Im Februar erklärte die Hochschule für Musik Hanns Eisler laut einem Bericht des MDR, aus der Angst vor Infektionen würden Bewerber:innen mit chinesischer Staatsbürger:innenschaft bei den Aufnahmeprüfungen nicht angehört, sie müssten die Prüfung im Juni nachholen (was dem MDR zufolge auch Studierende betraf, die schon länger nicht mehr in der Volksrepublik China leben). Dieses Verhalten wurde unter anderem von Amnesty International als rassistische Diskriminierung verurteilt. Hochschulintern wirksame rassistische Klischees und Strukturen werden selten publik. Zu groß ist häufig die Angst von Betroffenen, sich zu äußern. Auch fehlen oft offizielle Beschwerdestellen oder Unterstützungsangebote der Hochschulen. Während sich Opfer von Sexismus oder Ableismus an die Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten beziehungsweise die Beauftragten für Studierende mit Behinderung oder chronischen Krankheiten wenden können, gibt es bei rassistischer oder intersektionaler Diskriminierung häufig keine speziell zu diesem Zweck ausgebildeten Mitarbeiter:innen.Solche fordern an der Universität der Künste Berlin jetzt mehrere Studierendeninitiativen, unter anderem #exitracismUdK. Die Gruppe macht das Ausmaß des Problems bei einer Protestaktion Mitte Juli sichtbar.

Jedes Jahr im Sommer öffnet die Universität der Künste Berlin (UdK) drei Tage lang ihre Ateliers, Werkstätten und Proberäume. Sich von einer dichten Menschenmenge zwischen Kunstwerken, Dosenbier, Live-Musik, Performances und Dancefloors hin und her treiben zu lassen, funktioniert 2020 natürlich nicht. Die Gebäude bleiben geschlossen, stattdessen finden an zwei Tagen rund um die UdK-Standorte Präsentationen statt, von der Hochschulleitung recht schwammig geframet als »Demonstration für die Künste«.

Die Initiative #exitracismUdK möchte gerade die Hochschulleitung mit ihrer Kritik erreichen und versteht sich darum explizit nicht als Teil der »Demonstration für die Künste«, nutzt aber die Plattform, um auf institutionellen Rassismus innerhalb der UdK aufmerksam zu machen. Die Fassade des Hauptgebäudes wird plakatiert mit über fünfzig anonymen Erfahrungsberichten von Studierenden. Die Statements gingen nach einem hochschulweiten Aufruf innerhalb von nur drei Tagen bei der Gruppe ein und sind zum Teil auf Instagram nachzulesen. Häufig ist dabei von durch rassistische Stereotype geprägte Aussagen von Lehrenden oder anderen Studierenden oder von diskriminierendem Verhalten wie der Weigerung von Mitarbeitenden, trotz Berechtigung Schlüssel zu UdK-Räumen auszuhändigen, die Rede.

Die Plakataktion soll sichtbar machen, was tagtäglich in der UdK passiert. Fünf mehrere Meter lange, an der Fassade des Hauptgebäudes entrollte Transparente weisen auf das hin, was nicht stattfindet: die Leerstellen, fehlende Diskurse, Geschichten, die nicht erzählt und Menschen, die von vornherein ausgeschlossen oder nicht gehört werden.

Die Fragen stammen von dem anonymen Kollektiv b.i.t.t.a. (bringing itersectionality to transform architecture) der UdK · Foto © Nikolaus Brade / UdK Berlin
Die Fragen stammen von dem anonymen Kollektiv b.i.t.t.a. (bringing itersectionality to transform architecture) der UdK · Foto © Nikolaus Brade / UdK Berlin

»Wer studiert an der UdK? Wer wählt die Studierenden aus?«, steht beispielsweise auf den Transparenten, oder:

»Wer wird diskriminiert, bewusst und unbewusst? Wer spricht? Wer spricht nicht?«

»Wer lehrt? Wer lehrt nicht? Wie viele Professor*innen sind BIPoC? Wer bestimmt, welches Wissen vermittelt wird?«

»Warum empören wir uns erst jetzt?«

In einem von bisher mehr als 500 UdK-Studierenden unterzeichneten offenen Brief schließt sich #exitracismudk Forderungen an, die die studentische »AG Intersektionale Antidiskriminierung« der UdK bereits im Vorfeld formuliert hatte. Hier geht es unter anderem um die Schaffung eines Antidiskriminierungs-Büros, das bei Fällen von Rassismus, Klassismus, Ableismus, Sexismus und intersektionaler Diskriminierung Anlaufstelle sein kann, mit speziell dafür ausgebildeten Mitarbeitenden. Die Hochschulleitung wird dazu aufgefordert, Datenerhebungen zu Diversity an der UdK durchführen und Lehrinhalte und -methoden kritisch mit Blick auf Rassismus und andere Diskriminierungsformen prüfen. Alle Mitarbeitenden sollen außerdem in entsprechenden Workshops zum Thema Anti-Diskriminierung sensibilisiert werden. Im Zentrum stehen also nicht Schuldzuweisungen, sondern, ähnlich wie bei den im letzten Jahr diskutierten Anti-Rassismus-Klauseln in Verträgen deutscher Theater, Sensibilisierung und kritische Selbstreflexion.

