Vor wenigen Monaten bekannte unser Autor Arno Lücker: »I miss you, ARD-Aussprachedatenbank«. Es gibt in der Klassikwelt noch mehr als in der populären Musik – mit ihren meist eingängigen Künstler- und Gruppennamen – ein Ausspracheproblem. Schritt für Schritt wollen wir dem in VAN konstruktiv begegnen. Heute: Vito Žuraj wuchs im slowenischen Maribor auf, studierte in Ljubljana und in Dresden. 2016 gewann er den Claudio-Abbado-Kompositionspreis, vor wenigen Wochen war ihm ein Porträtkonzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie gewidmet. Dennoch, sagt er, wird sein Name in 99 Prozent der Fälle falsch ausgesprochen. Nun möchte er uns helfen.

Foto © Hans Christian Schinck
Foto © Hans Christian Schinck
Aussprachedatenbank Vito Žuraj: Man beachte auch den Klang eines sich schließenden Reißverschlusses oder einer Vorhangschiene bei der ersten Aussprache, nachdem eigentlich das meiste schon gelaufen sein müsste. Danach erklärt Vito Žuraj die Aussprache und gibt nochmal ein paar Erklärungen zum Üben.

Passiert Ihnen das öfter, dass Ihr Name falsch ausgesprochen wird?

Ja, in 99 Prozent der Fälle.

Und was kommt dann dabei raus?

Nicht nachmachen – falsche Aussprache

Oh, ganz Verschiedenes, meistens wird der Name auf u betont. Und da dieses Z mit Hatschek ja im deutschen Alphabet nicht existiert, versuchen es viele oft als ›Dsurai‹, das ist eben die völlig falsche Schiene. Bei der Verleihung eines Stipendiums in Frankfurt wurde ich mal auf die Bühne gerufen, als letzter natürlich, wegen dem Z. Da wurde mein Name irgendwie fast so wie ›Gulasch‹ ausgesprochen. Ich wusste erst wirklich nicht, ob ich auf die Bühne gehen soll.

Und es gibt immer noch Leute – auch aus der Musikszene – die denken, ich bin ›Viktor‹. Ich habe schon überlegt, ob ich mal ein Stück unter dem Pseudonym ›Viktor Gulasch‹ komponieren soll?

C zu Č, S zu Š, Z zu Ž – Vito Žuraj erklärt, was der Hatschek auf Slowenisch macht.
Vito Žuraj weist auf den Unterschied zwischen Slowenisch und Deutsch hin und erklärt uns, wie man Goran Ivanišević ausspricht.
Für alle, die das rollende R nicht können: Hier kommt der Crashkurs.

Passiert das in Deutschland öfter als anderswo?

Nein, jede Sprachgruppe scheint eine andere falsche Version von meinem Nachnamen zu besitzen, am schlimmsten sind vielleicht die Franzosen, die sagen dann:

… und die Franzosen sagen dann ›Zurage‹ 

… beinahe unerkennbar, irgendwie afrikanisch. Die Betonung stimmt zwar, aber es ist fast schon rückwärts ausgesprochen.

Hat Ihr Name im Slowenischen eine Bedeutung?

Mein Vater sagt, der Name habe einen französischen Ursprung, angeblich durch Nachkommen von Napoleons Soldaten, die sich hier in der Gegend angesiedelt und einiges an Kultur aus Frankreich mitgebracht haben; wahrscheinlich auch deswegen gibt es in Slowenien sehr gute Weine. Mein Name klingt ursprünglich eher nicht so original-slowenisch; allerdings, wenn man ihn falsch betont, auf dem u, dann erhält man den Imperativ eines umgangssprachlichen Wortes für feiern, ›feiere‹ also – das wird aber selten und dann auch nur im Scherz verwendet.

Es gibt nur wenige slowenische Titel in Ihrem Werk, die meisten davon aus Ihrer Anfangszeit; ein Klavierstück von 2011 heißt Čmrlj, wie spricht man das denn aus?

Čmrlj heißt Hummel

Haben Sie gemerkt, dass diese Titel nicht so marktgängig sind und sind dann auf diese Tennisterminologie gekommen, Cross Court, Deuce, i-Information?

Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass diese schwierig auszusprechenden Titel das Werk für die Leute noch interessanter machen. Nein, das mit dem Tennis ist rein inhaltlich. Ich bin ein leidenschaftlicher Tennisspieler und wollte die Titel meiner Werke in Verbindung mit meinem großen Hobby bringen. Die Titel davor waren nicht immer geglückt; das heißt nicht, dass sie jetzt geglückt sind, aber ich habe zumindest eine Richtung und kann etwas darüber erzählen. Und jeder Zuhörer spielt dann so ein bisschen mit den eigenen Assoziationen. Wenn man Komposition studiert und anfängt, sich Titel auszusuchen, ist das erst mal oft ziemlich willkürlich. Die frühen Titel haben mit meiner Herkunft als Slowene nicht viel zu tun.

Wo kommt die slowenische Sprache in Ihrer Musik vor?

Die Oper, Orlando, auch neuere kleinere, opernartige Sachen für Ensemble mit Stimme sind auf Deutsch entstanden. In slowenischer Sprache gibt es bei mir hauptsächlich Lieder, die in der Zeit entstanden sind, also ich noch in Ljubljana studierte. Ein Lied heißt Macka, die Katze. Es gibt eigentlich nur ein einziges Werk in meiner aktuellen Klangsprache, das Slowenisch enthält: Zgübleni von 2012 für Mezzosopran, Ensemble und Live-Elektronik (von dem gibt es bald wieder eine Aufführung – am 1. Mai in Köln beim Festival ›Acht Brücken‹ mit dem Experimentalstudio des SWR). Dieses Stück spielt mit Texten aus der Region Prlekija. Die sind im Dialekt, handeln vom Tod und werden gerade übersetzt, damit man die im Programmheft abdrucken kann.

Unter den späteren gibt es ein Stück mit dem Namen ODTRG, wo Sie sich auch auf die slowenische Sprache beziehen.

Vito Žuraj spricht über sein Stück ODTRG und die Möglichkeit der Permutation.

Dieses Stück ist auch ein Nachklang zu meinem eigenen Ausspracheproblem: Ich war ein richtig starker Stotterer, so mit 14, 15 Jahren. Wir hätten so ein Gespräch wie dieses hier nicht führen können. Ich war wirklich ein Fall für die Monty Pythons. Es kam nichts aus mir raus. Und gerade diese Konsonanten, T, D, G, K, manchmal war es auch ein S, das waren für mich Hindernisse, über die ich nicht klettern konnte.

Wie sind Sie da raus gekommen?

Meine Mutter hat mich in eine Therapie geschickt, die war ziemlich erfolgreich.

Ein langsamer Lernprozess? Das Überwinden einer Blockade?

Eindeutig eine Blockade. Diese Sache mit dem Stottern war erblich, das kam auch schon in der Verwandtschaft vor. Aber bei mir kam das zu einem Zeitpunkt, der wirklich alles andere als perfekt war – ich meine, 14, 15; da muss man gar nicht erst versuchen, sich um eine Frau zu bemühen.

Vorher war davon nichts zu merken?

Nein, mit 12, 13 ging es los und mit 14, 15 hatte es seinen Höhepunkt erreicht. Im slowenischen Schulsystem war das gerade der Übergang zum Gymnasium. Der Englischunterricht … den Bankreihen nach musste jeder einen Satz vorlesen, als ich an der Reihe war, hatte ich schon so Herzklopfen … und dann gab es eben Monty Python. Das war sehr störend, seltsamerweise konnte ich mich besser konzentrieren, wenn ich auf der Bühne war, aber immer noch schlecht.

Und dann kam die Therapie?

Ja, ich weiß immer noch nicht so richtig, wie die heißt. Man durfte sich vorher auch nicht soviel damit beschäftigen, weil sie sonst angeblich nicht wirkte. Die kann man auch nur bis zu einem gewissen Alter und auch nur einmal machen.

Es gab diese Sätze, die ich in mir eingebaut habe: ›Entspannen‹, ›Nicht so schnell sprechen‹, ›deutlich sprechen‹ … die wurden zu einem Teil meines Gehirns. Die Therapie dauerte drei Wochen. Nach zwei Wochen sprach ich wie Thomas Gottschalk, es ging alles.

