Viele freie Musiker:innen stehen seit den zahlreichen Konzertabsagen aufgrund der Corona-Pandemie vor großen finanziellen Problemen. Die Politik hat die Situation zumindest nicht ignoriert, und auch einige private Spender:innen und Fonds versuchten zu helfen. Was aber tun die öffentlich finanzierten Orchester, für die laut Musikinformationszentrum (miz) ein Großteil der knapp 13.000 freischaffenden Instrumentalist:innen und zusätzlich freie Solist:innen, Sänger:innen und Dirigent:innen arbeiten? Ein Überblick – oder eher: der Versuch, mit bloßen Händen einen Fisch zu fangen.
»Force majeure«, die Klausel des Grauens – zumindest ist sie das aus Sicht der zehntausenden freischaffenden Künstler:innen in Deutschland. Nachdem im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ab dem 12. März alle Konzerte und Veranstaltungen für die folgenden Monate abgesagt worden waren, beriefen sich die meisten Veranstalter und Orchester zunächst reflexhaft auf jene »höhere Macht«, die sie – rechtlich einwandfrei – aus der Verantwortung nahm, was die Bezahlung ihrer bereits hinzugebuchten freien Aushilfen und Solist:innen angeht. Grundsätzlich gilt zwar: Nur eine bereits erbrachte Leistung wird honoriert. Doch ist ein Fall wie dieser, wenn von jetzt auf gleich sämtliche Konzerte im ganzen Land, ja auf der ganzen Welt, verboten werden, besonders – weil nämlich die Musiker:innen, denen abgesagt wurde, keine Möglichkeit haben, auf anderem Weg ihren Unterhalt zu verdienen. Sie sind ausgeliefert. Und angewiesen auf das Geld, das die Auftraggeber ihnen versprochen haben. Den meisten freien Ensembles und Festivals sind zwar durch die Absagen grundlegende Einnahmen weggebrochen, was es ihnen unmöglich machte, Ausfallhonorare zu zahlen. Doch gibt es immerhin 121 Orchester in Deutschland, die öffentlich finanziert werden – und denen es, anders als den freien Ensembles und Veranstaltern, eigentlich möglich sein sollte, ihren Freien zumindest ein anteiliges Honorar zu zahlen. Oder?

Tatsächlich sind freiberufliche Aushilfen in Orchestern und freiberufliche Sänger:innen, Dirigent:innen und Instrumentalsolist:innen, auch Tänzer:innen und Schauspieler:innen, diejenigen, die viele Produktionen in den deutschen Konzerthäusern, an den Theatern und Opernhäusern überhaupt erst möglich machen. Manche freiberufliche Instrumentalist:innen helfen seit Jahren bei denselben Orchestern aus, sind also mit dem Klang, der Arbeitsweise und den Kolleg:innen vertraut und können sich zuverlässig und schnell in das Gesamtbild einfügen. Es ist also genauso im Interesse der Orchester und Veranstalter, dass diesen Künstler:innen nicht ihre Existenzgrundlage wegbricht. Die Rechnung scheint einfach zu sein: Ein öffentlich finanziertes Orchester plant einen Mahler-Zyklus und benötigt dafür weitaus mehr als die beispielsweise 82 festangestellten Musiker:innen. Das Management beantragt die entsprechenden Gelder beim Träger, also meistens Stadt, Land oder Bund – auch die für ihre 15 hinzugebuchten Aushilfen. Sind die Gelder bewilligt, beginnt die Arbeit an der Produktion. Fällt die Produktion nun aus – ist das Geld trotzdem da. Zudem fallen andere Kosten weg, beispielsweise für den Druck der Programmhefte, während andererseits wichtige Einnahmen wie die aus dem Kartenverkauf wegbrechen. Das vorhandene Geld muss also neu verteilt werden.
»Es wäre grotesk gewesen, hätten die Träger das genehmigte Geld in dieser Situation wieder zurückgefordert«, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV). »Das wäre der Killer für etliche Projekte gewesen, es wäre eine Insolvenzwelle durchs Land gerollt.« Dass das keine Option ist, war allen Beteiligten offenbar klar, die Budgets blieben zumeist unangetastet. Wie nun im Gegenzug aber mit eventuellen Ausfallhonoraren umgegangen wird, darüber sind sich bis heute einige Orchester mit ihren Trägern nicht einig geworden – und das hat für die Musiker:innen teils schwere Folgen. Dass ihre Einsätze vorher in der Regel nur mündlich oder teilschriftlich per WhatsApp oder SMS vereinbart wurden, dass also oft gar kein Vertrag mit Ausfall-Regelung vorliegt, wie Gerald Mertens ausführt – das ist nur ein kleiner Teil des Problems.