Eine weitere wichtige Forderung betrifft die UdK-eigenen Deutschkurse. »Am Career College der UdK werden aktuell Deutschsprachkurse angeboten, die sehr sehr teuer sind, um die 700 Euro«, erklärt Studentin Sarah Herfurth, die Asta-Referentin für Interkulturelles und Antidiskriminierung der UdK. »An anderen Universitäten ist das sehr viel günstiger, aber da haben die Studierenden der jeweiligen Uni Vorrang. Man kann an der UdK erstmal ohne perfekte Deutschkenntnisse anfangen zu studieren, aber irgendwann muss man sie nachweisen. An diesen Sprachkursen hängt unglaublich viel, nicht nur der Studienabschluss, sondern auch das Visum, der Aufenthaltsstatus. Diese Kurse müssen darum deutlich günstiger werden, eigentlich müssten sie kostenfrei sein.« Hinzu kommt, dass Unsicherheiten im Umgang mit der Sprache auch die Teilhabe an der Hochschulpolitik erschweren können, wie Gesangsstudentin Hyuneum Kim im VAN-Interview erklärte.

Natürlich gibt es, das zeigen die Erfahrungsberichte im Rahmen der #exitracsimUdK-Aktion einmal mehr, auch an Musik- und Kunsthochschulen rassistische Diskriminierung, sowohl im alltäglichen Umgang als auch in den Strukturen. Das wird aber von den Hochschulleitungen gerne übersehen, weil man sich grundsätzlich als weltoffen und damit vor Rassismus gefeit versteht. »Da an unserer Hochschule Menschen aus über 40 Nationen lehren und studieren, ist die Atmosphäre international und in der Regel von Respekt geprägt. Das gemeinsame Üben und Musizieren beugt diskriminierendem Verhalten vor und fördert das Verständnis für die verschiedenen Kulturen an der Hochschule«, schrieb beispielsweise Matthias Schwarz aus der Presseabteilung der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf vor gut einem Jahr auf meine Frage, inwieweit es innerhalb der Hochschule Anlaufstellen im Falle von rassistischer Diskriminierung gäbe. Vielen Antwortmails anderer Musikhochschulen waren im selben Tenor gehalten.

Auf ihren Websites erwähnen lediglich die Musikhochschulen in Hannover, Nürnberg, Frankfurt am Main, Mannheim und Berlin (die UdK) Rassismus als hochschulinternes Problem. Einzig in Frankfurt am Main und Mannheim gibt es Antidiskriminierungsbeauftragte unter den Mitarbeitenden. Gerade ohne zentrale Anlaufstellen bleibt aber bei vielen Musikhochschulen im Dunkeln, wie nötig eine solche wäre, da Berichte, Beschwerden oder Hilfegesuche eben nicht gebündelt erfasst oder erst gar nicht geäußert werden. Eine Art Teufelskreis.

Oft werden die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten auch bei rassistischer Diskriminierung als Ansprechpartner:innen genannt. Fraglich bleibt hier, inwiefern sich die Mechanismen verschiedener Diskriminierungsformen unterscheiden und ob ohne eine gesonderte Anti-Rassismus-Ausbildung die notwendige Unterstützung gewährleistet werden kann. Diese Verantwortung legen die Hochschulen auf die Schultern von einzelnen Personen, eben den Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten, die sich selbst um entsprechende Weiterbildungen kümmern müssen.

Tatsächlich sind es aber vor allem Studierende, die neben den Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten einspringen, die Beratung, Empowerment und Lobby-Arbeit neben dem Studium stemmen und dafür nur gering oder gar nicht entlohnt werden. Außer #exitracism sind an der UdK die Studierendeninitiative I.D.A. (Intersektionalität, Diversität, Antidiskriminierung), die Fachschaftsräte, das Interkulturelle Mentoring und das Asta-Referat für Interkulturelles und Antidiskriminierung sehr aktiv, als erste Anlaufstelle für Betroffene, in der Hochschulpolitik. Die Anzahl der studentischen Initiativen, die sich um die Belange von Betroffenen kümmert, deutet darauf hin, dass hier sehr wohl ein Problem größeren Umfangs besteht. Dass sich Studierende und die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten dieser Verantwortung so sehr annehmen wie zum Beispiel in Berlin, macht es dann wiederum den Hochschulleitungen leicht, die Notwendigkeit der Schaffung fester Stellen oder die Verfügbarmachung von Stundenkontingenten von Mitarbeiter:innen zu diesem Zweck nicht zu sehen. Der zweite Teufelskreis.

An der Universität der Künste sind aber mittlerweile alle Beteiligten im Gespräch. Jetzt bleibt spannend, inwieweit nach den öffentlichen Bekundungen der UdK zu Vielfalt und Solidarität im nächsten Schritt der rassismuskritische und diskriminierungssensible Blick der Hochschulleitung auch auf das eigene Haus geworfen wird. ¶

Merle Krafeld

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com