In den einschlägigen Online-Nachschlagewerken, wie auch in der wenigen, quasi lexikalischen Komponistinnen-Literatur sucht man den Eintrag »Casalonga, Marguerite« (beziehungsweise »Casalonga, Marie Marguerite Octavie Hélène Anne«) momentan noch vergeblich. Immerhin erfährt man, dass sie am 12. August 1865 in Paris geboren wurde und wohl am 21. August 1935 in Neuilly sur Seine starb (jedenfalls findet man ein Bild ihres Familiengrabes). Auch kann man einen handgeschriebenen Brief Casalongas vom 17. September 1900 online käuflich erwerben.
diesem Brief nennt sich Casalonga selbst – damals üblich – ganz hinter dem Namen ihres Mannes verschwindend: »Madame E. Victor Meunier«. Den Journalisten, Romanautor und Dramaturgen Lucien-Victor Meunier (1857–1930) hatte sie 1897 geheiratet. Aus der Ehe ging ein Kind hervor. Casalongas Mutter Thérèse Marthe Louise Garcin (1836–1898) hatte einen Ingenieur für Thermodynamik geheiratet: Dominique Antoine Casalonga (1837–1903). Eine 2021 publizierte wissenschaftliche Arbeit bringt hier Licht ins Dunkel.
Casalonga war als Pianistin, Sängerin und Komponistin offenbar zu ihrer Zeit in Paris hoch angesehen. Als Mitglied der »Société nationale de musique« wurden ihre Werke regelmäßig als Beilage von künstlerischen Zeitschriften an die Öffentlichkeit gebracht. Auch bezeichnet man ihre kompositorische Tätigkeit als »geheimes Verlangen«. In einem Artikel von Charles Malherbe – unter dem Titel Une Cantatrice Compositeur: Mme Marguerite Casalonga am 15. Dezember 1908 in der Zeitschrift Comoedia Illustré veröffentlicht (und in der besagten Arbeit teilabgedruckt) – heißt es über Casalonga: »Die Entdeckung eines neuen Sterns kommt nicht eben häufig vor. Wie ein Astronom, der stolz auf seine Entdeckung ist, kann ich euch aber ohne weitere Geheimniskrämerei den Namen einer Berühmtheit verraten, auf die die Welt gewartet hat: Frau Marguerite Casalonga. Wer ist sie? Wo kommt sie her? Aus welchen Strahlen setzt sich ihr Glanz zusammen? Zweifellos wäre es für den Puffismus und den Snobismus viel besser, wenn sie am Nordpol oder am Äquator geboren wäre. Doch hier handelt es sich schlichtweg um eine Pariserin, die von der Natur mit außergewöhnlichen Gaben reich beschenkt wurde. Nachdem diese Frau mit ihrer Eleganz in der Welt Eindruck hinterlassen haben wird, werdet ihr mir Recht geben. Schon als junges Mädchen war die Musik ihre große Leidenschaft. Es genügte ihr nicht, virtuos Klavier zu spielen, ein geheimes Verlangen führte sie zum Komponieren. Sie studierte Harmonie und Kontrapunkt und notierte früh die Ideen, die in ihrem jungen Kopf – keineswegs als Hirngespinste – herumschwirrten. Eines Tages spielte sie Charles Gounod kurz vor seinem Tod eine Melodie aus ihrer Feder vor und bat ihn um Rat. Der alte Meister hörte zu und sagte schließlich ernst: ›Wenn du meine Meinung hören willst: Ja, mein Kind, das solltest aufschreiben!‹. Hernach bat er gar um eine Widmung.«
Ein reguläres Verzeichnis der Werke Casalongas existiert nicht. Dafür finden sich – kostenlos zugänglich – im Netz die Noten von über zehn Stücken: fast ausschließlich Kompositionen für Klavier solo, aber auch ein Lied ist dabei.
Marguerite Casalonga (1865–1935)
Caprice No. 2: Danse de korrigans (1896)
Die zweite Caprice aus dem Jahr 1896 heißt Danse de korrigans, bebildert also programmatisch den Tanz von zwergen- oder auch elfenhaften Spukgestalten aus der keltischen Mythologie. Korriganen sind dabei, laut Märchenüberlieferung nicht unbedingt grimassierende Kobolde, sondern vielmehr wunderschön und edel. Entsprechend locker-leicht fallen verspielte Figuren schön im Klavier nach unten. Ganz in der Tradition programmatischer, elfenhafter Märchenstücke Griegs (hier: 1867) ist der »verzauberte Moment« das, was zählt. Nach ersten leichtgewichtigen Verspieltheiten füllt Casalonga das Gefüge mit Bass-Momenten an. Am Ende pfeffert eine forcierende Stretta das Ganze schön gegen die Wand. Als Kenner der Lyrischen Stücke von Grieg kommt einem vielleicht der Troldtog (1891) in den Sinn. Bei beiden, Casalonga und Grieg, handelt es sich um absolut souveräne und originelle Programmstücke, die sich – gerade im spielerisch-programmatischen Vergleich – toll im Konzert machen würden. ¶