Nina Simone, am 21. Februar 1933 in der winzigen Stadt Tryon in North Carolina geboren, ist bis heute als Jazzsängerin, Jazzpianistin, Songschreiberin und Bürgerrechtlerin unvergessen. Auf einer sehr ansprechend gestalteten, ihr gewidmeten Seite lesen wir: »Sie war eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts, eine Ikone der amerikanischen Musik. Sie war eine vollendete musikalische Geschichtenerzählerin, eine – wie Sie später selbst erfahren sollte – Griotte, die ihr bemerkenswertes Talent nutzte, um mit einem großartigen Werk ein Vermächtnis der Befreiung, Ermächtigung, Leidenschaft und Liebe zu schaffen. Sie verdiente sich den Beinamen ›Hohepriesterin der Seele‹, denn sie vermochte, einen Zauber zu vermitteln, der so verführerisch und hypnotisch war, dass die Zuhörenden beim Erleben dieser Künstler Zeit und Raum – und quasi überdies sich selbst – vergaßen.«

Der Begriff »Griotte« (männl.: »Griot«) bezeichnet eine innerfamiliäre Geschichtenerzählerin aus dem westafrikanischen Kulturraum, die bei feierlichen Anlässen generationsübergreifend mündlich überlieferte Anekdoten und Geschichten vorträgt. Ein treffender Begriff für Nina Simone, auch mit Blick auf den langen Zeitraum ihres Wirkens. Simones erster Chart-Erfolg war Ende der 1950er Jahre ihre Interpretation des Gershwin-Songs I Loves You, Porgy. Ihr gewissermaßen »letzter Hit« gelang Simone 1993 mit A Single Woman.

Schon im Alter von drei Jahren – also 1936 – soll Eunice Kathleen Waymon (so ihr bürgerlicher Name) vorgegebene Melodien nach Gehör auf dem Klavier nachgespielt haben. Ihre Mutter, eine Methodistenpastorin, und Eunices Vater, ein einfacher Handwerker und selbst auch methodistisch Geistlicher, konnten diese musikalischen Begabung nicht übersehen. Zufällig war die englische Pianistin Muriel Mazzanovich in die Nähe gezogen. Sie gab der jungen Eunice frühen Klavierunterricht und begeisterte das Kind für Bach, Chopin, Brahms, Beethoven und Schubert.

Nach dem Abschluss der High School sammelte man in der heimatlichen Kirchengemeinde Geld, um Eunice das Stipendium an der Julliard School in New York zu ermöglichen. Von der Julliard wurde sie allerdings abgelehnt. Die spätere Nina Simone vermutete dahinter bloßen Rassismus. Stattdessen gelang die Aufnahme an dem nicht minder prominenten Curtis Institute of Music in Philadelphia.

Diese und andere Erlebnisse im Zusammenhang mit dem in den USA dauerhaft präsenten Rassismus führten zu dem äußerst einflussreichen bürgerrechtlichen Engagement Nina Simones. In vielen Songs machte sie den Rassismus Nordamerikas zum Thema – und steht bis heute wie eine Gallionsfigur für die sich in Musik ausdrückende Sichtbarmachung wider Ausgrenzung, Benachteiligung, Unterdrückung und Gewalt gegenüber Schwarzen.

Nina Simone war mehrmals verheiratet. 1993 zog sie nach Südfrankreich, verlebte dort ihre letzten Jahre und starb nach langer Krebserkrankung am 21. April 2003 im Alter von 70 Jahren.


Nina Simone (1933–2003)
Mississippi Goddam (1964)

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Auch der Text des von Nina Simone komponierten und interpretierten Song Mississippi Goddam (vom Album Nina Simone in Concert, 1964) stammt von der vielfach mit Talent gesegneten Künstlerin selbst. Für die Komposition des Songs soll Simone – so wird durch mehrere Quellen bezeugt – gerade einmal 20 Minuten gebraucht haben. 2018 wurde der Song als bedeutendes Bürgerrechtslied in die Liste »National Recording History« der Library of Congress aufgenommen.

Nina Simone reagierte mit dem Lied Mississippi Goddam unter anderem auf die Ermordung von Emmett Till und Medgar Evers. Der 14-jährige Schwarze Till war 1955 von einem weißen Rassisten in Drew (Mississippi) ermordet worden. Der ebenfalls Schwarze Evers hatte sich bei der »National Association for the Advancement of Colored People« (NAACP) für den Kampf gegen die Rassentrennung (aus der heraus beispielsweise der Ausschluss von Schwarzen vom Studium an Universitäten resultierte) starkgemacht – und wurde im Juni 1963 von einem weißen Düngemittelvertreter (dessen Verurteilung weiße Geschworene nach dem Mord verhinderten) erschossen. Ein weiterer schrecklicher Anlass für die Entstehung von Mississippi Goddam war ein rassistisch motivierter Bombenanschlag wenige Monate nach dem Mord an Evers, bei dem in Alabama vier junge Schwarze Mädchen getötet wurden. (Es verwundert nicht, dass man das Spielen beziehungsweise Abspielen von Mississippi Goddam in einigen Südstaaten unter Strafe stellte.)

Die Erinnerung, die Text gewordene Mahnung an die bewusste Verdrängung der furchtbaren Morde an den hier namentlich genannten Schwarzen US-Amerikaner:innen findet sich eindringlich in der mehrfach auftauchenden Songzeile »And everybody knows about Mississippi, Goddam« wieder. Egal, wie vehement ihr versucht, die Mississippi-Morde medial, im Alltag, im öffentlichen Leben ungeschehen zu machen: Alle wissen, was geschehen ist!

Über einem fast meditativen und dennoch akkordisch schnell pulsierenden Teppich erinnert Nina Simone in der besagten Live-Aufnahme an die Entstehungsumstände des Songs. Die zunächst gleichbleibende Begleitung unter dem »Sprech-Part« besteht vertikal gesehen aus einem ganz klassischen Jazzklang, nämlich aus einem »Sixth chord«, der in der traditionellen Musiktheorie – auf Jean-Philippe Rameaus Beschreibung zurückgehend – auch »sixte ajoutée« genannt wird. »Hineingeheimnissend« könnte man sagen: Die Begleitung ist so ikonisch, so »alltäglich«, dass man meint, die Künstlerin bebildere im Zuge ihres Verwendens dieser sich leicht »weghörenden« Allerweltsakkorde gewissermaßen die schreckliche »Normalität« von Rassismus, von rassistischen Morden und Übergriffen. Vier Jahre später intendierte Georg Kreisler wohl Ähnliches, als er in dem Lied Weg zur Arbeit (1968) mittels der immer wieder gleichen periodischen Wiederholung einer konventionell harmonisierten chromatischen Abwärtslinie im Klavier die Realität eines Anwalts beschreibt, der durch die Straßen seiner Stadt geht und derweil erzählt, was die Nazis von einst »heute so beruflich« machen.

Und dieser Interpretationsansatz ist nur einer von vielen Möglichkeiten des Einstiegs in die intensive Welt von Nina Simone. Ihr Song Mississippi Goddam müsste auch hierzulande Musikschulstoff sein! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.