Geboren wurde Joanna Bailie 1973 in London. Bei dem walisischen New-Complexity-Komponisten Richard Barrett (*1959), der zunächst an der Middlesex University, ab 1996 schließlich als Professor am Königlichen Konservatorium von Den Haag unterrichtete, studierte Bailie Komposition und Elektronische Musik. Nach ihrem Studium konnte sie mit Hilfe eines Stipendiums an die Columbia University in New York wechseln. 2018 schloss sie ihre Promotion an der University of London ab.

Ihre Werke wurden bereits von Klangkörpern wie dem Ensemble Mosaik, dem Klangforum Wien, dem Scottish Symphony Orchestra und dem SWR Vokalensemble aufgeführt – bei Festivals wie den Donaueschinger Musiktagen, Wien Modern, der Biennale in Venedig und dem MaerzMusik-Festival in Berlin.

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Bailie beschäftigt sich intensiv mit Field Recordings und kombiniert auf vielfältige Weise elektronische Klänge mit instrumentaler Live-Performance. 2003 gründete sie zusammen mit dem Komponisten Matthew Shlomowitz das Plus-Minus Ensemble. Im Mai 2010 war sie Gast-Kuratorin beim SPOR Festival im dänischen Aarhus und im September 2015 kuratierte sie ein Festival für Klangkunst und experimentelle Musik für die BBC.

Joanna Bailie lebt in Berlin.


Joanna Bailie (* 1973)
Symphony-Street-Souvenir für Ensemble und Zuspielung (2009/2010)

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In den Jahren 2009 und 2010 entstand Bailies Symphony-Street-Souvenir für Ensemble und Zuspielung. Im Zusammenwirken mit Bratsche und Cello spielt das Klavier nachhakende Oktaven. Tatsächlich schwingen – dem Titel gemäß – Erinnerungen an Symphonie-Anfänge des 19. Jahrhunderts mit. Irgendetwas Stämmiges bricht sich hier Bahn. Aber das Ganze ist eben »street«, schön schmutzig – und klanglich aufregend!

Durch die hinzukommende Zuspielung wird die hinuntersuppende Chromatik noch weiter »in den Dreck gezogen«. Nach einer halben Minute öffnet sich ein weiteres Klangfenster. Halb ironisch, halb liebevoll. Satter Sound. Eine Filmkulisse mit Bergen, Seen und weiten Feldern. Aber alles »verwackelt«, intonatorisch schwankend. Gedanken an die kindischen Herrlichkeiten verruckelter Schallplatten kommen auf; das Spiel mit Mikro-Intonationsschwankungen, mit »Störungen«.

Die unnachgiebigen, rhythmisierten Oktaven kehren bald wieder. Ihr Ton ist nun gefahrvoller, dunkler, ernsthafter. Die »Filmkulisse« tritt noch weiter in den Hintergrund – und entwickelt von sich aus dort gefahrvolle Situationen. Die Musikerinnen und Musiker müssen ein Metronom-Klicken im Ohr tragen, damit die Koordination mit der elektronischen Zuspielung gewährleistet ist. (Allein die Koordination zwischen den einzelnen Instrumenten muss präzise sein.) Aber Joanna Baillie bringt durch ihre vielen auskomponierten Verlangsamungen (die ein profanes »Ritardando« ausdifferenzieren) menschliches Leben in die Klanggeschichten dieser hervorragend auf- wie anregenden Komposition mit hinein. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.