Eine La Traviata, in der die Protagonistin zwei Stunden alleine auf der Bühne steht, ein Don Giovanni, dessen Titelheld konsequent im Off bleibt, eine Aida, bei der die Chorsänger im Publikum sitzen: Der Regisseur Benedikt von Peter ist durch die Auflösung der üblichen Zentralperspektive und radikale Raumkonzeptionen bekannt geworden. Er hat unter anderem an den Opernhäusern in Heidelberg, Basel, Berlin (Komische und Deutsche Oper), Hannover und Frankfurt gearbeitet. Seine Produktionen werden kontrovers diskutiert, hoch gelobt aber gelegentlich auch ungewöhnlich scharf kritisiert. Von Peter hat sich gegen eine Karriere als reisender Gastregisseur entschieden und früh Leitungsverantwortung übernommen. Von 2012 bis 2015 war er Operndirektor in Bremen, seit der aktuellen Spielzeit amtiert er als Intendant am Luzerner Theater, einem Drei-Sparten-Haus. Ich habe mich in Berlin mit ihm zum Gespräch getroffen.

Du hast Deine Intendanz in Luzern mit Luigi Nonos Prometeo eröffnet. Das ist nicht gerade leichte Kost. Wie bist du ausgerechnet auf dieses Werk gekommen?

Ich fand das immer schon ein aufregendes Stück mit einem tollen Werkkonzept. Prometeo ist wie eine ›Hörmaschine‹, in der sich Handlung durch Musik vermittelt und durch nichts anderes. Das Hören selbst wird zu einer politischen Figur.

Nono war ja ein überzeugter Kommunist, der sich allerdings in späteren Jahren von einigen Dogmen verabschiedet hat.

Ja, Prometeo wurde 1984 uraufgeführt, also schon in der Zeit des ›Post-Histoire‹. Auch musikalisch wird ein Null-Punkt der Geschichte gezeigt, wo der Klang der verschiedenen Instrumente und Stimmen sich kaum auseinanderhalten lässt, es gibt eigentlich keinen Rhythmus. Es endet mit einem Zitat aus Schönbergs Oper Moses und Aron: ›In der Wüste sind wir unbesiegbar‹. Ein Ort, von dem aus man mit einer schwachen Hoffung neu starten kann. Wir haben als szenische Situation eine Art Auffanglager geschaffen, in der die Besucher sich gegenseitig beim Zuhören wahrnehmen können. Das Stück endet ganz schmal, schon zukunftsgerichtet, aber fragil.  Prometeo ist in den letzten Jahren so heilig geworden, sozusagen ein Werk für Kunstkathedralen. Wir wollten es wieder auf den Boden holen.

YouTube video
Italienisch mit französischen Untertiteln, aber auch mit Musik: Luigi Nono spricht, man hört Prometeo.

Du bist bekannt für Deine ungewöhnlichen Raumkonzepte. Auch in Luzern habt Ihr umgebaut.

Wir haben für die ersten fünf Wochen sozusagen ein ›Eröffnungsfestival‹, ein Globe Theatre geschaffen, in dem auch die Premieren des Sprech- und Tanztheaters stattfinden. Der technische Aufwand beim Umbau war immens, aber die Premieren in den verschieden Sparten sind alle sehr direkt, sehr geradeaus und schlank und auf die Geschichten gemünzt. Während der fünf Tage, in denen das Globe wieder abgebaut wird, wollen wir mit dem Rigoletto in die Stadt gehen. Wir haben außerdem den Theaterplatz zu einem Ort gemacht, an dem die Grenze von Alltag und Kunst durchlässig werden soll. Im nächsten Jahr planen wir die Gründung  eines Stadtteiltheaters, wo künstlerische Hoheit komplett delegiert wird; für das regionale Vereine ein Komitee gründen, das wir dann mit Ressourcen unterstützen. Ich habe total Bock, an dieser Institution herumzubasteln. Wir wollen nicht zentralperspektivisch aus dem Dunkeln die Leute beschicken mit unseren tollen Gedanken, sondern aus dieser Deutungshoheit wegkommen. Und das eben auch institutionell verankern.         

Die Premiere ist offenbar sehr gut angekommen?

Das Tolle ist: es läuft! Die elf Vorstellungen von Prometeo sind inzwischen ausverkauft. Obwohl das Ganze auch für das Publikum, das dabei oft die Plätze wechselt, mit viel Aufwand verbunden ist.  Das ist ja ein Opernpublikum, das sind keine Spezialisten für Neue Musik.  Aber man reagiert hier mit einer großen Neugier und Aufgeschlossenheit.

Foto David Röthlisberger
Foto David Röthlisberger

Auch für die technischen Mitarbeiter/innen muss diese Arbeit eine große Umstellung bedeuten.

Wir haben alleine mit dem Einlasspersonal vier Proben gemacht. Und was die Technik hier mit einer Mini-Infrastruktur leistet, ist großartig. Bei Arbeitszeiten, die in Deutschland gar nicht denkbar wären.

Sprichst du da nicht von ›Flexibilisierungsprozessen‹, die man heute ja sehr ambivalent beurteilt? Einerseits Eigenverantwortung und die Bereitschaft, für kreative Prozesse alles zu geben, andererseits, sozusagen ›neo-liberal‹, prekäre Arbeitsbedingungen und Selbstausbeutung.