Für diesen Versuch eines Überblicks sind die 110 öffentlich finanzierten Orchester und die 11 Rundfunkorchester in Deutschland angefragt worden, ob sie ihren hinzugebuchten freien Musiker:innen (Orchesteraushilfen, Sänger:innen, Dirigent:innen, Solist:innen) Ausfallhonorare zahlen, und wenn ja, wie hoch diese sind und ob die Auszahlung vonseiten der Musiker:innen an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Die meisten Orchester, die die Frage verneinten, gaben zugleich die Gründe für ihre Entscheidung an. Insgesamt antworteten innerhalb von knapp vier Wochen 92 Orchester auf die Anfrage, von denen wiederum 64 die gestellten Fragen beantworteten. Die 28 die die Fragen nicht beantworteten, kamen der eigenen Aussage nach meist aus Zeitgründen nicht dazu – oder aber ließen wissen, dass sie aufgrund von planerischen Unklarheiten (und auch in Einzelfällen grundsätzlich) keine Aussage treffen konnten oder wollten. () Da es sich dabei nur um knapp die Hälfte aller Orchester handelt, sollen hier keine Rückschlüsse auf die gesamte Orchesterlandschaft in Deutschland gezogen werden. Jedoch legt bereits diese Stichprobe ein grundlegendes Problem offen, das symptomatisch sein dürfte: Es gibt keine einheitliche Regelung für den Umgang mit Ausfallhonoraren – weder innerhalb der Bundesländer oder Kreise, noch, das gilt zumindest teilweise, innerhalb der einzelnen Orchester. Für Freie bedeutet das: Entweder man hat ein bisschen oder sogar krasses Glück und war von einem Orchester engagiert, das ein mehr oder weniger hilfreiches Ausfallhonorar zahlt. Oder aber man hat großes, großes Pech.
Das erste Problem: Nur 38 Orchester gaben an, ihren Freischaffenden überhaupt Ausfallhonorare zu zahlen – also gerade einmal knapp mehr als die Hälfte. Die anderen 26 zahlen keine oder haben sich noch nicht mit ihrem Träger einigen können. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die meisten berufen sich darauf, dass eine Ausfallhonorarzahlung vertraglich nicht begründet sei oder es gar gegen die Zuwendungsbestimmungen der Landeshaushaltsordnung verstoße. Manche Orchester gaben an, keine Ausfallhonorare zu zahlen, weil entweder ein neuer Termin für das Konzert gefunden werden konnte (in der Regel: 2021), oder weil sie aus unterschiedlichen Gründen keine finanziellen Möglichkeiten dazu hätten. Einem Orchester wurde gar vom Träger der Haushalt eingefroren. Viele befinden sich in Kurzarbeit. Bei zwei Orchestern waren laut Angabe keine Musiker:innen betroffen – entweder, weil die geplanten Konzerte mit der Stammbesetzung durchgeführt werden konnten, oder weil die Aushilfen traditionell sehr kurzfristig angefragt würden und in diesem Fall noch nicht gebucht waren. Vier Orchester befanden sich zum Zeitpunkt ihrer Antwort noch in der Abstimmung mit ihrem Träger. Und eines gibt an, die Freien könnten immerhin von den staatlicherseits aufgelegten Förderprogrammen »profitieren«. Soweit zur Frage des kompletten Honorarausfalls für Freischaffende – weniger kompliziert wird es auf der anderen Seite nicht.
