Das Gespräch mit Boglárka Pecze (Klarinette) und Eva Boesch (Cello) verläuft unter erschwerten Bedingungen: Erst funktioniert Skype nicht, dann streikt zwischen Bukarest und Hamburg die Internetverbindung, irgendwann verweigert kurzzeitig das Ladegerät den Dienst. Davon einmal abgesehen scheint den beiden und Sun-Young Nam (Klavier) – aka Trio Catch – alles, was sie angehen, ziemlich gut zu gelingen: Gerade wurde ihre CD »As if« mit Werken von Gérard Pesson, Paul Juon, Johannes Boris Borowski, Vito Žuraj, Johannes Maria Staud und Wolfgang Rihm (erschienen bei bastille musique) mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet; die regelmäßig im Radialsystem in Berlin und im Resonanzraum in Hamburg stattfindenden »Ohrknacker«-Gesprächskonzerte für Neue-Musik-Newbies wie interessierte Fachleute laufen gut, genau wie die Förderung (weswegen das Trio für die »Ohrknacker« keinen Eintritt nimmt); die Liste der »großen Namen«, die Stücke für das Trio komponiert haben, ist lang… Vielleicht lassen sich die beiden darum von dem Umstand, dass die Technik während des Gesprächs immer mal wieder nicht will, nicht aus der Ruhe bringen, sondern schlürfen entspannt ihren immer kälter werdenden Tee, bis die Verbindung wieder steht.
VAN: Ulrich Khuon hat gerade in einem VAN-Interview gesagt, dass er weibliches Arbeiten am Theater oft als kollektiver, partnerschaftlicher wahrnimmt. Gilt das eurer Meinung nach auch für den Kammermusikbereich?
Eva: Gerade dieses Wort ›partnerschaftlich‹ passt sehr gut zu uns, wir stehen in einem sehr liebevollen Verhältnis, haben auch eine persönliche Beziehung.
Boglárka: Ja, überhaupt nicht nur beruflich. In jeder Pause sprechen wir oder manchmal auch mitten in der Probenarbeit, dann hören wir kurz auf zu spielen und reden. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist (lacht). Es ist gar kein richtiges Probengefühl, eher einfach unser gemeinsamer Tagesablauf.
Achtet ihr darauf, auch Stücke von Komponistinnen zu spielen?
Eva: Bevor die Diskussion um Gleichberechtigung in der Musik aufkam, haben wir nicht bewusst drauf geachtet. Als das Thema hochkam, haben wir unser Repertoire angeschaut und festgestellt, dass wir schon immer viele Stücke von Frauen gespielt haben. Einige Programme sind nur mit Komponisten einige nur mit Komponistinnen und sehr viele gemischt. Wir haben aber keine Quote, das passiert ganz natürlich.
Boglárka: Wir haben uns nie bewusst für Frauen entschieden, aber wir haben uns immer bewusst für ihre Musik entschieden.
Was macht ihr, wenn euch ein Stück, das extra für euch geschrieben wurde, nicht gefällt?
Boglárka: Wenn wir ein neues Stück anfangen, ist erstmal alles fremd. Die ersten vier, fünf Wochen sind dann immer eine Annäherung. Wie uns das Stück letztlich gefällt, können wir erst nach dem zweiten oder dritten Konzert sagen.
Eva: Weil wir uns so intensiv mit den Stücken auseinandersetzen, kommen sie uns alle nahe. In der Phase des Einstudierens versuchen wir, in jedem Stück etwas zu finden. Das kann immer etwas Anderes sein. Unsere musikalische Haltung ist es, jedes Stück zu mögen, sonst kann man es auch nicht gut rüberbringen.
Boglárka: Das sind ja quasi alles unsere Babys! [lachen]
Macht es dabei einen Unterschied, ob das Stück extra für euch geschrieben wurde?
Eva: Wenn ein Stück für uns geschrieben wurde, kennen wir zusätzlich auch den Entstehungsprozess, waren vielleicht sogar Teil davon. Das hat man bei einem bestehenden Stück nicht, aber das kann einem genauso ans Herz wachsen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Komponist*innen?
