akademie für Alte Musik eines der zwei renommierten Berliner Ensembles, die aus der historisch informierten Aufführungspraxis hervorgegangen sind. Beide wurden in den 1980er Jahren in Ost-Berlin gegründet, unterscheiden sich jedoch grundlegend im Profil. Akamus ist international bekannter, gastiert in den großen Konzertsälen und konzentriert sich in Konzerten und Aufnahmen vor allem auf die Pflege des historischen Repertoires. Für die Lautten Compagney ist die – ohnehin beschränkte – Alte-Musik-Schublade weniger Verortung als Ausgangspunkt für Begegnungen und Experimente über Genres und Sparten hinweg. (Man ist dabei so angstfrei, dass man selbst das in Verruf geratene Label »Crossover« in den Mund nimmt.)

Aus alten Tagen der Lautten Compagney: Die beiden Gründer Wolfgang Katschner und Hans-Werner Apel  •  Foto © lautten compagney BERLIN

Einen guten Eindruck von der Entdeckerlust des Ensembles gibt der Blick in den aktuellen Konzertkalender: Nächste Woche gastiert man in Wolfsburg mit der Saxofonistin Asya Fateyeva und dem Programm »Time Travel«, das Songs von Henry Purcell und den Beatles gegenüberstellt, parallel wird an der Neuköllner Oper die Uraufführung von Der Teufel im Lift geprobt, ein Musiktheater mit freundlicher Mithilfe von Johann Sebastian Bach und John von Düffel. Und in der Konzertreihe »Musical Belongings« im Humboldt-Forum treffen die peruanische Quechua-Rapperin Renata Flores und die kolumbianische Komponistin Ana Maria Romano G. auf spanisch-indigene Barockmusik des 17. Jahrhunderts aus der Anden-Region.

Das alles summiert sich allein im Kalenderjahr 2023 auf 119 Auftritte, ein Glücksfall für die Stadt und weit darüber hinaus. Im brandenburgischen Neuruppin veranstaltet die Lautten Compagney jedes Jahr die Aequinox Musiktage. Wer dort dabei ist, schrieb Albrecht Selge in VAN, könne sich nicht vorstellen, dass irgendein Festival bezaubernder sei. Und irgendein Ensemble freier: »Kontrastieren, Konfrontieren, Mischen und Aufmischen ist bei der Lautten Compagney Programm. Aber eben nicht um des Effektes willen und schon gar nicht aus Provokation um der Provokation willen, sondern immer mit Witz, Selbstironie und fast kindlicher Experimentierlust.«

Die Lautten Compagney heute • Foto © Ludwig Ohla

Auch wenn bezogen auf die Kunst ein Denken in Input-Output-Kategorien unanständig erscheint: Freie Ensembles wie die Lautten Compagney sind hocheffiziente und hochprofessionelle künstlerische Versuchslabore. Sie halten mit ihren Innovationen die Szene lebendig, bei einem Minimum an Verwaltungsaufwand. Damit erfüllen sie das, was eigentlich eine Grundvoraussetzung wirkungsorientierter Kulturförderung sein sollte: die Mittel so einzusetzen, dass maximal viel Kunst rauskommt, statt sie nach dem Motto ›Wer hat, dem wird gegeben‹ einfach auf den größten Haufen zu schmeißen.

Bisweilen hat man allerdings den Eindruck, dass freien Ensembles gerade ihre aus der Not geborene Effizienz zum Verhängnis würde, weil Kulturpolitik daraus den Schluss zieht: »Warum sollen wir die fördern, wenn es bisher auch ohne funktioniert hat?« Das ist fatal, weil hinter dem hohen künstlerischen Output meist ein Teufelskreis jahrelanger Selbstausbeutung steckt. Aller Anfang ist ohnehin prekär, und je größer der Erfolg, desto unersetzlicher wird ein professionelles Backoffice, das die Projekte akquiriert, plant und abwickelt. Wenn aber die Bürokosten immer aus den Einnahmen gedeckt werden müssen, geht das zu Lasten der Honorare. »Man will irgendwann aus dem Hamsterrad raus, immer mehr Umsatz machen zu müssen, um Fixkosten abzudecken«, erzählt Katschner. Bei jetzt schon über 100 Konzerten im Jahr komme man auf der Einnahmenseite ohnehin irgendwann an eine Grenze. »Und wir wollen unsere Musiker und Büroangestellten fair bezahlen.« Das sei aber nur möglich, wenn die Fixkosten des künstlerischen Betriebes aus den Projektkalkulationen herausgehalten werden können.