Hinsichtlich der Höhe der Ausfallhonorare, ihrer Staffelung, zeitlichen Abhängigkeiten und finanziellen Realisierung tut sich hier im Gegenteil eine Art vollgekramter Gartenschuppen auf: Etwa ein Drittel beruft sich auf die von Monika Grütters vorgeschlagene Regelung mit Ausfallhonoraren von bis zu 60 Prozent – die meisten einigen sich auf 50. Alle anderen basteln mit ihrem eigenen individuellen Werkzeug am Haus herum. Auffällig ist, dass es fast immer Abstufungen gibt: »bis zu« 70 Prozent/einem Tagessatz von 150 Euro/maximal 2000 Euro/10.000 Euro pro Künstler:in pro Spielzeit, teilweise abhängig von der Höhe des vereinbarten Honorars – niedrige Honorare können teils bis zu 100% als Ausfall gezahlt werden, höhere oft nur bis zu 50%, 33% oder weniger. Bereits ausgelegte Reisekosten werden fast immer erstattet. Außerdem gibt es unterschiedliche Regelungen die Art der Beschäftigung betreffend (mit Dirigent:innen und Solist:innen wird häufiger nach Ersatzterminen gesucht, wohingegen die Orchesteraushilfen eher ein Ausfallhonorar bekommen), die Zeit vor und die Zeit nach Ostern (für Konzerte vor Ostern gibt es höhere Ausfallhonorare als für Konzerte nach Ostern), hinsichtlich des Absagezeitpunkts (bei sehr kurzfristigen Absagen werden oft 100 Prozent Ausfallhonorar gezahlt) und des Konzertmonats: Einige Orchester zahlen für Konzerte, die im März hätten stattfinden sollen, Ausfallhonorare zwischen 50 und 100 Prozent, aber für Veranstaltungen, die ab April geplant waren, nichts mehr.

Interessant ist die Angabe, die Höhe der Ausfallhonorare sei »Verhandlungssache« – äquivalente Aussagen finden sich fast überall. Man sei mit »allen Beteiligten zu einem angemessenen Ergebnis gekommen« beispielsweise, oder aber: »Die Höhe bemisst sich nach dem Einzelfall.« Ist am Ende alles Mauschelei? »Das kann man nicht ad hoc so beantworten«, sagt Gerald Mertens. »Es kommt immer darauf an, wie die Ausfallsituation ist: Ist die Aushilfe kurz- oder langfristig beschäftigt? War es vielleicht eine Verstärkungsaushilfe, die man immer wieder braucht, oder ein einmaliges Engagement?« Häufig hänge es mit der finanziellen Kalkulation zusammen: Ein:e Solist:in bekommt eine weitaus höhere Gage als eine Aushilfe. Zahlt das Orchester nun beiden anteilig das gleiche Ausfallhonorar, kann der dafür festgelegte Topf schnell leer sein. »Individuelle Lösung«, sagt Gerald Mertens, »kann auch meinen, dass man den Musiker:innen anbietet, dass sie beim nächsten Konzert wieder dabei sind.« Zum Beispiel findet sich bei einigen Orchestern ein Modell, das Mertens »charmant« findet: »Da wird ein gesamtes Konzertprojekt um genau ein Jahr verschoben und den Beteiligten gesagt: Wenn ihr euch jetzt schon verpflichten könnt, dann bekommt ihr 50 Prozent der Gage direkt als Vorauszahlung. Damit habe ich gleichzeitig die Bindung für ein Jahr gesichert.«
Diese Lösung geben gut eine Handvoll der befragten Orchester an: jetzt 50 Prozent, und beim Nachholtermin die anderen 50 Prozent. Findet das Konzert nicht statt, dürfen die Musiker:innen die 50 Prozent behalten. Oder aber, wie ein großes Nordrhein-Westfälisches Orchester per Mail seine Aushilfen wissen ließ (die e-Mail liegt der Redaktion vor): Man zahle 100 Prozent Ausfallhonorar für alle Konzerte und Proben, die zwischen Mitte März und Ende April stattgefunden hätten – erwarte jedoch, dass die dann nachgeholten Konzerte unentgeltlich gespielt würden. Zwischen »charmant« und »ausbeuterisch« passt hier wohl nur ein Blatt Papier – denn aus Musiker:innensicht ist diese Lösung problematisch: »Damit habe ich den Verdienstausfall nur um ein Jahr verschoben«, sagt eine zu dem Fall befragte Musikerin, die regelmäßig bei zwei A-Orchestern aushilft und das gerne weiter tun möchte – deshalb bleibt sie hier anonym. »Das 50-50-Ding kann dir für eine Zeitlang die Lebensgrundlage sichern, aber total fein ist das auch nicht und weit unter den ethischen Standards, die auf dem Podium so fröhlich in die Mikrophone verkündet werden. Und die Lösung, die Musiker:innen später unentgeltlich spielen zu lassen, ist noch schlimmer als die Teilung in zwei Mal 50 Prozent. Unentgeltlich spielen zu müssen, ist erniedrigend.«