Boglárka: Ganz unterschiedlich. Manche kommen mit den fertigen Noten und wollen gar nicht im Vorfeld zusammenarbeiten, manche machen als allererstes einige Probesessions mit uns und fangen dann erst an zu schreiben. Manchen bringen Skizzen mit, die sie mit uns ausprobieren.
Übermorgen spielt ihr das Brahms-Trio – könnt ihr das noch, dieses romantische Repertoire?
Boglárka: Ja.
Eva: Wenn wir einzeln üben, spielen wir auch Tonleitern und so weiter, jede übt für sich immer auch Klassisches, damit man in dieser Klangarbeit drin bleibt.
Wie seid ihr in die Neue-Musik-Nische geraten?
Boglárka: Das hat zwei Gründe. Im klassischen Repertoire gibt es nicht so viele Werke für unsere Besetzung, aber umso mehr im 20. und 21. Jahrhundert, darum liegt es auf der Hand, in den Neue-Musik-Bereich zu gehen. Und zweitens waren wir alle drei Stipendiatinnen der Ensemble-Modern-Akademie, da wurden wir an dieses Repertoire herangeführt.
Welche Leute kommen zu euren Konzerten? Ist das sehr unterschiedlich oder ein eingeschworener Kreis?
Eva: Das ist eigentlich sehr gemischt. Bei den Neue-Musik-Festivals kommen die Spezialisten. Bei Konzerten mit klassischem Repertoire und Neuer Musik ist das Publikum eher konservativer. Und beim ›Ohrknacker‹ geht es uns gerade darum, ein Publikum, das eigentlich keine Neue Musik hört, für diese zu begeistern.
Und funktioniert das?
Boglárka: Wir haben noch keine Fragebögen beim Konzert verteilt, nehmen aber immer wieder viele unbekannte Gesichter im Publikum wahr. Im Vergleich zu den ersten zwei Jahren sehen wir jetzt, seitdem wir keinen Eintritt mehr nehmen, dass viel mehr Leute kommen. Die Eintrittskarten waren auch davor nicht wahnsinnig teuer, aber es ist eben doch für viele eine Hemmschwelle, für etwas, das sie nicht kennen, Geld auszugeben. Wir haben uns bewusst für freien Eintritt entschieden.
Eva: Wir konnten auch ein Stammpublikum aufbauen, das immer wieder kommt und schon viel Neue Musik kennengelernt hat.

Wie läuft so ein Ohrknacker ab?
Boglárka: Ein Abend besteht aus drei Teilen: Zuerst spielen wir das Stück, manchmal fragen wir dann nach ersten Eindrücken des Publikums oder erzählen, wie wir zu dem Stück gekommen sind. Danach zeigen wir ausgewählte Stellen. Wir analysieren nicht die Musik, wir versuchen eher zu zeigen, wie wir das Stück erarbeitet haben und was uns daran schwer- oder leichtfiel, und auch besondere klangliche Details, die wir sehr gerne mögen. Die zeigen wir immer mehrmals, damit das Publikum sie im zweiten Durchlauf auch wirklich erkennt. Wenn die Komponistin oder der Komponist anwesend ist, hat das Publikum meistens sehr viele Fragen, manchmal auch etwas wie: ›Wie ist der normale Tagesablauf einer Komponistin?‹ Das zeigt auch, dass nicht nur Neue-Musik-Fachpublikum vor Ort ist. Aber es kommen auch Fragen von Fachleuten, wo alle anderen dann nur verdutzt gucken. Dieser Teil ist eigentlich mehr Diskussion als Erklärung. Und wenn sich alle ausgetauscht haben, spielen wir das Stück noch ein zweites Mal und sind nach dem Konzert noch da für Gespräche oder Fragen.

Eva: Das Publikum möchte nach dem Konzert auch häufig die Noten betrachten, will sehen, was es gerade gehört hat. Es ist grundsätzlich sehr neugierig , das ist total schön.
Gibt es eine Publikumsreaktion, die Euch besonders in Erinnerung geblieben ist?
Boglárka: Der Kanon?
Eva: Ja, der Kanon! [lacht]
Boglárka: Erzähl du.
Eva: Nein du.
