Morgen vor genau 225 Jahren – also am 9. Dezember 1796 – wurde Emilie Zumsteeg in Stuttgart geboren. Sie war das jüngste von sieben Kindern der Familie von Luise Andreae und Johann Rudolph Zumsteeg, der als komponierender Cellist Bediensteter am Hof des württembergischen Herzogs war. Johann Rudolph Zumsteeg starb, als Tochter Emilie fünf Jahre alt war. Die Mutter gründete daraufhin, wie Martina Rebmann in ihrem Artikel erzählt, ein Musikaliengeschäft in Stuttgart, um so die Familie wirtschaftlich über Wasser zu halten.

Das außerordentliche Talent von Emilie Zumsteeg hatte man zu diesem Zeitpunkt längst entdeckt. Emilie bekam früh Klavier-, Generalbass- und Gesangsunterricht. Ihre Fähigkeiten im Bereich Partiturspiel (bei dem viele Stimmen beispielsweise einer Orchesterpartitur zusammenfassend und mit besten Harmonielehre-Kenntnissen auf dem Klavier erklingen) erweckten angeblich die Aufmerksamkeit von Komponisten wie Carl Maria von Weber und Johann Nepomuk Hummel. Wie viele Komponistinnen des späten 18. und des gesamten 19. Jahrhunderts konnte Emilie Zumsteeg dabei nicht nur hervorragend Klavier spielen, sondern genauso schön singen. Trotzdem wurde sie zunächst (klar unter ihren Möglichkeiten wirkend) als Korrepetitorin in Stuttgart eingesetzt.

Bald darauf machte sich Zumsteeg in Stuttgart als Orchester- und Chordirigentin einen Namen, um das Jahr 1830 gründete sie den ersten württembergischen Frauenchor überhaupt, den »Stuttgarter Frauenliederkranz«, der der Männerchor-Dominanz ein weibliches Pendant entgegensetzte. Zumsteegs Einsatz für die Chormusik und ihr organisatorisches Geschick führten zu vielen öffentlichen Anerkennungen. Unter anderem zahlte ihr der württembergische König Wilhelm I. 1841 ein ganzes jährliches Gehalt aus.

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Möglicherweise betätigte sich Emilie Zumsteeg darüber hinaus als Musikschriftstellerin, wobei dies nicht sicher bezeugt werden kann, wie Rebmann schildert: »Die Musikerin galt in Stuttgart auf musikalischem Gebiet als unbestrittene Autorität. Sie hatte eine große Anzahl an Schülerinnen und Schülern und arbeitete am (…) ›Musikalischen Volksblatt‹ mit, einer in Stuttgart im Jahr 1842 erschienenen Zeitschrift, an der sonst nur Männer wie die Komponisten Friedrich Silcher, Ernst Friedrich Kauffmann und Louis Hetsch mitwirkten. Ihre Mitarbeit lässt sich leider nicht genau angeben, da nur ihr Name im Redaktionsteam auftaucht. Kaum einer der Beiträge ist jedoch namentlich gekennzeichnet und ein Artikel von Emilie Zumsteeg ist nicht darunter. Über ihre musikschriftstellerische Tätigkeit kann daher keine Aussage getroffen werden, was im Übrigen auch für die bereits genannten männlichen Mitarbeiter an diesem Unternehmen gilt. Es zeigt jedoch, dass ihre Stimme im Musikleben der Stadt [Stuttgart] großes Gewicht hatte.«

Mit dem Dirigieren von Chören und Orchestern ging praktischerweise das Komponieren für diese und andere Besetzungen einher. Förderlich waren außerdem die Freundschaften zu vielen bis heute bekannten Dichtern ihrer Zeit, die Zumsteeg zur Vertonung ihrer Texten aufforderten. Doch so einfach in die entsprechenden Fußstapfen ihres anerkannten Vaters zu treten, das war Emilie Zumsteeg nicht möglich. Man vergab schlichtweg keine Posten als Hofkomponistin oder Hofkapellmeisterin, mit der eine finanziell sorglosere Planung etwaiger zukünftiger Vorhaben möglich gewesen wäre. Das Komponieren erschien auf diese Weise bald eher als luxuriöse Beschäftigung. So schreibt Rebmann (an bereits mehrfach zitierter Stelle): »Überblickt man ihre Tätigkeit, die sich vom Komponieren und von öffentlichem Konzertieren zum Dirigieren und Lehren hin verlagerte, so muss man nach dem Grund für diesen Entschluss suchen. Zum einen waren dies sicher wirtschaftliche Gründe – Emilie Zumsteeg blieb unverheiratet und musste selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Doch offenbar sah die Musikerin in der Rolle der Vermittlerin auch die Chance, geschmacksbildend und erzieherisch zu wirken. Betrachtet man die Konzertprogramme der Abonnementskonzerte in Stuttgart zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis weit in die 20er Jahre hinein, so ist die Dominanz von Opernarien von italienischen Komponisten wie Gioachino Rossini zu beobachten; kaum jemals standen dagegen Werke von Haydn, Mozart, Weber oder Beethoven auf dem Programm. Emilie Zumsteeg wirkte auf diesen an der Mode orientierten Publikumsgeschmack durch die Einstudierung und Aufführung von Opern und Oratorien verändernd ein.«

Zumsteegs Kompositionen wurden immer wieder lobend erwähnt. Es entstanden viele Dutzend Lieder, einige Chorwerke, viele Bearbeitungen für Besetzungen, mit denen Zumsteeg dirigentisch konfrontiert war sowie ein paar vereinzelte Klavierstücke. Zumsteeg starb am 1. August 1857 im Alter von 61 Jahren in ihrer Geburtsstadt Stuttgart.


Emilie Zumsteeg (1796–1857)
Des Freundes Wunsch (1817)

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Das Lied Des Freundes Wunsch wurde 1817 im Druck veröffentlicht und basiert auf einem bisher urheberisch nicht bekannten Gedicht. Die anfängliche kurze, schöne Girlande im Klavier führt uns Hörende absichtlich in eine Falle! Die Komponistin will hier nicht gefallen, sondern durch vorgebliche (!) Harmlosigkeit überraschen. Denn die »eigentliche« Klavierbegleitung hernach ist charakteristisch und voller trockenem Humor – wie auch das angeheiterte, vorhaltsgeschwängerte Zwischenspiel.

Die im Lied offensichtlich geschilderte Freundschaft ist eine ganz besonderer Art: komplex, wankelmütig, prickelnd. Das sublime Drängen, das der rhythmischen Struktur hier eingeschrieben ist, tut ein Übriges zu dem bleibenden Eindruck, den dieses Lied hinterlässt. So weiß man gar nicht, ob der Wunsch der singenden Protagonistin (»Stets sei es Frühling um dich!«) tatsächlich nur »freundschaftlich« oder doch erotisch gemeint ist. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.