Der Literaturwissenschaftler Christoph Perels schreibt in dem Buch Goethe in seiner Epoche. Zwölf Versuche: »Einer Reihe glücklicher Zufälle ist es zu verdanken, dass für ein halbes Jahrzehnt Straßburg zu einem Zentrum des Sturm und Drangs geworden ist. Immerhin waren die Stadt und ihre Universität am Rande einer literarisch und künstlerisch regen und vielfältigen Landschaft gelegen. Zwischen der Messestadt Frankfurt am Main und dem seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nachhaltig in die deutsche Literatur hineinwirkenden Zürich zog sich eine Kette geistig besonders aufgeschlossener mittlerer Fürstenhöfe hin, deren kulturelle Aktivitäten das Interesse der Gebildeten auf sich zogen.«

Mit dem halben Jahrzehnt in Sachen Straßburger Sturm-und-Drang-Prominenz meint Perels die Jahre 1770 bis 1776. 1770 ging Johann Wolfgang von Goethe zur Beendigung seines Jurastudiums nach Straßburg. Ein halbes Jahr später folgte ihm Johann Gottfried Herder. Und genau am Tag der Sankt Petersburger Hochzeit des russischen Kronprinzen Paul (von 1796 bis 1801 schließlich Kaiser von Russland) mit Sophie Dorothee von Württemberg – am 7. Oktober 1776 – wurde Pauline De Montet in der katholischen Pfarrkirche zu Straßburg getauft, wie Claudia Schweitzer in ihrem Artikel berichtet – am Ende jener großen literarischen Sturm-und-Drang-Ära der elsässischen Metropole.

Schweitzer schildert die zwar wirtschaftlich wohlgestellten, doch auch komplexen Kindheitsjahre von Pauline De Montet: »Ihre Eltern Charles François De Montet und Marie Françoise du Bec du Feiret lebten vermutlich einige Zeit auf der Karibikinsel Martinique und gehörten dort der begüterten aristokratischen Gesellschaftsschicht an. Die zeitgenössischen Quellen sagen, dass das Mädchen in jungen Jahren zur Ausbildung in ein Pariser Kloster geschickt wurde und hier Klavierunterricht bei Leópold-Bastien Desormery erhielt. Im August 1792 kehrte sie zu ihren Eltern zurück, diese starben jedoch wenige Jahre später.« Und: »Eine eingehende Studie zum Leben und Schaffen Pauline Duchambges steht noch aus. Nachdem sich alle zeitgenössischen Aussagen über die Geburt Duchambges auf La Martinique als falsch erwiesen haben, scheint eine Verifizierung der Aussagen über ihre Jugend dringend notwendig. Zu fragen ist auch, welchen Vorteil der Mythos einer solchen Herkunft bot. Die Geschichte um ihre dramatische Scheidung und der Wechsel ihres Lebens von der aristokratischen jungen Ehefrau zur professionellen Musikerin könnten interessante Einblicke in die Sozialgeschichte der Musik dieser bewegten Zeit in Paris geben.«

ANZEIGE

Nach einer also anspruchsvollen Kindheit, in der De Montet sehr wahrscheinlich eine profunde musikalische Ausbildung erhielt, kam es im August 1796 zur Heirat mit dem adeligen Offizier Désiré du Chambge d’Elbhecq, von dessen Familienname sich der Nachname Paulines ab diesem Zeitpunkt ableitete: Duchambge. Zwei Jahre später verstarben – wie oben erwähnt – die Eltern von Pauline Duchambge, welche sich – offenbar nicht ganz freiwillig verheiratet – daraufhin scheiden ließ. Der Prozess der Scheidung zog sich aufgrund von Gesetzesänderungen in Frankreich über Jahre hinweg, weil man juristisch erst darüber befinden musste, ob sich eine Frau überhaupt initiativ von ihrem Mann scheiden lassen könne. Die beiden Kinder, die aus der Ehe hervorgegangen waren, mussten bei ihrem Vater bleiben und Pauline Duchambge verlor überdies ihr gesamtes Erbe. Nachwirkungen der französischen Revolution.