Boglárka: Wir haben mal ein Stück gespielt von Mikel Urquiza, Pièges de neige, da wird der letzte Satz auf 3 Bierflaschen gespielt. Der Satz hat eine ganz einfache Form, es ist ein Kanon. Wir haben das in einer Schule gespielt – wir machen auch Schulkonzerte. Nach dem Satz haben wir die Kinder gefragt, ob ihnen etwas aufgefallen ist. Ein sechsjähriges Kind meldete sich sofort und sagte: ›Das war ein Kanon!‹. Sehr beeindruckend, dass es das erkannt hat.
Gibt es ein Stück, mit dem ihr besonders gute Erfahrungen gemacht habt bei Konzerten mit Publikum, das noch nie Neue Musik gehört hat?
Eva: Wir spielen unter anderem sehr gerne die Catch Sonata von Gérard Pesson. Sie hat eine einfache Grundstruktur, aber Pesson benutzt eine interessante Klavierpräparation, die den Klavierklang stark verfremdet. Ich glaube, diese Mischung aus Schönheit, Klarheit und gleichzeitiger Fremdheit der Klänge hat etwas sehr Faszinierendes. Generell möchten wir dem Publikum möglichst die ganze Vielfalt der Neuen Musik zeigen.
Eure Fotos heben sich sehr vom Look der sonst üblichen Klassik-Pressebilder ab, auch eure Ohrknacker-Plakate finde ich sehr cool. Kriegt ihr von irgendwem Design-Beratung?
Eva: Wir achten sehr darauf, mit wem wir zusammenarbeiten.

Boglárka: Unser Profil ist ja auch ein etwas Anderes als bei vielen Künstlerinnen und Künstlern. Wir sind weder rein klassische Künstlerinnen, noch ein Ensemble, das nur Neue Musik spielt. Wir befinden uns dazwischen. Und dass wir beides machen, soll auch aus den Fotos, im Design, auf Plakaten und auf der Website ersichtlich sein.
Ihr habt ja keine Agentur, wie organisiert ihr euch, Konzerte, PR …?
Eva: Wir haben eigentlich eine ziemlich gute Aufgabenverteilung. Bogi macht den größten Teil der Akquise, repräsentiert das Trio nach außen. Sun-Young kümmert sich um die ganze Notenverwaltung, den Proberaum und den Kontakt zu Freunden und Komponisten*innen. Ich mache viel Computerarbeit: Homepage, Layout, Texte, das Medienzeug und unterstütze Bogi.
Macht ihr noch viel anderes neben dem Trio?
Boglárka: Wir spielen alle drei hauptsächlich Trio und machen manchmal kleinere einzelne Projekte, oder auch zu dritt, zum Beispiel Workshops für Komponisten*innen oder über die Interpretation Neuer Musik an Hochschulen.
Könnt ihr als Trio von euren Auftritten leben?
Boglárka: Ja. Wir müssen nicht unterrichten, um über die Runden zu kommen. Wir können uns nicht beklagen. Ich denke immer: Das Ensemble entscheidet mit, wo es welche Konzerte für wie viel Geld spielt. Wenn man sich als Künstler selbst vertritt, dann muss man gegenüber den Veranstaltern sehr klar wissen, was man möchte und was nicht geht.
Hat euch das am Anfang überfordert, sich auch um das Geschäftliche kümmern zu müssen?
Boglárka: Mir fällt es intuitiv leicht, über Geld zu sprechen und zu verhandeln.
Eva: Es ist viel Learning by Doing. Nach dem Studium das erste Mal Anträge schreiben, Leute kontaktieren … Ich lerne immer mehr dazu.
Ihr kennt Euch auch schon seit Studienzeiten, oder?
Eva: Ja, seit 9 ½ Jahren. Nächstes Jahr werden wir 10.
Und habt ihr nach 10 Jahren manchmal genug, würdet gern was Anderes machen?
Eva: Nein, im Gegenteil, wir haben viele Pläne als Trio! [beide lachen].
Boglárka: Die sind aber noch geheim.
Was fasziniert euch so an dieser Formation?
Boglárka: Es ist schon etwas Besonderes, es gibt nicht 20 ähnliche Ensembles. Wir erforschen immer noch dieses unbekannte Feld, auch mit den neuen Stücken. Wir haben nie darüber nachgedacht aufzuhören. ¶