Jeanne Delphine Fernande Breilh kam am 25. Dezember 1896 in Gaillac, einer Stadt im Südwesten Frankreichs, zur Welt. Ihr Vater war Kaufmann und ermöglichte seiner Tochter bereits im Alter von acht Jahren den Eintritt in das Konservatorium von Toulouse. Dort wurde sie schon 1911 ausgezeichnet als Jahrgangsbeste in Musiktheorie und gewann 1913 einen Preis für ihr Klavierspiel – und 1917 den zweiten Preis für ihre Leistungen in Harmonielehre.

1918 bestand Fernande Breilh die Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium, wo sie in den Folgejahren bei Xavier Leroux (1863–1919) und Jean Gallon (1878–1959) Harmonielehre, bei Paul Vidal (1863–1931) Komposition und Instrumentation, bei Georges Caussade (1873–1936) Kontrapunkt und Fuge sowie bei César Abel Estyle (auch 1877–1961) – dem späteren Improvisationslehrer Olivier Messiaens (1908–1992) – Klavierbegleitung studierte. Wieder gewann Breilh – wie wir lesen – sämtliche Preise in allen von ihr belegten Fächern.

Nach einem zusätzlichen Orgelstudium in Paris bekam Breilh die Stelle einer Assistentin im Fach Harmonielehre – und so wurde Messiaen auch zu einer ihrer Schüler; überhaupt gewannen Breilhs Studentinnen und Studenten erstaunlich viele Wettbewerbe, darunter mehrere Ausgaben des »Prix de Rome«, wie sie einst selbst im Rahmen ihrer Pariser Studien. Künstlerisch tat sich Breilh zu dieser Zeit vor allem als Stummfilmpianistin hervor.

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Am 29. Januar 1924 heiratete Breilh den Klarinettisten und Kontrabassisten Maurice Decruck und nahm dessen Nachnamen an. Fernande Decruck bekam drei Kinder und siedelte 1928 mit ihrer Familie in die USA über, wo sie zuvor sehr erfolgreiche Orgelkonzerte gegeben hatte. Der eigentliche Grund für den Umzug aber war das Kontrabass-Talent ihres Ehemannes, der wohl in der Saison 1928/1929 Solo-Kontrabassist der New York Philharmonics unter Arturo Toscanini war. 1932 erfolgte die Rückkehr der Familie nach Frankreich.

Hier bemühte sich Decruck nun verstärkt um die Publikationen ihrer Kompositionen. 1936 wurde sie – noch mit dem Blick zurück über den Ozean – Mitglied der »American Society of Composers, Authors and Publishers and Affiliated Societies (ASCAP)«. Am Konservatorium von Toulouse unterrichtete Decruck fortan Harmonielehre. Ihr Mann lebte in Paris; das Paar ließ sich 1950 – nach mehreren Jahren der Trennung – scheiden.

Am 6. August 1954 starb Fernande Decruck im Alter von nur 57 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.


Fernande Decruck (1896–1954)
Cantilene für Klarinette und Klavier (1933)

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Fernande Decrucks Ehemann war nicht nur Klarinettist und Kontrabassist, sondern auch ein bekannter Saxophon-Spieler. So schrieb Fernande Decruck viele, teils heute noch präsente Werke für dieses Instrument – vor allem solche für Saxophonquartett.

Bei der Cantilene aus dem Jahr 1933 wich Decruck allerdings noch auf die eng verwandte Klarinette aus. Akkordselig beginnt das Klavier in typisch französisch-gechillter und doch inbrünstig erfüllter Manier. Ein kreisendes Thema der Klarinette setzt in der Tiefe ein. Eine kammermusikalische Mischung von Brahms und Debussy, könnte man sagen. Kleine und große Höhepunkte wechseln sich ab. Doch die Anmutung bleibt feierlich, leidenschaftlich – und ernst. Akkordische Harmoniefarbwechsel schwingen sich ein – und dann und wann schauen Ravel und Debussy in Form von quartseligen Akkordreihen im Klavier deutlicher um die Ecke. Die Klarinette erschließt sich nun genüsslich weiter ausgreifende Tongruppenfelder. Eine Musik der Ruhe in der Bewegung. Leidenschaft: ja. Aber mit großer französischer Noblesse! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.