In dieser belastenden Situation nahm Pauline Duchambge nun ein ernsthaftes Musikstudium auf – und zwar gleich bei großen Namen der damaligen Musikwelt: bei Johann Ladislav Dussek (1760–1812) und Luigi Cherubini (1760–1842). In Paris verliebte sie sich überdies in den einflussreichen Daniel François Ésprit Auber (1782–1871), jedoch ohne die »Folgen« einer Heirat. Duchambge galt bald als gefragte Sängerin, die sich immer wieder – damals durchaus nicht unüblich, heute innerhalb der E-Musik extrem selten – selbst am Klavier begleitete.

1815 lernte Duchambge die Sängerin und Dichterin Marceline Desbordes-Valmore (1786–1859) kennen, woraus sich eine lebenslange Freundschaft entwickelte. Ebenfalls erfreulich verliefen – wie bei Schweitzer nachzulesen ist – die in künstlerisch fruchtbaren Kollaborationen gipfelnden Freundschaften zu Alexandre Dumas d. Ä., François-René de Chateaubriand, Alphonse de Lamartine, Alfred de Vigny und Victor Hugo: »Sie alle schrieben Gedichte für die Musikerin, die diese in der Regel für eine Singstimme und Tasteninstrument vertonte. Aber auch Texte von Frauen wie Amable Tastu und Emilie de Girardin stellten eine Fundgrube für Pauline Duchambge dar. Insgesamt schrieb sie ca. 400 Romances

Doch immer wieder war Pauline Duchambge massiven Schicksalsschlägen ausgesetzt. Nach drei Jahren Scheidungskrieg und der juristisch seitens der Familie ihres einstigen Gatten erkämpften Kontaktsperre gegenüber ihren beiden Kindern durfte sie – die, zeittypisch frauenentwürdigend formuliert, als »verweichlicht« und »übersensibel« diskriminiert wurde – keinen Umgang mit ihrer Tochter haben. Zwischenzeitlich war ihr Sohn früh verstorben.

Pauline Duchambge hatte sich aber als Künstlerin – und als Einladende in ihren Pariser Salon – einen Ruf erarbeitet, der zur Folge hatte, dass sich Kaiser Napoleon III. und andere finanziell für sie einsetzten und für ihren Unterhalt sorgten. Duchambge starb im Alter von 81 Jahren am 23. April 1858 in Paris.


Pauline Duchambge (1776–1858)
La jalouse

YouTube Video

Ungefähr vierhundert Werke – fast ausschließlich Lieder und nur wenige Solo-Klavierwerke – finden sich im aktuellen (noch unzureichend aufgearbeiteten) Werkekatalog von Pauline Duchambge. Eines dieser vielen Lieder ist La jalouse (Die Eifersüchtige). Der Text stammt von Duchambges Lebensfreundin Marceline Desbordes-Valmore.

 Erregt, in Moll, wie eine Toccata spielt sich das Klavier in seinem Vorspiel gleich in einen wütenden Eifersuchtsrausch. In rhythmisch pulsierenden Kreiselbewegungen windet sich die Gesangsstimme dazu – fast volksliedartig, gut vernehmbar und klar gesetzt. Eine eher resignative statt wirklich auf eine »Gegnerin« hasserfüllt gerichtete Eifersuchtsklage: »Du glaubst wohl, wenn es dunkel ist, dass wir dich nicht sehen!«

Zwar handelt es sich bei diesem emotionalen Kleinod um ein Strophenlied. Das bedeutet in diesem Fall allerdings keineswegs Monotonie, wiewohl Duchambge kompositorisch klug mit der inneren Monotonie der (eifersüchtigen) imaginierten Protagonistin narrativ umgeht. Die äußere Monotonie wird vermieden, indem Duchambge nach den volksliedartigen ersten Zeilen zunächst in ein Quasi-Recitativo übergeht, um alle vier Strophen jeweils mit einer Art Kadenz zu ihrem Ende zu bringen. Nicht nur formal spannend. Hörenswert! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.