Fährt oder läuft man an der Ostküste Nordamerikas von Boston in Richtung Norden, so kommt man – früher oder später – auch nach Portsmouth in New Hampshire. In eine Gegend, in der fast alle Ortschaften nach britischen Vorbildern benannt wurden, wie eben Portsmouth, das es auch in der englischen Grafschaft Hampshire gibt. Hier finden wir die Orte Dover, York, Manchester, Rochester und natürlich, weiter im Landesinneren des traditionellen und wohlhabenden US-Bundesstaats New Hampshire, auch New London.
In Portsmouth (New Hampshire) wurde 1891 Helen Eugenia Hagan geboren. Ihre Eltern Mary (eine Pianistin) und John (ein Bariton) zogen bald nach New Haven (Connecticut); weiter in Richtung New York also. Entsprechend der musikalischen »Vorbelastung« der Eltern stand daheim ein Klavier herum. Helen bekam Klavierstunden, spielte in einer protestantischen Gemeinde bereits mit 9 Jahren die Orgel. Und dort, genauer: an der Dixwell Avenue Congregational Church in New Haven, wurde sie später hauptamtliche Organistin.
Damit nicht genug. Hagan schrieb sich an der Yale School of Music ein und machte 1912 ihren Bachelor-Abschluss, den bis zum Jahr 1958 höchstmöglichen Abschluss an dieser Institution. Hagan war die erste Schwarze Frau, die hier ein Bachelorzeugnis entgegennahm. Das Yale College blieb 1969 Frauen verwehrt und war damit keine Option für Hagans weiteren Ausbildungsweg. Hagan erhielt eine Reihe von Stipendien und studierte von 1912 bis 1914 an der Schola Cantorum in Paris. Danach ging es zunächst zurück in die USA, von dort aus aber wieder nach Frankreich, wo sie auf Einladung eines Pfarrers und auf Wunsch des Generals John J. Pershing als Pianistin für die in Frankreich stationierten Schwarzen Truppen der »Buffalo Soldiers« Klavier spielte – als einzige Person of Colour.
1921 gab Helen Hagan als erste Schwarze Musikerin ein Klavierrecital an der Aeolian Hall in New York. 1930 nahm sie eine Stelle an der heutigen Tennessee State University an, war dort allerdings nicht glücklich. Anfang der 1930er Jahre wurde das Überleben als Pianistin zunehmend schwierig. Zum Glück bekam sie 1933 die Stelle einer Dekanin für Musik am Bishop College im texanischen Marshall, kehrte aber schon nach zwei Jahren zurück nach New York, wo sie sich für zahlreiche Organisationen im musikalischen Bereich engagierte.
Helen Eugenia Hagan starb am 6. März 1964 in New York. Sie wurde 73 Jahre alt.
Helen Eugenia Hagan (1891–1964)
Piano Concerto in c Minor (1912)
Hagans größter Erfolg war ihr Piano Concerto aus dem Jahr 1912. Es scheint auch tatsächlich das einzig überhaupt irgendwie bekannte Stück von ihr zu sein. Leider hat die Originalversion für Klavier und Orchester die Zeiten wohl nicht überlebt, dafür aber der erste Satz in der Version für zwei Klaviere.
Das ernste, konduktartige Thema suhlt sich gar nicht so lange wie erwartet in seinem c-Moll-Schmerz, sondern geht immer wieder kurz ins Hymnische über. Man spürt vielleicht die Kirchenmusikverortung der Komponistin, die viele Jahre ihres Lebens in verschiedenen Kathedralen Orgel gespielt haben wird. Bald fallen schwere Kaskaden vom Himmel herunter; das Ganze steigert sich – und auf schöne Weise werden wir an das zweite Klavierkonzert von Sergei Rachmaninow (1900/1901) erinnert. Eine lohnenswerte Repertoireerweiterung. Wo sind Lucas und Arthur Jussen, wenn man sie mal braucht? ¶