Am 11. September 1894 wurde Valerie Pick in Wien geboren. Sophie Fetthauer berichtet in ihrem Artikel, Pick habe als Kind eine sehr gute schulische Ausbildung erhalten. Zudem ermöglichte man ihr privaten Klavierunterricht. So kam es zwischen 1913 und 1918 zu einem Studium von Musikwissenschaft, Musikpädagogik, Psychologie und Philosophie in Wien. Privater Kompositionsunterricht erfolgte bei dem musikalischen Multitalent Richard Robert (1816–1924), dessen Werke in komplette Vergessenheit gerieten. Anders als die Werke eines ihrer weiteren Kompositionslehrer: Karl Weigl (1881–1949), dessen hervorragende Musik in den letzten Jahren – auch durch die kompetente wie sympathische Initiative seines in den USA lebenden Urenkels Karl Weigl Junior – prominent wiederentdeckt wurde.
Valerie Pick und ihr Lehrer Weigl verliebten sich ineinander. Beide heirateten Anfang der 1920er Jahre. Die bald ins Haus stehenden, dichtgedrängten, massiven Änderungen der Lebensumstände beschreibt Sophie Fetthauer wie folgt: »Nach einer Zwischenstation 1920/21 in Amsterdam als Übersetzerin heiratete (…) (Vally Pick) Karl Weigl und arbeitete als Pianistin und Musiklehrerin. Als Jüdin aufgrund der NS-›Rassegesetze‹ verfolgt gelang ihr gemeinsam mit ihrem Mann und dem zwölfjährigen Sohn Johannes Wolfgang 1938 mit Hilfe der Quäker die Flucht in die USA, wo sie als Musiklehrerin an verschiedenen Einrichtungen wirkte und ihre Konzerttätigkeit wieder aufnahm. Anders als ihrem Mann gelang Vally Weigl recht bald die Anpassung an die neuen Verhältnisse. Nach Karl Weigls Tod 1949 und einer Schulterverletzung, die ihr zunächst das Klavierspielen unmöglich machte, begann eine Phase der Neuorientierung. Sie studierte noch einmal und nahm den für sie neuen Beruf als Musiktherapeutin auf. Die Ergebnisse ihrer therapeutischen und forschenden Arbeit an zahlreichen Einrichtungen in New York publizierte sie in verschiedenen Fachzeitschriften.« Vally Weigls Mutter nahm sich 1939 nach der Emigration das Leben. Weigls Schwester – aktive Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin – war in Österreich geblieben und wurde 1942 im Konzentrationslager Ravensbrück von den Nationalsozialisten ermordet.
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Weigls Schulterprobleme führten dazu, dass die gelernte Musikerin sich immer intensiver mit ihrer neuen Rolle als Musiktherapeutin identifizierte. Mit ihrer Vergangenheit und ihrer jüdischen Herkunft setzte sie sich – offenbar traumatisiert – nicht mehr auseinander. Ab 1953 arbeitete Vally Weigl in diversen New Yorker Krankenhäusern und gründete die »Society of Friends’ Arts for World Unity Organization«.
Weigl konnte bis ins hohe Alter komponieren, trotz späterer massiver Hörprobleme. Außerdem setzte sie sich für das Fortleben des Werkes ihres Mannes ein. Mit 88 Jahren starb sie am ersten Weihnachtstag 1982 in New York. Im 10. Wiener Bezirk trägt seit 2009 eine Straße ihren Namen.
Vally Weigl (1888–1944)
New England Suite für Flöte, Violoncello und Klavier (1953)
Vally Weigl komponierte überwiegend programmatische Klavierwerke, viele Chorwerke und weit über 100 Lieder. Dabei »entsagte« sie immer wieder der textseitig von der deutschen Sprache geprägten »Kunstlied-Urbesetzung« – Gesang und Klavier – und ließ die Solo-Stimme jeweils von ganz unterschiedlichen Kammermusikbesetzungen begleiten.
Die New England Suite für Flöte, Violoncello und Klavier entstand 1953 – ein Ausschnitt aus dem reichhaltigen Kammermusikschaffen, das aus mehreren Dutzend Werken besteht. Mit fast Brahmsschen Girlanden durchaus tonal-freundlicher-landschaftsbeschreibender Provenienz beginnt das Klavier. Das Cello setzt ein und fügt eine kühle, doch inbrünstige Kantilene hinzu, die schnell von der Flöte aufgegriffen wird. Auf interessante Weise scheinen alle Instrumente dabei ihren eigenen Reigen zu singen, sich ihren eigenen Reim auf die von der Komponistin »vorgegebene« Stimmung zu machen.
Doch nach nicht ganz zwei Minuten Musik ist es mit freundlicher Beschreibung spröd-hügeliger New-England-Landschaften irgendwie vorbei. Das Klavier insistiert auf Bartókschen Gründeleien und grüblerisch-langsamen, ausnotierten Trillern; Cello und Flöte kontrapunktieren dieses Brummen mit kühnen Staccato-Einlassungen. Absolut hörenswert, wie Weigl uns einerseits tonal in Sicherheit wiegt, ohne jemals ihre Art von amerikanischem Neoklassizismus als eine Art von feststehendem »Stil« billig anzupreisen. Durchdrungene, kluge Kammermusik einer – sicherlich traditioneller vorgehenden – Quasi-Schwester von Charles Ives. ¶