Morgen jährt sich der Todestag der walisischen Komponistin Grace Williams zum 55. Mal. Geboren wurde Grace Mary Williams am 19. Februar 1906 in walisischen Barry im Landkreis Vale of Glamorgan, nahe Cardiff, im äußersten Südzipfel des Landes. Ihr Elternhaus wird von Autorin Annika Forkert als »musikinteressiert« beschrieben: Die Eltern arbeiteten als Lehrerin und Lehrer. Als Kind erfreute sich Williams am Violin- und Klavierspiel, musizierte zusammen mit ihren Geschwistern und studierte gerne die von ihrem Vater gesammelten Partituren großer mitteleuropäischer Musikwerke. Nach einiger Zeit geregelten Klavierunterrichts entstanden bereits kleine Eigenkompositionen.
Mit 17 Jahren erhielt Williams 1923 ein Stipendium für ein Musikstudium am University College in Cardiff, auf das ab 1926 ein Studium am Royal College of Music in London folgte. Hier war Ralph Vaughan Williams einer ihrer Lehrer. In London, so lesen wir in dem MUGI-Artikel von Forkert, »(…) formte sie mit Elisabeth Maconchy, Dorothy Gow, Imogen Holst und später auch mit Elisabeth Lutyens einen Zirkel begabter Komponistinnen. Eine besonders enge Freundschaft verband sie mit Maconchy, mit der sie ein ähnlich kreatives Verhältnis entwickelte wie ihr Lehrer Vaughan Williams mit seinem Kollegen Gustav Holst: die beiden trafen und schrieben sich regelmäßig und zeigten sich gegenseitig ihre aktuellen Arbeiten. Mit ihrem Fantasy Quintet errang sie 1928 die Zweitplatzierung des Cobbett Preises am Royal College of Music (der erste Preis ging an Imogen Holst). Im Sommer 1930 wurde Williams, diesmal zweitplatziert hinter Elisabeth Maconchy, mit dem Octavia-Reisestipendium des Royal College of Music ausgezeichnet, das sie für erweiterte Studien bei Egon Wellesz (1885-1974) in Wien nutzte. Die Monate in Wien beeinflussten Williams, die hier begann, sich für die Musik Wagners und Strauss’ zu begeistern. Da Williams es sich später angewöhnte, gelegentlich ganze Werkgruppen, die sie nicht für gut erachtete, zu verbrennen, ist kaum nachvollziehbar, welche Werke sie unter der Ägide Wellesz’schrieb.«
1931 verzeichnete Williams mit der Aufführung ihrer Ouvertüre Hen Walia durch das London Symphony Orchestra – bei Live-Übertragung der BBC – einen großen Erfolg. Nach ihrem Studium bei Wellesz in Wien unterrichtete Williams an zwei Regelschulen in London Musik und führte mit den Schülerinnen dieser Mädchenschulen auch kleine Opern auf. In diesem zeitlichen Umfeld entstand eine enge Freundschaft zu Benjamin Britten. Auch Williams’ ehemaliger Lehrer Ralph Vaughan Williams bemühte sich um die Musik seiner Ex-Schülerin. Doch der Zweite Weltkrieg bedeutete einen Bruch in der künstlerischen Entwicklung von Grace Williams. Während der ohnehin grundlyrisch veranlagte Ralph Vaughan Williams in London blieb, um sich in seiner während des Krieges durchaus vorgelegten Musik noch weniger avantgardistisch zu geben, emigrierte Förderer und Freund Benjamin Britten – bekennender Pazifist – 1939 in die USA. Trotzdem schrieb Grace Williams weiterhin großflächige Werke. Forkert notiert über die Kriegsjahre: »Im Rahmen der Evakuierung der Camden High School nach Uppingham in Rutland, Grantham in Lincolnshire und schließlich Stamford verbrachte Williams die Kriegsjahre in der Provinz, wo sie 1940 ihr vielleicht bekanntestes Werk, Fantasia on Welsh Nursery Tunes, schrieb, das bereits am 29. Oktober 1941 zur Übertragung mit dem BBC Northern Orchestra unter Warwick Braithwaite gelangte und nach mehreren Live-Aufführungen in den späteren 1940er Jahren von Decca mit dem London Symphony Orchestra unter Mansel Thomas aufgenommen wurde. Während des Krieges entstanden unter anderem außerdem Williams’ Symphony No. 1 in the Form of Symphonic Impressions of the Glendower Scene in ‚Henry IV Part 1’ (1943) und die bis auf den Scherzosatz zurückgezogenen Sea Sketches (1944).«
Die Bedingungen für eine Fortsetzung ihrer künstlerischen Laufbahn waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlecht. Williams geriet in eine massive Lebens- und Schaffenskrise. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten zog sie 1947 zurück in ihre Geburtsstadt Barry und konnte dort an frühere, gute Zeiten anknüpfen. Durch sich wieder häufiger einstellende Erfolge war es Williams möglich, nach und nach ihre Anstellungen aufzugeben. 1966 lehnte Williams überdies eine hohe königliche Auszeichnung (Officers of the Most Excellent Order of the British Empire, OBE) ab. Grace Williams starb am 10. Februar 1977 nach einem Krebsleiden im Alter von 70 Jahren in ihrer Geburtsstadt Barry.
Grace Williams (1906–1977)
Sinfonia concertante für Klavier und Orchester (1941)
Grace Williams komponierte eine Oper, zwei Ballette, eine Schauspielmusik, vier Filmmusiken, Musik fürs Radio, mehrere Dutzend Lieder, Chormusik, einige Orchesterwerke sowie Kammermusik. 1941 entstand eines ihrer Werke für ein Solo-Instrument plus Orchester, die Sinfonia concertante für Klavier und Orchester.
Ohne jegliche Vorwarnung knallt dieses Stück ins Ohr. Als wäre die Story schon die ganze Zeit erzählt worden – und man würde sich halt zufällig »dazuschalten«. Sich leicht hochschraubende Violinen, gestampfte Klavier-Akkorde, eine Trompete, die schnatternd dazwischen prescht, an Schostakowitsch erinnernd. Die Erregung hört nicht auf, nur formuliert das Klavier jetzt etwas gesetzter Themen oder zumindest thematische Abschnitte. Immer noch »quatschen« diverse Instrumente dazwischen, das Schlagwerk schwellt verschiedentlich hoch.
Erst nach gut einer Minute gibt es einen Moment der Stille. Geklopfte, kurze Töne im Klavier gehen einen merkwürdig sarkastischen, doch gleichsam abwartend-sinnenden Dialog mit der Klarinette ein. Das Klopfen spiegelt sich interessant in den Imitationen der Fagott-Kombo wider. Ein Augenblick trockenen Humors, der deutlich zur Bitterkeit tendiert. Immer wieder bemächtigen sich verschiedene Blechblasinstrumente des Ganzen. Dazwischen ergeht sich das Klavier in Akkorden, die wiederum »zurück« verweisen, auf Rachmaninow.
Die Erregtheit der Musik von Grace Williams kennt keine Grenzen. Hier komponiert eine zu Recht zu Lebzeiten erfolgreiche Komponistin einen hörenswerten Mix aus Moderne und breitgefächerter Spätromantik. Sehr unterhaltsam. ¶