Es geht mir um etwas anderes: Ich habe den großen Wunsch, dass viele Dinge sich in der Arbeit versachlichen. Man kann Zuständigkeiten extrem genau definieren, dann werden Räume frei, in denen man sich gegenseitig unter die Arme greifen kann. Ich glaube schon, dass das zu einem angstfreieren Arbeiten führt. Oft hört zum Beispiel der Bereich des Dramaturgen da auf, wo er die Einführung macht. Ich finde, dass sie bei den beschränkten Möglichkeiten, die wir haben, projektleiterische Fähigkeiten übernehmen sollen. Die müssen ihre eigenen Arbeiten machen können. Es muss Nebenzentren geben, anstatt dass alles von oben gesteuert wird.  Ich kenne das am Theater, dass es angeblich immer um das ›Künstlerische‹ geht, dass sich dahinter aber alles Mögliche verschanzt. Und dann kommen irgendwelche ›Bauchansagen‹ von Theatermanagern, die die Leute nicht in die eigene Verantwortung entlassen wollen. Ich wünsche mir, dass dieser elende Druck nach dem Motto: ›Wer als Letzter geht, hat gewonnen‹, aufhört, auch diese Verwechslung von Theater und Privatleben. Diese Dinge finde ich am Theater schrecklich.

Wie würdest du  selbst einordnen, wenn du an ältere Regisseure oder Intendanten denkst? Interessiert dich zum Beispiel der alte Streit um ›Regietheater‹ versus ›Werktreue‹?

Ich wundere mich schon, was bei meinen Künstlergroßvätern angeblich stattfinden soll, wenn Sachen gesagt werden wie: ›Ich bin der Reißzahn im Arsch der Mächtigen‹ (Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensemble) oder wenn Plakate hochgehalten werden, auf denen zum Beispiel steht, was das Publikum über das Bürgertum denken soll. Mir sind auch die Regie-Techniken der 90er-Jahre sehr fremd. Mit Ironie und Zynismus habe ich nichts zu tun, ich weiß nicht einmal, was Popkultur sein soll. Das ist ein Vokabular, in dem ich nicht argumentieren kann. Stärker geprägt bin ich von der Arbeitsatmosphäre, die man bei Gérard Mortier erleben konnte (als Mortier künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele war, arbeitete Benedikt von Peter dort als Regie-Assistent). Mortier hat auch das Format der ›Kreationen‹ gefördert, bei denen Elemente aus verschiedenen Stücken und Künsten neu zusammengesetzt werden.   

Foto David Röthlisberger
Foto David Röthlisberger

Du veränderst sehr stark das räumliche Verhältnis von Orchestergraben, Bühne und Publikum. Bei den Meistersingern in Bremen war das Orchester auf der Bühne platziert, in der Aida in der Deutschen Oper in Berlin saßen der Chor und einige Solisten im Publikum. Worum geht es Dir bei dieser Auflösung der konventionellen Perspektiven?

Grundsätzlich suche ich immer nach der Haupttriebfeder von Stücken, von der aus man die Geschichte so erzählen kann, dass man sie glauben kann.  Bei Opern aus dem 19. Jahrhundert erfordert das natürlich eine größere Übersetzungsleistung. Und dann habe ich oft ein Problem mit der räumlichen Trennung von Orchester und Bühne. Bei Mozarts Entführung aus dem Serail an der Komischen Oper in Berlin (Dirigent: Kirill Petrenko, Regie: Calixto Beito) lief die Musik unverbunden neben der Handlung her nach der Devise: Je hässlicher das Bühnengeschehen, desto schöner die Musik aus dem Graben. Mir geht es um das Gegenteil, dass sich eine Einheit aus beidem ergibt und die Musik dem Publikum direkt in den Körper geht.   

YouTube video
Benedikt von Peters Mozart: Don Giovanni an der Staatsoper Hannover

Im Hinblick auf die Partitur bist du ja sehr streng. Üblicherweise greifst du nicht in die Musik ein.

Mich interessieren gerade diese großen Formen. Parsifal lebt ja davon, dass die Oper fünf Stunden dauert und sich alles immer wiederholt. Letztlich sind diese Architekturen ja in sich extrem ausbalanciert. Ich mag es, so lange zu basteln, bis alle Elemente drin sind. Man muss erstmal auf die Höhe so einer Form kommen; sonst gibt es die Gefahr, dass eigene Ansagen im Verhältnis zur Musik zu klein und naseweis wirken.

Was beschäftigt gerade besonders, welche Pläne hast du für die Zukunft?

Neben dem Wunsch, mit anderen Kollektiven zusammenzuarbeiten und Stücken aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts interessiert mich gerade die Komödie. In Luzern werde ich im Januar Rossinis L’italiana in Algeri halbszenisch inszenieren. Komödien habe ich jahrelang vor mir hergeschoben.

Du hast doch in Bremen Wagners Meistersinger inszeniert.

Das ist überhaupt keine Komödie, sondern eher eine Ideologiemaschine, die angeblich mit Witz arbeitet. Mir geht es um das Ethische am Humor.

Harnoncourt hat gesagt, er kenne überhaupt keinen Humor, der nicht bösartig ist …

Ja, aber in der Komödie wird am Ende alles verziehen. Man schaut von draußen auf die Scheiternden und merkt dann, dass man es selber sein könnte. In den Meistersingern wird Beckmesser  durch die Menge getrieben und kaputt gemacht. Beim Schluss weiß man: Der kommt nicht wieder. In einer guten Komödie kommen am Ende alle zurück. ¶

... studierte Literatur- und Musikwissenschaften und arbeitet als freier Dramaturg und Journalist unter anderem für den Tagesspiegel.