Die Erhöhung der Basisförderung, noch von Kultursenator Lederer initiiert, ermöglichte der Lautten Compagney, den Teufelskreis zumindest punktuell zu durchbrechen, erstmals ein festes Büroteam aufzubauen, das Fundament zu stabilisieren und die künstlerische Arbeit zu entlasten, finanziell wie zeitlich. Gleichzeitig wurde an Abgeordnetenhaus und Senatsverwaltung kommuniziert, dass die Fördersumme nicht ausreicht, um die Fixkosten zu decken. Doch statt mehr bekommt man nun aus heiterem Himmel weniger Geld. Signale habe es diesbezüglich keine gegeben, so Katschner. »Niemand aus der Senatsverwaltung hat mit uns das Gespräch gesucht.« Wenn das Abgeordnetenhaus dem Haushaltsentwurf im Dezember zustimmt, muss die Lautten Companey in Zukunft mindestens eine Bürostelle einsparen, auch die Vision einer faireren Bezahlung – ein erklärtes Ziel der Berliner Kulturpolitik in den vergangenen Legislaturperioden – müsse ad acta gelegt werden. 


Eine fachliche Begründung, warum ausgerechnet bei der Lautten Compagney so massiv gekürzt werden soll, habe er bisher nicht erhalten, sagt Katschner. Aber er sei »richtig alarmiert« worden durch eine Äußerung von Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson in der Kulturausschussitzung am 11. September 2023. Die Frage zweier Abgeordneter der Linken- und Grünen-Fraktion nach den Gründen für die Kürzung ließ Wedl-Wilson unbeantwortet. Stattdessen sprach sie allgemein davon, dass man im Haushalt nunmal habe Kürzungen vornehmen müssen. »Seit dieser absolut nichtssagenden Antwort habe ich das Gefühl, wir laufen bei denen unter ›kleine Fische‹, die sich eh nicht wehren können und keine Lobby haben«, meint Katschner. »Deshalb wird ja auch bei den Großen nichts gestrichen. Offensichtlich werden wir als so klein und unbedeutend eingeschätzt, dass man da locker das Licht ausknipsen kann und es kriegt keiner mit.« 

Auch auf die VAN-Anfrage nach einer fachlichen Begründung für die Kürzung teilt Kultursenator Joe Chialo (CDU) über seine Pressesprecherin lediglich mit, dass eine Beibehaltung der bisherigen Förderung zwar wünschenswert, aber »angesichts der angespannten Haushaltslage des Landes« schwierig sei.

Welch aberwitzige Entscheidung: Eine – gemessen am Gesamtbudget und sonstigen Zuschüssen – minimale Einsparung entfaltet maximale destruktive Wirkung. Der Zuschuss zur Stiftung Berliner Philharmoniker steigt im Berliner Haushalt – tarifbedingt – um fast 3 Millionen Euro im Jahr 2025, auf dann 22.400.000 Euro, der des Konzerthauses um 1 Millionen Euro auf fast 24 Millionen Euro. Die »eingesparten« 50.000 Euro bei der Lautten Compagney sind in solchen Sphären Rundungssummen. Das ist in gewisser Weise ein Vergleich von Äpfeln und Birnen, verdeutlicht aber die Dimensionen. (Und andernorts gehen fünfstellige Summen alleine für Rechtsstreitigkeiten des Führungspersonals drauf.) In der Kultur scheut man davor zurück, eine Debatte um Verteilungsgerechtigkeit anzuzetteln, schließlich möchte man nicht als Neidhammel oder Nestbeschmutzer dastehen. Schöner wäre es, wenn einfach mehr Geld für alle da wäre. Aber auch wenn die Etats in den letzten Jahren vielerorts beständig gewachsen sind, ist irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht. Es bleibt ein bisweilen tabuisiertes Faktum, dass in der Kulturförderung einige sehr viel und viele sehr wenig bekommen, und dass dieses Gefälle zwischen öffentlichen und freien Trägern mit Qualitätsunterschieden meist kaum begründbar ist.  

Im Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD noch versprochen, »mit den Erfahrungen aus Corona und mit Blick auf kommende Krisen« Künstlerinnen und Künstler sowie Einrichtungen so zu fördern, dass sie »resilienter in die Zukunft gehen.« Nichts ist so alt wie der Koalitionsvertrag von gestern. Tatsächlich konterkariert die Kürzung bei der Lautten Compagney die Maßstäbe, die resilienzfördernde Kulturpolitik erfüllen muss, nämlich: Transparenz, Verlässlichkeit, Planungssicherheit, Vertrauensvorschuss. Von ihr geht das Signal aus, dass in der Förderung selbst jahrelanger Erfolg – bei Kritik, beim Publikum – und unbestrittene künstlerische Qualität nicht ins Gewicht fallen. Im Gegenteil, es schimmert die Haltung durch, dass die, die eh schon wenig haben, besser an der kurzen Leine gehalten werden, damit die Begehrlichkeiten nicht zu groß werden. ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com

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