Sie rechnet vor: Ohne Ausfallhonorare wären ihr im Zeitraum April bis Juli knapp 15.000 Euro verloren gegangen. »50 Prozent Ausfallhonorar reicht da natürlich nicht, und schon gar nicht langfristig«, sagt sie. »Wenn jemand freiberuflich richtig viel spielt und verdient, dann kommen da in einem halben Jahr bis zur Sommerpause vielleicht 18.000 Euro zusammen, davon 50 Prozent sind 9.000 Euro. Verteil die mal auf sechs Monate. Davon kriegst du gerade deine Miete bezahlt und ein paar Pommes.« Und selbst wenn am 1. September mit der neuen Spielzeit alles wieder losgehen und genau so laufen würde wie vor Corona, wären 50 Prozent Ausfallhonorar nur eine schlechte Lösung gewesen: »Wenn ich ab dann genau so gebucht wäre wie jetzt zum Sommer, dann hätte ich das mit Sicherheit irgendwie einrichten können, aber auch das wäre super knapp gewesen«, sagt sie. Das Problem liege tiefer: »Werden denn ab September wieder die riesigen Sinfonien und großen Opern gespielt, für die man die Aushilfen braucht? Oder steigen erst einmal alle um auf kleine Besetzungen, sodass vielleicht das Orchester selbst nicht ausgelastet ist? Vielleicht gibt es eine zweite Pandemie-Welle, und wir hören ein Jahr lang nur Kammeroper, Kammermusik, nichts mit Gesang. Das kann einfach niemand abschätzen.«
So individuell die Lösungen der Orchester, so eigen sind auch die Schwierigkeiten, denen sie beim Finden ebendieser Lösungen ausgesetzt sind. Der Tenor unter den erreichten Orchestern war: Wir brauchen die Freien, ihnen muss geholfen werden. Gleichzeitig sind die Barrieren dafür oft hoch: »Wenn ich ein Regie- oder Landesbetrieb bin, verpflichte ich mich, dass ich die Landeshaushaltsordnungen einhalte. Darin ist die Zahlung von Ausfallhonoraren oft ein Problem«, so Mertens – weil es nämlich selten überhaupt eine positive Regelung dafür gibt. »Da gibt es dann diese Bandbreite: Dienst nach Vorschrift oder Kulanz. Verhalte ich mich formell korrekt, aber menschlich und moralisch problematisch – oder verhalte ich mich moralisch einwandfrei und dafür rechtlich nicht. Das ist das Dilemma.« Nicht ohne Grund entschieden sich einige, die Ausfallhonorare aus der Orchesterkasse zu zahlen, als »Kulanzzahlung« aus anderen Töpfen zu kennzeichnen oder über eigens ins Leben gerufene Stiftungen und Spendenaktionen zu realisieren. Beispielsweise sammelten die festangestellten Musiker:innen des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg für ihre betroffenen freien Kolleg:innen Geld, wie auch die Musiker:innen der Neuen Lausitzer Philharmonie für ihre Freien ein eigenes Hilfsprogramm auferlegten. Institutionen wie zum Beispiel die Bayerische Staatsoper sammeln mit wöchentlichen Montagskonzerten und kostenlosen Videoangeboten größer angelegte Spenden für Künstler:innen der freien Szene. Die Mehrheit der befragten Orchester gab an, an den Hilfsfonds der Deutschen Orchesterstiftung gespendet zu haben. Dabei sind die Orchester, die als GmbHs, eingetragene Vereine oder Stiftungen organisiert sind, in der Regel hinsichtlich ihres Haushalts freier als die Regie- und Landesbetriebe – und so verhalten sie sich in der Tat.