Bis dahin waren wir in der Therapie komplett von der Außenwelt isoliert. In der letzten Woche ging es dann darum, das auf den Boden der Realität zu bekommen. Wir mussten uns auf der Straße unter die Leute mischen und ausprobieren, was wir gelernt haben. Ich kam nach drei Wochen zurück in meine Klasse, sprach und meine Klassenkameraden haben mich angeschaut, als sei ich vom Mond gefallen. Da war ich wirklich auch ein Glückspilz, die Leute, die mit mir in der Gruppe waren, waren nicht alle so erfolgreich.

Und dennoch ist das ein Bereich, den man bis zum Ende seines Lebens kontrollieren muss. Es gibt Tage, an denen ich besser und Tage, an denen ich schlechter spreche. Aber ich habe einen Mechanismus, der mich immer so bei 80, 90 Prozent hält. Davor waren es 20 Prozent.

Haben Sie durch dies Erfahrung das Selbstbewusstsein gewonnen, Fremdsprachen zu lernen? Sie haben dann später auch in Deutschland studiert.

Als ich 2001 erstmals nach Deutschland kam, war das innerhalb eines Erasmus-Austauschs, ich war in Dresden. Ok, Sächsisch ist vielleicht nicht die beste Vorbereitung. Aber dennoch hatte ich echt zu kämpfen. Es kamen da Probleme auf mich zu, die ich im Slowenischen schon überwunden hatte. Das hat einfach viel mit Sicherheit zu tun. Ich hatte keine Sicherheit und habe dann wieder mehr gestottert. Mein Durchbruch auf Deutsch war im Jahr 2007, als ich an der Musikhochschule in Karlsruhe den Lehrauftrag für Gregorianik bekommen habe, später auch für Instrumentenkunde. Ich musste jede Woche auf Deutsch vor einer Gruppe von 80 Leuten vortragen. Und wenn sich dann noch ein paar schöne Mädchen in den ersten Reihen befinden, dann möchtest du nicht stottern (lacht).

Das habe ich einfach durch Disziplin gelernt. Ich habe mich sehr intensiv auf die Vorlesungen vorbereitet, dann ging es auch mit meinem Deutsch immer besser. Der Akzent wird nie weggehen, wie Sie jetzt auch noch hören. Aber der Sprachfluss ist da, ich fühle mich in meiner Ausdruckskraft nicht begrenzt. Davor musste ich immer Lösungen suchen, in welchen Satzteil ich jetzt das komplexe Wort mit dem blöden Konsonanten, den ich nicht aussprechen kann, bringe.

Auf das Englische konnte ich das sehr schnell übertragen. Es ist interessant, diese Ähnlichkeit zwischen Deutsch und Englisch. Wenn man sich eine Oper, die im Original auf Deutsch ist, in einer extrem guten englischen Übersetzung anhört, zum Beispiel: Es gibt eine Versions von Richard Strauss‘ Intermezzo mit Felicity Lott und der Glyndebourne Festival Opera – ich habe da erst nach 10 Minuten gemerkt, dass es auf Englisch ist!

Wie verändert sich Ihre Persönlichkeit in unterschiedlichen Sprachen? Ich bemerke das bei mir sehr stark, wenn ich vom Heimatdialekt ins Hochdeutsch oder zurück wechsle.

Ich komme ja aus der Slowenischen Steiermark, aus Maribor. Und der Akzent von Maribor spielt eine ähnliche Rolle wie das Sächsische im Deutschen oder Schottisch in der englischen Sprache, dieses Rustikale, über das sich Menschen, die die Hochsprache des Slowenischen sprechen, lustig machen würden. Ich habe in Ljubljana studiert, wenn man nach Ljubljana mit einem Maribor-Dialekt kommt, ist man sehr gut erkennbar. Aber das will ich nicht verstecken, auch wenn manche Leute nicht gut durchkommen, weil sie als schräg gelten. Seit kurzem habe ich eine Kompositionsprofessur an der Musikhochschule in Ljubljana. Ich kann mich ausdrücken, auch Witze machen, so wie ich das auf Deutsch kann. Aber wenn ich nach Hause komme, mit den Freunden loslege im Dialekt, dann kommen andere Witze ins Spiel.

Man ist direkter, schneller, oder?

Direkter, schneller, schmutziger, es kommen die Ebenen ins Spiel, die man nicht in einer Vorlesung verwendet, obwohl, manchmal baue ich auch Ausdrücke aus dem Dialekt ein, das kann bei einem komplexen Thema die Gestalt lockern. ¶