Ein einziges Orchester gab an, ohne Bedingung und über den gesamten betroffenen Zeitraum hinweg seinen Freien 100 Prozent der vereinbarten Honorare zu zahlen: die Essener Philharmoniker, eine gemeinnützige GmbH mit Geschäftsführerin Karin Müller an der Spitze. Gesellschafter der GmbH ist die Stadt Essen. Insofern sind Theater und Philharmonie (TUP) Essen ein Subventionsbetrieb, wenn dabei auch kein reiner städtischer. Entscheidungen über die Finanzierung und den Umgang mit den Haushaltsgeldern können in diesem System auf kürzeren Wegen passieren und gehen, wie man an der Ausfallhonorar-Entscheidung sieht, schneller und deutlich unkomplizierter vonstatten als bei vielen anderen. Auf die Frage, warum sich das Orchester für diese Lösung entschieden habe, heißt es aus der Pressestelle: »Bei den Musikerinnen und Musikern handelt es sich um bewährte Mitwirkende, die aufgrund ihrer mehrfach unter Beweis gestellten Qualität regelmäßig an unserem Haus zum Einsatz kommen. Unser Anliegen ist es, das hohe Niveau der Aufführungen gerade mit diesen Künstlerinnen und Künstlern auch in Zukunft sicherzustellen.« Die finanzielle Entschädigung sei daher eine »Notwendigkeit, um die künstlerische Bindung der Aushilfskräfte an die Theater und Philharmonie Essen sicherzustellen.« Finanziert würden die Ausfallhonorare dabei aus dem Haushalt der laufenden Spielzeit – denn der stehe trotz Einnahmeverlusten »auf soliden Füßen. Als fest eingeplante Mittel konnten wir die Honorare daher auszahlen.« Und das, obwohl diese Regelung vertraglich nicht festgeschrieben sei.
Wie problematisch die Situation ist, haben die allermeisten Orchester, Veranstalter und sogar die an den Häusern fest angestellten Musiker:innen mittlerweile verstanden. Die eingerichteten Hilfsfonds wie der Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung waren immerhin für manche ein kleiner Anker: »Aber auch dieser Topf war binnen kürzester Zeit leer«, sagt die interviewte Musikerin. »Das ist alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber trotzdem gilt das was, solche Aktionen! Genau wie Anrufe oder e-Mails aus dem Orchesterbüro – wenn sich jemand vom Orchester bei dir meldet und dich fragt, wie es dir geht. Wenn da gesagt wird, dass sie bedauern, die Konzerte absagen zu müssen. Das zeigt, dass den Leuten bewusst ist, wie sie mit den Menschen umgehen, die betroffen sind, und dass sie über den eigenen Tellerrand hinaus geschaut haben. Wenn schon nicht auf dem Konto, dann kommt wenigstens auf diesem Weg etwas an.«
Es gehe darum, Signale auszusenden, sagt auch Gerald Mertens: »Denn wir sitzen im selben Boot.« Ideen für zukünftige Konzerte gibt es bereits: »Vielleicht sollten wir uns als Orchester in Zukunft bei der Frage, wie viele zusätzliche Verstärkungsaushilfen man braucht, von vorneherein einen Schlüssel auferlegen, wie viele Freischaffende wir da drin haben«, sagt Mertens. »Oft ist es so: Wenn ein Orchester spielt und Aushilfen braucht, ruft es beim benachbarten Orchester an und umgekehrt. Der Musiker, der ein festes Gehalt hat, bekommt dann die Aushilfsgage on top. Dabei gibt es genug Freischaffende, die den Job auch gern gemacht hätten.« Die Orchester sollten mehr Netzwerk und Schutzschild für Freie werden, sagt er: »Zum einen ginge das durch eine Selbstverpflichtung, wenn immer möglich, einen Prozentsatz von X Freischaffenden zu engagieren. Zum anderen dadurch, als Orchesterträger, der Facilities hat und selbst veranstaltet, Freischaffenden Auftrittsmöglichkeiten geben – wie wir das auch von den Kirchen fordern, die als erste wieder aufmachen durften.«
Es geht schließlich um mehr als um ein halbes Gehalt und warme Worte: Wertschätzung passiert auf vielen Ebenen – und am Ende müssen Menschen von ihrer Arbeit leben können. Vielleicht verabschiedet sich die Szene irgendwann komplett von der verantwortungsentlastenden »force majeure« und beschließt endgültig, alles selbst in die Hand zu nehmen. Ganz im Sinne des hehren Selbstbilds: »Seid umschlungen, Millionen«. Oder? ¶